Die meisten politisch Interessierten hatten die richtigen Vorahnungen mit Blick auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Doch als die endgültigen Ergebnisse bekannt wurden, da gerieten mit Blick auf die Dimensionen der tektonischen Verschiebungen im Parteiengefüge die einen ins Staunen, die anderen in Panik.
Peinliche Schönschwätzerei
Nur vor den Fernsehkameras und den Mikrofonen hatten die Schönredner aus den Parteizentralen Hochkonjunktur. Ob bei der CDU oder SPD aber auch bei den Grünen und Linken –, die Wahldeuter übten sich schnell als Rosinenpicker, die nur Gewinner kannten und keine Verlierer. Geradezu als grotesk wurde angesichts dieser verbalen Verbiegungen vom Publikum die fast uniforme Aussage empfunden, dass die Parteioberen in Zukunft die Bürger wieder besser verstehen wollten. Wer weiter so flunkert wie etwa der CDU-Generalsekretär Tauber und Sprecher anderer Parteien, fatale Niederlagen umzumünzen versucht und an allen Daten vorbeiredet, verspielt Kredit und Glaubwürdigkeit.
Wenig Grund zum Jubel
Grund zum Jubel haben die Grünen in Baden-Württemberg: 30,3 % stimmten dort für diese Partei, ein Plus von 6,1 Prozentpunkten übertraf alle Erwartungen in dem Land, das über Jahrzehnte lang ein „Gottesacker für Christdemokraten“ war. Winfried Kretschmann, der populäre Ministerpräsident mit einem starken Charakter, mit Profil und Ausstrahlung, ist der Vater dieses Sieges im Südwesten.
Mit Pauken und Trompeten ging hier jedoch die CDU mit dem ebenso biederen wie einfallslosen Guido Wolf unter: bei der Wahl vor 5 Jahren erhielt sie mit dem unglückseligen Spitzenkandidaten Mappus immerhin noch 39 % der Wählerstimmen und blieb die stärkste Partei im Landesparlament. Jetzt erreichte die CDU gerade noch 27 %; tiefer konnte der Fall wohl nicht sein. Die schnitt SPD im Ländle mit 12,7 % fast unterirdisch ab und halbierte sich nahezu, obwohl ihre Minister in der bisherigen Landesregierung durchaus gut, aber wenig wahrgenommene Arbeit geleistet hatten. Nils Schmidt, der Spitzenmann der Sozialdemokraten, blieb blass und trocken wie ein Stutenkerl vom letzten Nikolausfest. Zulegen konnten die Liberalen, die mit 8,3 % gestärkt in den Landtag in Stuttgart wieder einziehen werden. Aus dem Stand brachte es die AfD in Baden-Württemberg auf über 15 %.
Politik besser als Politur
Grund zum Jubel hat auch die SPD in Rheinland-Pfalz, wo die fleißige Malu Dreyer in einem bewundernswerten Wahlfinish ihre Partei um viele Prozentpunkte auf über 36 % brachte. Dagegen machte die von den Medien hochgelobte Julia Klöckner, die einige bereits als die zukünftige Kronprinzessin und Nachfolgerin von Angela Merkel sahen, mit ihrer CDU auf den letzten Metern vor der Wahl schlapp: In Umfragen lag die Union vor Monaten bei 43 %, das Wahlergebnis sank jedoch auf 31, 8 %; das war noch ein Stück schlechter als bei der Landtagswahl 2011. In Mainz kann die FDP mit 6,2 % wieder ins Parlament einziehen. Die AfD erhielt in Rheinland-Pfalz 12,6 %. Dagegen stürzten die Grünen nahezu völlig ab – auf gerade noch 5,3 % (-10,1 %). Und das obwohl die Grünen in der Regierung waren, vor allem mit der Wirtschaftsministerin Lemke.
24 % für die AfD
In Sachsen-Anhalt verlor die CDU zwar 2,7 %-Punkte, wurde jedoch dort mit 29,8 % die stärkste Partei: In der Berliner Parteizentrale wurde dies Ergebnis derart hochstilisiert und emporgejubelt, wie es früher nur beim Gewinn absoluter Mehrheiten üblich war. Dass hier die AfD im ersten Anlauf bei über 24 % landete, relativiert die Ergebnisse der anderen Parteien: Die SPD ist mit 10,6 % nach zuvor über 21 % nur noch „die Hälfte wert“, die Linke verlor 7,4 % und kam gerade noch auf 16,3 %. Auch die Grünen mussten am Wahlabend lange zittern, erreichten schließlich 5,2 % (-1,9 %).
Persönlichkeiten mit Profil gesucht
Angesichts der riesigen Erfolge der AfD haben alle anderen Parteien keinen wirklichen Grund zum Jubel. Vielmehr sind Nachdenklichkeit, Überprüfung der Strategien und politischen Ziele erforderlich. Gerade in der CDU und SPD, aber wohl auch bei den anderen müssen profilierte Persönlichkeiten auf allen Ebenen der Politik an die Wählerfront gebracht werden. Winfried Kretschmann und Malu Dreyer haben dafür den besten Beweis geliefert, weil beide klare Kante zeigten, Bürgernähe und Glaubwürdigkeit bewiesen, nicht auf Show und Firlefanz im Wahlkampf setzten.
