Mit seiner Forderung, das Geld nicht nur zur Förderung von Flüchtlingen einzusetzen, sondern dabei auch die sozial Schwachen im Lande nicht zu vergessen, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel eine heftige Diskussion ausgelöst. Empörung kam aus dem Lager der Union, „erbarmungswürdig“ so versuchte der nie zimperliche Finanzminister Wolfgang Schäuble seinen Kabinettskollegen niederzumachen. Die Kanzlerin riet Gabriel und der SPD, sie mögen sich nicht kleiner machen und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sprach von einer „Schnapsidee“. Aber ist es wirklich so daneben, wenn der Chef einer Volkspartei, die sich in ihren Glanzzeiten auch als Anwalt der Armen und Kleinen verstand, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzt, eine soziale Balance einfordert, die auch nach Meinung der Nationale Armutskonferenz(nak) in Deutschland schon länger verloren gegangen ist?
Reich sein lohnt sich, Vermögen nehmen zu, 10 Prozent der Deutschen gehört mehr als die Hälfte des Vermögens, während die unteren 50 Prozent immer ärmer werden. Ist das gerecht? Die Wirtschaft brummt, das lesen wir jeden Monat, und manchmal wird die Jubelmeldung über die ach so tolle Konjunktur in Deutschland mit dem Zusatz ergänzt: Millionen Kinder hungern, jedes fünfte Kind lebt in Armut, in Bremen ist es schon jedes dritte Kind. Der Wohlstand in Deutschland, den man nicht übersehen kann, hat aber nicht alle Bevölkerungsteile erfasst, Millionen müssen mit niedrigen Einkommen auskommen, weil es für sie nur Mini-Jobs gibt oder Teilzeitarbeit. Und wurden vor wenigen Jahren nicht Milliarden in Banken gepumpt, um diese vor dem Zusammenbruch zu retten? Dabei war deren Pleite auch eine Folge ihrer Zocker-Mentalität, der Steuerzahler musste das ausbaden.
Medien werfen Gabriel Populismus vor
Auch ein Teil der Medien ist über Gabriel hergefallen und warf ihm ein paar Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Wahlkampf-Politik vor, Populismus statt Politik nach Augenmaß. Der SPD-Chef, der ja auch Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler der Großen Koalition in Berlin ist, hatte in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ angesichts der Milliarden-Ausgaben für Flüchtlinge verstärkte Sozialausgaben für die allgemeine Bevölkerung gefordert. Die Menschen müssten merken, „dass ihre Bedürfnisse nicht weiter unter die Räder geraten“. Es müsse mehr Geld für sozialen Wohnungsbau und außerdem mehr Kita-Plätze geben und ferner müssten geringe Renten aufgestockt werden. Gabriel wörtlich: „Das ist konkrete Politik in Deutschland, die sich ändern muss.“
Neid-Debatte wird längst geführt
Warum der Aufschrei? Die soziale Balance ist schon eine Weile gekippt, die Neid-Debatte wird längst geführt, man denke an Pegida, die AfD, der auch Anhänger aus dem SPD- und der Unions-Lager nachlaufen. Da ist es im Grunde das gute Recht, ja die Pflicht des SPD-Vorsitzenden, das aufzugreifen und nicht den Eindruck zu erwecken, es sei alles gut. Was ist daran verwerflich, wenn Gabriel die Union dafür kritisiert, dass sie an einem ausgeglichenen Haushalt festhalte und Haushaltüberschüsse, wie gerade wieder bundesweit gefeiert, für „sakrosankt“ erklärt. Zugegeben, der nächste Satz ist heftig, aber ist er deshalb schon falsch? „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“, hatte Gabriel in seiner bekannten lockeren Art ins Fernsehen gesprochen und hinzugefügt, dass er diesen Satz auf all seinen Veranstaltungen höre und das sei „supergefährlich.“
Schwarze Null und sonst gar nichts?
Die so genannte Schwarze Null wird von einigen Kreisen in Deutschland wie eine Monstranz getragen als gäbe es nichts Wichtigeres. Die Flüchtlingskrise war zumindest in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar und damit einhergehenden riesigen Kosten, die auf Bund, Länder und Kommunen zukommen, können heute nur annähernd geschätzt werden. Bisher hat der Bund die Übernahme von vier Mrd Euro zugesagt, aber das wird bei weitem nicht reichen für die Versorgung und Integration von Millionen Menschen. Die Finanzminister aller Bundesländer haben die Mehrausgaben pro Jahr auf 20 bis 25 Mrd Euro beziffert und den Bund aufgefordert, davon die Hälfte zu tragen. Zuvor hatten schon die Finanzminister von Bayern, Markus Söder(CSU), und von NRW, Norbert Walter-Borjans(SPD), dem Bundesfinanzminister Schäuble einen entsprechenden Brief geschrieben. Walter-Borjans hatte übrigens in einem Gastbeitrag für den Blog-Der-Republik die Gesamtkosten der Länder für die Flüchtlinge mit 25 Milliarden Euro angegeben, eine Summe, die nicht übertrieben scheint.
