Die Wirtschaft brummt, der Bundeshaushalt weist einen Überschuss in Höhe von mehr als zwölf Milliarden Euro aus, doch Millionen Kinder in Deutschland werden nicht wirklich satt: Sie hungern nach Chancen für ihre Zukunft. Jedes fünfte Kind lebt in Armut, in Bremen sogar schon jedes dritte, und noch immer sind überzeugende politische Maßnahmen dagegen nicht in Sicht.
Die jüngsten Zahlen hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet. Sie bestätigen den Trend aus der Studie der Bertelsmann-Stiftung vom vergangenen Mai. 19 Prozent der Kinder leben in Deutschland in Haushalten, die von Einkommensarmut betroffen sind.
Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Armutsschwelle derzeit bei einem verfügbaren Nettoeinkommen von weniger als 1926 Euro im Monat.
Die Kinderarmutsquote liegt beharrlich hoch und übersteigt mit bundesweit 19 Prozent deutlich die durchschnittliche Bevölkerungsarmut, die das WSI auf 15,4 Prozent beziffert. Doch so zementiert, wie es die Statistik erscheinen lässt, ist das Problem nicht. Es gibt erhebliche regionale Unterschiede und folglich auch die Möglichkeit, im Kampf gegen Kinderarmut zu erzielen.
Durch Zuwanderung wächst Problem
Höhe und Entwicklungstendenzen der Kinderarmut unterscheiden sich der Analyse zufolge regional stark. Während in Bremen 33,1 Prozent, in Sachsen-Anhalt 28,7 Prozent und im Regierungsbezirk Düsseldorf 25,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen in armen Haushalten leben, sind es in den Regierungsbezirken Oberbayern, Oberpfalz und Tübingen lediglich 9,1 bis 10,5 Prozent. Das WSI hat die neuesten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus 2014 ausgewertet und insgesamt 2,47 Millionen Kinder in Armut ermittelt.
Entscheidender Faktor, um Kinderarmut zu verhindern, sind nach Ansicht von WSI-Sozialexperte Dr. Eric Seils, Berufstätigkeit und existenzsichernde Einkommen der Eltern. Weil es daran erfahrungsgemäß bei Zuwanderern aus dem Nahen Osten, Afrika und Südosteuropa hapert, erwartet der Wissenschaftler, dass die Kinderarmut vor dem Hintergrund der starken Zuwanderung in den kommenden Jahren spürbar steigen wird.
„Selbstverständlich sollte zunächst im Vordergrund stehen, dass diese Kinder durch ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Krieg und Terror entgangen sind“, sagt WSI-Forscher Seils. Viele von ihnen trügen aber ein hohes Risiko, in Armut aufzuwachsen. Das legen Daten zur Armutsquote von Familien nahe, die bereits früher aus diesen Regionen eingewandert sind. So haben 34 Prozent der Familien mit Kindern, bei denen die Eltern aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Deutschland kamen, nur ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle. Bei Familien aus Serbien und aus Afrika betrage die Armutsquote sogar über 40 Prozent.
Investitionen in Bildung und Qualifikation
„Das zeigt die Herausforderung, vor der wir insgesamt bei der Bekämpfung der Kinderarmut stehen“, sagt der Forscher. „Um aus der Armut herauszukommen, brauchen solche Eltern nicht irgendeinen Job, sondern eine möglichst gute Integration in den Arbeitsmarkt.“ Der Schlüssel dazu seien verstärkte Investitionen in Bildung und Qualifikation. Zudem sei eine weitere Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung nötig, fordert der Wissenschaftler. Diese stelle für viele Familien eine Voraussetzung dafür dar, in existenzsicherndem Umfang zu arbeiten. Flankierend wirke ein angemessener Mindestlohn, der Lohndumping begrenzt.
Die Situation am Arbeitsmarkt hat laut Seils den größten Einfluss auf Höhe und Entwicklung der Armutsquote. Außerdem spiele die Familienstruktur eine erhebliche Rolle: Alleinerziehende und ihre Kinder seien besonders häufig von Armut betroffen. In Ostdeutschland sank der Anteil armer Kinder mit abnehmender Arbeitslosigkeit in den zurückliegenden zehn Jahren laut WSI deutlich von 29 Prozent 2005 auf 24,6 Prozent 2014. Dennoch sei Kinderarmut in den neuen Ländern weiterhin weitaus verbreiteter als in den alten, wo die Quote 17,8 Prozent betrage. Auch in Bayern sei die Kinderarmut im Zehn-Jahresvergleich merklich gesunken. Dagegen habe sie in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz zugenommen.
Die Studie der Bertelsmann-Stiftung hatte im Frühjahr 2015 einige Auswirkungen der Armut für den Alltag der Kinder beschrieben: Sie haben keine Chance auf einen Urlaub von mindestens einer Woche, sie können keine Freunde nach Hause einladen, sie haben zu Hause keinen Zugang zum Internet, sie leben in Familien ohne Auto und – auch wenn zumeist für das Nötigste gesorgt ist – bei zehn Prozent der Kinder reichen die finanziellen Mittel nicht für ausreichende Winterkleidung. Darüber hinaus zeigen Studien seit langem, dass Armut Deutschlands Kinder um ihre Bildungschancen bringt.
Bildquelle: Habitat for Humanity Deutschland e.V.