Die Landtagswahlen am Sonntag in Baden-Württemberg(darüber haben wir schon berichtet), Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt haben dieses Mal besondere Bedeutung. Es ist ein richtiger Stimmungstest, auch für die Bundeskanzlerin, CDU-Chefin Angela Merkel und ihre vor allen Dingen in den eigenen Reihen umstrittene Flüchtlingspolitik. Aber auch die SPD und ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel werden gespannt und besorgt in die Landeshauptstädte blicken, wenn am Sonntag ab 18 Uhr die Prognosen und wenige Minuten später die Hochrechnungen bekannt gegeben werden. Wichtig für die Bundespolitik ist der Ausgang der Wahlen auch deshalb, weil davon die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat abhängen.
Rund 14 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über die Zusammensetzung der Landtage abzustimmen. Während es in Baden-Württemberg so aussieht, als sollte ausgerechnet in diesem bürgerlich gestrickten und wirtschaftlich außerordentlich erfolgreichen Land erneut der Grünen-Politiker Wilfried Kretschmann die Nase vorn haben und die CDU auf ein historisches Tief abstürzen, sieht die Lage in Rheinland-Pfalz etwas anders aus. Dort zeichnet sich ein Kopf-Kopf-Rennen zwischen der Amtsinhaberin Malu Dreyer(SPD) und der Herausforderin Julia Klöckner(CDU) ab.
Klöckner will Mainz zurückholen
3,1 Millionen Wahlberechtige können im Land der Rüben und Reben darüber entscheiden, ob es der CDU nach 25 Jahren Oppositionszeit wieder gelingt, die Staatskanzlei in Mainz zu erobern. Viele Monate lagen die ehrgeizige Merkel-Stellvertreterin Klöckner und ihre CDU in Umfragen weit vor der regierenden SPD mit Malu Dreyer(55). Das Land endlich zurückgewinnen für die Union, war erklärtes Ziel von Julia Klöckner(43). Wenn man in die Geschichte des Landes schaut, weiß man warum. Schon der erste Ministerpräsident nach dem Krieg war mit Wilhelm Boden ein Christdemokrat, er war von der französischen Besatzungsmacht ins Amt gehoben worden. Bei der ersten Landtagswahl 1947 setzte sich die CDU klar durch und errang 48 Mandate, gefolgt von der SPD mit 34 Sitzen, auf die Liberalen kamen 11 Abgeordnete, die KPD gewann acht Sitze. Ministerpräsident wurde der CDU-Politiker Peter Altmeier, der über 20 Jahre die Geschicke des Landes leitete, weil seine Partei auch bei den nächsten Wahlen stets vorn lag. 1959 gewann die CDU 52 Sitze, die SPD 37, die FDP 10, die DRP nur einen. 1967 büßte die CDU ein paar Prozente ein, war aber weiterhin mit 49 Mandaten weitaus stärkste Partei vor der SPD mit 39, der FDP mit 8 und der NPD mit 4 Mandaten.
1969 löste Helmut Kohl Peter Altmeier als Ministerpräsident ab, er blieb es bis 1976. In dem Jahr trat Kohl das erste Mal als Kanzlerkandidat der CDU gegen Helmut Schmidt an und erreichte stattliche 48,6 Prozent der Stimmen, den Sprung ins Kanzleramt schaffte Kohl noch nicht, weil die FDP die sozialliberale Koalition mit der SPD fortsetzte. Nachfolger Kohls wurde Bernhard Vogel. Unter seiner Regie gelang der CDU in Rheinland-Pfalz 1983 die absolute Mehrheit mit 57 Sitzen, die SPD kam auf 43. Vier Jahre später verlor die Union die Alleinherrschaft und musste eine Koalition mit den Liberalen eingehen. Was Folgen hatte für die Stimmung in der CDU und für Bernhard Vogel, der plötzlich Gegenwind bekam in seiner Partei. Auf einem Landesparteitag 1988 in Koblenz forderte ein gewisser Hans-Otto Wilhelm die Trennung von Partei- und Regierungsamt. Wilhelm wurde Parteichef, Vogel gab daraufhin erbost auch das Amt des Ministerpräsidenten ab und verließ den Parteitag mit den Worten: „Gott schütze Rheinland-Pfalz“.