Die Schwarze Null ist ein erstrebenswertes Ziel, aber es ist nicht das Einzige. Und sie darf doch kein Selbstzweck. Verantwortungsbewusste Politik bedeutet mehr. Das weiß natürlich auch die Kanzlerin, die von Gabriels Vorstoß überrascht gewesen sein mag, Und der setzte, weil ihm Merkels Antwort zu dünn vorkam, in der „Bild am Sonntag“ nach: Die CDU müsse sich „fragen lassen, ob sie der sozialen Spaltung der Gesellschaft tatenlos zusehen will“. Der Eindruck dürfe sich nicht fortsetzen, „wir würden unsere eigenen Bürger vergessen“. In der Tat sitzt ein enormer Sprengstoff in diesem Thema, vor allem, wenn mehr und mehr Kommunen Turnhallen belegen und sie den Sportvereinen entziehen, wenn sie soziale und kulturelle Angebote kürzen müssen, weil sie die Mittel für die Versorgung der Flüchtlinge brauchen. Die CDU mache sich mitschuldig an der Radikalisierung der Gesellschaft, wenn ihr in dieser Lage ein Überschuss an Steuern im Haushalt wichtiger sei als der gesellschaftliche Zusammenhalt. Dicker Tobak, aber so ist Gabriel eben auch.
Mehr Wohnungen, mehr Kita-Plätze
Mehr bezahlbare Wohnungen, mehr Kita-Plätze, endlich mehr Bildung, damit wahr werden kann, was NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in die Worte gefasst hatte: Kein Kind zurücklassen. Mehr Programme für Langzeitarbeitslose, Aufbesserung der Mini-Renten, mehr Geld in die vielfach verlotterte Infrastruktur in Deutschland wie Straßen, Brücken, Schulen, mehr Geld für Lehrer und Polizisten. All das ist unbestritten. Aber unbestritten ist auch das Demografie-Problem: Weniger Arbeitnehmer werden für mehr Rentner aufkommen müssen. Es mag ja sein, dass dieses Problem langfristig entschärft wird, weil mehr junge Flüchtlinge Jobs in Deutschland finden und die Sozialkassen dadurch gefüllt werden, aber das ist Zukunftsmusik. Zunächst werden die Menschen aus Syrien, Eritrea, Irak und woher auch immer Geld kosten. Siehe oben und damit dürfen die Kommunen nicht allein gelassen werden.
Kauder kommt SPD-Chef bei Rente entgegen
Unions-Fraktionschef Volker Kauder scheint den Sprengstoff erkannt zu haben, der in Gabriels Forderungen steckt. Er kam dem SPD-Chef in einem wichtigen Punkt entgegen: „Wir werden etwas für die Rentner tun müssen, die sehr geringe Renten beziehen und nur schwer ihren Lebensunterhalt bestreiten können.“ Vor allem heutigen Teilzeit-Beschäftigten droht Armut im Alter, weil sie nur eine Mini-Rente beziehen.
Aufschlussreich eine Geschichte auf der erste Seiten der SZ mit der Überschrift „Ende der Kreidezeit“. Dabei geht es um den Landkreis Stormarn in Schleswig-Holstein, der einst verschuldet war und sich inzwischen „reich gespart“ hat, in dem man Krankenhäuser und Altenheime und Anteile an der Müllverbrennungsanlage sowie Grundstücke an private Betreiber verkaufte. Der Landrat verzichtete auf den Chauffeur, Jubilare erhielten nur noch eine Urkunde statt einer Glückwunschkarte. Der Deutsche Kinderschutzbund gießt allerdings Wasser in den Feier-Wein, in dem er feststellt, „dass jedes 6. Kind im reichen Storman arm“ sei.
Wahlkampf, Bumerang gar, Populismus? Es geht nicht um hemmungslose Schuldenmacherei, sondern darum, der sozialen Schieflage gegenzusteuern. Und da hat Gabriel Recht.
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