Der Bundestag hatte zum Holocaust-Gedenken eingeladen. Die Gedenkrede aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und seiner Nebenlager am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee hielt Ruth Klüger, damals 13 Jahre alt. Zusammen mit ihrer jüdischen Mutter überlebte sie drei Konzentrationslager der Nazis. Nach dem Abitur in Deutschland ging sie in die USA. und wurde Professorin für Literaturwissenschaften. Als Autorin berühmt sind ihre Erinnerungen „Weiterleben“. Im Bundestag erinnerte sie, die selbst als Kind Sklavenarbeit in einem Steinbruch erleiden musste, an die 13 Millionen Zwangsarbeiter in Hitlerdeutschland. Sie rief auch die aktuelle Flüchtlingssituation auf und nannte den Slogan „Wir schaffen das“ heroisch.
Vor dem Reichstag demonstrierten gleichzeitig einige Dutzend Kurden gegen die Verfolgung ihrer Landsleute in der Türkei und forderten die Bundesregierung auf, den Deal mit der türkischen Regierung, mit dem der Verbleib von Flüchtlingen in der Türkei gesichert werden soll, zu beenden, solange dort Kurden blutiger Verfolgung ausgesetzt seien.
Im Bundestag stehender Applaus für Ruth Klüger, die betonte, die Einladung nur deswegen angenommen zu haben, weil Deutschland den Menschen aus den Krisenstaaten des Nahen Ostens Aufnahme gewährt. Und sie erhielt selbstredend nach ihrer Rede auch den stehenden Applaus der CSU-Landesgruppe im Plenarsaal, die in Bayern den von Ruth Klüger als heroisch empfundenen Slogan „Wir schaffen das“ für einen Fehler hält, der schleunigst beendet werden sollte.
13 Millionen Zwangsarbeiter
Deutsche Zustände, am Holocaust-Gedenktag, an dem auch den 13 Millionen Zwangsarbeitern gedacht wurde, von denen Tausende die Sklavenarbeit in Nazi-Deutschlands nicht überlebten.. Allein in Berlin gab es mehr als 3000 Unterkünfte für Fremdarbeiter bis 1945. Erst im Jahr 2000 gelang es, den wenigen Überlebenden materielle Hilfe anzubieten und so wenigstens ihr Leid als Sklavenarbeiter anzuerkennen.
Vor dem Hintergrund der zunehmend rechtsextremistisch und neonazistisch eingefärbten PEGIDA- Demonstrationen in Dresden klang die wohlgemeinte Hoffnung des Bundestagspräsidenten wie bitterer Hohn, dass alle Menschen in Deutschland aufgefordert seien, den Flüchtlingen heute beizustehen. Mehr als 100 Brandanschläge und tausend Attacken gegen Flüchtlinge und ihrer Unterkünfte zeigen, dass erneut Fremdenhass und Rassismus in Deutschland wieder an Boden gewinnen.
Gleichzeitig macht die bayerische CSU deutlich, dass ihr der historische Atem fehlt, der vom Holocaust bis heute deutsche Gegenwart prägen sollte. Die Androhung, das Verfassungsgericht anzurufen, um Flucht nach Deutschland zu erschweren, ist fatal. Die anrührende Geschichtsstunde im Bundestag macht vor allem die Geschichtsvergessenheit der CSU deutlich, die sogar den Bruch der Koalition in Kauf nimmt, um den vermuteten Rechtsruck für sich zu nutzen.
Bildquelle: Deutscher Bundestag / Achim Melde