Migrantenpolitik als Gretchenfrage
Gewiss, das alles überwölbende Thema der drei Landtagswahlen war die Flüchtlingsproblematik. Die überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger ist damit beschäftigt, davon vor Ort betroffen, wenn Turnhallen zu Notquartieren umfunktioniert oder Zelte für Migranten aufgestellt werden. In manchen Kreisen der Bevölkerung gibt es auch Ängste vor den vielen Zuwanderern, vor Übergriffen, wie sie sich an Sylvester in Köln, aber auch anderswo ereigneten, vor einer möglichen Islamisierung und damit vor starken Veränderungen in unserer Republik. Die staatlichen Behörden tun sich zudem schwer, die deutschen Grenzen zu schützen, die Migranten zu registrieren und angemessen zu verteilen. In vielen Städten und Gemeinden wachsen die Probleme bei der Unterbringung und Versorgung, beim Sprachunterricht und der Einschulung sowie bei der notwendigen Integration, aber auch bei der Abschiebung von nichtanerkannten Asylbewerbern.
Helfer an der Obergrenze
Die Willkommenskultur, die sich im Herbst des vergangenen Jahres nach dem „Wir schaffen das!“ von Angela Merkel spontan in breiten Schichten der Bevölkerung entwickelte, ist deutlich schwächer geworden. Zwar engagieren sich nach wie vor unzählige freiwillige Helfer, die Kirchen, das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser und viele andere Organisationen bei der Bewältigung der Migrantenflut, doch auch sie fragen wie viele andere, wann die Grenzen erreicht oder überschritten sind. Unsere Nation ist inzwischen gespalten, hin- und hergerissen von der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, die beharrlich auf eine solidarische Lösung der EU bei der Verteilung und Aufnahme von Flüchtlingen setzt. Dafür hat sie sich nun sogar auf einen Pakt mit dem Präsidenten der Türkei eingelassen, hat sie für weitere finanzielle und andere Hilfen für Griechenland gekämpft, um die EU-Außengrenzen zu sichern, hat sie das Asylpaket II auf den Weg gebracht und nordafrikanische Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt sowie schließlich stärkere Hilfsaktionen für Jordanien und den Libanon mitorganisiert. Das nächste Gipfeltreffen der EU wird Ende dieser Woche stattfinden. Angela Merkel hofft auf einen positiven Durchbruch, auf eine nachhaltige Lösung des Flüchtlingsproblems für alle 28 Mitglieder der EU. Denn das Problem wird auf Dauer nicht zu lösen sein, wenn einzelne Staaten jeweils für sich Entscheidungen treffen.
Scharfer Gegenwind der CSU
Am letzten Sonntag wurde deutlich, dass Malu Dreyer und Winfried Kretschmann in den Wahlkämpfen durchaus den Kurs der Bundeskanzlerin unterstützten. In der Union erodiert indessen die Zustimmung dazu: Guido Wolf und Julia Klöckner präsentierten in ihrer übertaktischen Not einen Plan A2, Reiner Haseloff forderte Kontingente. Knallhart gegen den Merkel-Kurs machte die AfD Front und fuhr eine überreichliche Wahlernte ein. Seit längerem kämpft die CSU mit Horst Seehofer an der Spitze gegen die Merkel-Politik und fordert klare Obergrenzen für die Zahl von Flüchtlingen, die in Deutschland aufgenommen werden können. Und der Gegenwind der Christsozialen aus Bayern ist nach dem letzten Wahlsonntag noch schärfer geworden. Wenn der nächste EU-Gipfel nicht erfolgreich für Angela Merkel verlaufen wird, dürfte es schon bald zu einer gewaltigen Zerreißprobe kommen. In der CDU, aber auch in der SPD tun sich immer mehr schwer, die Flüchtlingspolitik weiter so wie bisher mitzutragen. Die Volksparteien haben in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt Weckrufe erhalten, die sie nicht mehr überhören sollten. Sonst werden die in diesem Herbst noch anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin zu einem weiteren Desaster für Unionschristen und Sozialdemokraten. Die Sorgen und Ängste der Wähler sind die Realität und sollten von den politisch Verantwortlichen ernst genommen werden. Eine wesentlich bessere Informationspolitik gehört auch dazu, damit die Bevölkerung die Politik noch verstehen kann und die Erosion im Inneren unserer Republik nicht fortschreitet.
Schwierigere Farbenspiele
Die Regierungsbildung in den 3 Ländern wird schwer, denn auch die strahlenden Sieger Malu Dreyer, Winfried Kretschmann und Reiner Haseloff müssen wohl drei Parteien unter einen Hut bringen. Lediglich in Baden-Württemberg wäre eine grün-schwarze Koalition mit solider Mehrheit möglich, was für die Union eine besonders bittere Pille bedeuten würde. Das Pokern von Guido Wolf um die Etablierung einer schwarz-rot-gelben Regierung wirkt jedoch wie eine Schmieren-Komödie. In Rheinland-Pfalz setzt Malu Dreyer auf eine rot-gelb-grüne Koalition als 1. Wahl; nur zur Not würde sie die CDU in ein Bündnis zu locken versuchen. Reiner Haseloff bleibt auch keine große Wahl: Er muss eine schwarz-rot-grüne Mehrheit hinbekommen, um in den nächsten Jahren regieren zu können. Mit Minderheitsregierungen und schon gar mit der AfD ist wohl nirgendwo ein Staat zu machen.
Bildquelle: Von Tobias Koch – OTRS, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35569399