Nachfolger Vogels als Regierungschef wurde Carl-Ludwig Wagner. Aber die Zeichen im Lande standen auf Wechsel, begünstigt sicher durch die innerparteilichen Querelen in der CDU.
Malu Dreyer und das schwere Erbe von Beck
Bei der Landtagswahl 1991 verlor die CDU die Macht in Mainz, Ministerpräsident wurde Rudolf Scharping von der SPD, die erstmals mit 47 Mandaten stärkste Partei im Landtag wurde. Die CDU rutschte auf 40 Mandate, FDP und die Grünen gewannen jeweils sieben Sitze.
Scharping drängte es 1994in die Bundespolitik, wo er aber als SPD-Parteichef mit wenig Fortune arbeitete und später von Oskar Lafontaine abgelöst wurde. In Mainz folgte ihm Kurt Beck, der von 1994 bis 2013 Ministerpräsident wurde, dessen letzte Jahre aber von Skandalen überschattet wurden, darunter vom Millionen-Steuer-Grab um den Nürburgring und den teuren Umbau des Fritz-Walter-Stadions in Kaiserslautern. Seine Nachfolgerin wurde Malu Dreyer, die an dem Erbe Becks schwer zu tragen hatte. Aber Dreyer räumte in der Regierung auf, trennte sich sofort von umstrittenen Ministern und startete einen Neuanfang.
„Ich bin die Ministerpräsidentin, die zusammenhält und nicht spaltet“, lautet einer ihrer Kernsätze auch im Wahlkampf. Sie warb und kämpfte für die Integration von Flüchtlingen, ein Thema, das auch diesen Wahlkampf eindeutig beherrschte. Die SPD-Politikerin stellte klar, dass sie in dieser umstrittenen Frage mehr hinter der Linie von Angela Merkel stehe als die CDU-Kandidatin Klöckner. Unaufgeregt, verlässlich, klar, so wird sie beschrieben. Die Juristin, die unter Multi Sklerose leidet und deshalb gelegentlich einen Rollstuhl benutzt, ist beliebt im Land und würde bei einer Direkt-Wahl ihre CDU-Gegnerin Klöckner klar abhängen.
Monatelang sah Julia Klöckner wie die Siegerin aus, in Umfragen rangierte die CDU weit vor der SPD. Couragiert tritt sie auf, selbstbewusst. „Ich komme vom Weingut und bin bodenständig“, so Klöckner über Klöckner, die den Spagat zwischen Gummistiefeln und Pumps, zwischen Weinfest und Schreibtisch souverän beherrscht. Ihr Fehler war vielleicht, dass sie in der Frage der Flüchtlingspolitik ein Stück weit vom Kurs der Kanzlerin abrückte und einen Plan A2 vorlegte, der u.a. Grenzzentren für Flüchtlinge vorsah. Ein umstrittener Vorschlag, der sie zwischen die Fronten der Union trieb, zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Ihre Jein-Position setzte der studierten Gymnasial-Lehrerin, Journalistin und Weinkönigin am Ende schwer zu. Und plötzlich scheint in Rheinland-Pfalz das Rennen völlig offen, ja das ZDF-Politbarometer sah Dreyers SPD erstmals mit 36 Prozent vor der CDU mit 35 Prozent, was aber über die Regierungsbildung zunächst wenig aussagt. Die Grünen schwächeln mit fünf bis sechs Prozent, die FDP liegt bei 7 Prozent. Und dann ist da noch die rechtspopulistische AfD, die in den Landtag einziehen wird, mit der aber niemand regieren will.
Genschers Geburtsort ist Halle
Sachsen-Anhalt ist ein kleines Land, bekannt geworden aus der Zeit der Wende, weil Hans-Dietrich Genscher, der damalige Außenminister, seine Geburtsstadt Halle pausenlos besuchte und Staatsgäste aus aller Welt nach Halle schleppte. Dann macht das Land durcheine merkwürdige Werbung auf sich aufmerksam: Land der Frühaufsteher, liest man seit Jahren auf der Autobahnfahrt von Hannover nach Berlin, wenn man Sachsen-Anhalts Grenze passiert. Die CDU-Ministerpräsidenten wechselten schnell, auf Gies folgte Münch, dann Christoph Bergner, der aber bei der Wahl 1994 von einer SPD-geführten rot-grünen Minderheitsregierung abgelöst wurde, die sich durch die damalige PDS tolerieren ließ, sehr zum Ärger der SPD-Fürsten aus der alten Bundespublik. Heute regiert eine so genannte große Koalition das Land: die CDU mit 32,5 Prozent und die SPD mit 21,5 Prozent, so die Zahlen der letzten Wahl 2011. Gewohnt stark die Linke,( früher SED, dann PDS) mit 23.7 Prozent, die Grünen haben gerade 7.1 Prozent, die FDP, die anfangs schon mal 13,3 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, schaffte mit 3,8 Prozent nicht den Sprung in das Parlament. Auch in Sachsen-Anhalt wird man mit einer starken AfD rechnen müssen, was die Regierungsbildung erschweren dürfte.
Es wird erwartet, dass der Amtsinhaber Rainer Haseloff(61) Ministerpräsident bleibt, die Frage ist allerdings, mit welchem Partner er regieren wird. Die SPD befürchtet ziemliche Verluste, sodass selbst eine große Koalition allein keine Mehrheit schaffen könnte.
Vier Stimmen hat Sachsen-Anhalt im Bundesrat. Eine große Koalition käme Merkel und Gabriel sehr recht. Ähnliches mag die CDU für Baden-Württemberg erhofft haben und/oder auch für Rheinland-Pfalz. Aber sollten die Grünen in Mainz stark genug für Rot-Grün werden, könnten der Bundesregierung diese Stimmen in der Länderkammer verloren gehen. Einer Sensation gleich käme in Stuttgart eine Regierung aus Grün und Schwarz. Das wäre neu und war lange vom CDU-Spitzenkandidaten Wolf ausgeschlossen worden, was aber jetzt, kurz vor der Wahl anders klingt. Und eine solche Allianz wäre möglicherweise eine Vorlage für eine Koalition auf Bundesebene nach der nächsten Bundestagswahl im Spätsommer 2017.
Viele Gesetze brauchen das Ja des Bundesrats
Der Bundesrat ist eine nicht zu unterschätzende Institution. Rund 40 Prozent aller vom Bundestag beschlossenen Gesetzesvorlagen sind zustimmungspflichtig. Ohne ein Ja des Bundesrats könnten also viele Gesetze scheitern, auch Asylgesetze. Die übergroße Mehrheit von Merkel/Gabriel im Bundestag nützt der Regierung also wenig, wenn die Länder abwinken. Und in der Länderkammer spielen die Grünen eine nicht zu unterschätzende Rolle, sind sie doch an neun Landesregierungen beteiligt, darunter in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz. 69 Stimmen sind im Bundesrat vertreten, die Mehrheit liegt bei 35. CDU und SPD, also die Parteien der großen Koalition in Berlin, verfügen nur über 24 Stimmen, also brauchen sie hin und wieder die Grünen. In der Vergangenheit wurden anders gefärbte Landesregierungen oft genug von der Bundesregierung mit finanziellen Zusagen für bestimmte Projekte aus der Ablehnungsfront herausgekauft, so geschehen unter dem Kanzler Helmut Kohl und dem Kanzler Gerhard Schröder.
Die Abstimmungen am Sonntag in den Ländern spielen also für die Bundespolitik eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Ob der Druck auf Angela Merkel zunehmen wird, wenn die Union die Wahlen verlieren sollte und mehr und mehr Abgeordnete sich Sorgen über ihre Zukunft, also ihre Mandate in den Ländern wie dem Bund haben müssen, ist ebenso die Frage wie die Sorge in Kreisen der SPD, wie sich Parteichef Sigmar Gabriel verhält, wenn die SPD eine richtige Klatsche in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt bekommt und das Ziel in Mainz nicht erreicht.
Bildquelle: Wikipedia, Alexander Hauk / www.alexander-hauk.de