„Herbergssuche“ hieß der Gastbeitrag von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, für die „Süddeutsche Zeitung“ vor ein paar Tagen. Marx, zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, war es nicht entgangen, dass ausgerechnet ein Vertreter der Linkspartei, Dietmar Bartsch, in der Generaldebatte des Bundestages zur Flüchtlingspolitik den Evangelisten Matthäus zitiert hatte: „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ Bibelworte und dann noch von einer kirchenkritischen Partei?
Es ist die Vorweihnachtszeit, da wird das Soziale gern bemüht. Und überhaupt reden die Deutschen gern von der Willkommenskultur, wenn sie die Arbeit von Hunderttausenden von ehrenamtlichen Helfern zur Bewältigung der Flüchtlingskrise in der Republik würdigen. Dabei sollten wir jedweden Kitsch vermeiden, zumal diese Kultur, ungeachtet aller zu würdigenden Anstrengungen, angesichts von Anschlägen ins Gerede gekommen ist.
Helfen ist gelebte christliche Nächstenliebe, Menschenwürde heißt das in Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und wir müssen den Menschen in Not helfen. Das ist auch das Gebot der Stunde. 60 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht. Über eine Million von ihnen sind in Deutschland allein in diesem Jahr angekommen, irgendwie untergebracht worden, sie haben ein Dach über dem Kopf und werden versorgt, medizinisch behandelt, ernährt. Natürlich können wir nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Aber wenn sie da sind, müssen wir uns um sie kümmern, wir müssen sie menschlich behandeln. Letzteres gilt auch für jene armen Menschen, darunter Sinti und Roma, die nach Prüfung der Asylgründe wieder in ihre Heimat zurück müssen, also abgeschoben werden. Auch hier ist die Würde des Einzelnen zu beachten, wir dürfen sie nicht wie einen wilden Hund vom Hof jagen.
Die Würde des Menschen
Deutschland ist ein Rechtsstaat. Dazu gehört auch die Art und Weise, wie diese Prüfungen von Flüchtlingen vorgenommen werden. Rechtsstaat heißt Stärke des Rechts und nicht Recht des Stärkeren. Dazu gehört, dass auch jene, die am Ende kein Bleiberecht erhalten, ordentlich behandelt werden. Sie müssen zurückgebracht und dürfen nicht rausgeschmissen werden. Die Würde des Menschen steht gerade auch diesen Flüchtlingen zu. Meldungen über schnelleres Abschieben lassen leider anderes befürchten. Gehen wir nicht den Fremdenfeinden auf den Leim, folgen wir weder Pegida noch der AfD, deren Vize Gauland die Flüchtlingskrise als Glück seiner Partei bezeichnet hatte, die mit den steigenden Flüchtlingszahlen ihre Position in der deutschen Parteienlandschaft erheblich verbessern konnte.
Politik auf dem Rücken der Armen, der Flüchtlinge, welches Armutszeugnis für eine Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt und hoffentlich nie eine ernstzunehmende wird. Wir haben eine Mitverantwortung gerade gegenüber den Menschen in Not. Sie bedürfen unseres besonderen Schutzes gerade dann, sie sind schwach und arm. Auf sie draufzuhauen oder auf sie loszugehen, ihre Heime anzuzünden, wie erbärmlich ist das denn?! Die weihnachtliche Botschaft heißt auch, dass Christus vor allem für die Armen und Schwachen da ist. Jesus war Flüchtling, die Familie floh von Bethlehem nach Ägypten, wo sie vier Jahre blieb, bis Herodes starb. Damals der Stall, heute die Turnhalle, das Bild wird in diesen Tagen oft bemüht.
Vorsorgende Politik
Wir dürfen es dabei nicht verwenden lassen, die Krise wird nach Weihnachten weitergehen. Hilfe vor Ort ist das eine, Hilfe draußen in der Welt das andere. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, damit es erst gar nicht zu einer solchen Völkerwanderung kommt. Deshalb brauchen wir eine vorsorgende Politik, auch eine Wirtschaftspolitik, die den Menschen in Afrika eine Chance zum Leben gibt. Der Schlüssel zum Frieden, um noch einmal Kardinal Marx zu zitieren, ist die Beseitigung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts auf der Welt, die nicht allein dem Westen gehört und uns, sondern auch denen im Süden der Welt.
Vorsorgende Politik heißt nicht Krieg zu führen, wie das in der Vergangenheit oft auch und gerade unter Führung des Westens gemacht wurde. Beispiel Irak, wo die USA wieder einmal versagt hatten und auch Europäer in diese Katastrophe hineinzogen. Deutschland, der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, hat damals Nein gesagt und wurde dafür heftig kritisiert bis verspottet. Angela Merkel wird sich erinnern, sie hat damals keine gute Rolle gespielt, als sie in einer USA-Zeitung schrieb: „Gerhard Schröder spricht nicht für alle Deutschen.“
Integration von einer Million Flüchtlingen, das ist eine Riesenherausforderung, nicht nur finanziell, auch kulturell, politisch. Wie reagieren die Flüchtlinge auf die deutsche Kultur, auf das, was hier gilt und zählt? Werden sie diese Kultur annehmen oder sich verschließen? Es geht nicht nur um die Sprache, die sie lernen müssen als Voraussetzung für ein Gelingen einer solchen Herkules-Aufgabe. Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar, heißt es bei CDU wie SPD. Die Flüchtlinge werden sich an unsere Regeln anpassen müssen, hat NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft(SPD) gesagt. Und das heißt: die Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, auch wenn sie selbst in Deutschland längst nicht in allen Bereichen des Lebens-zumal in der Wirtschaft- Alltag ist.
Meinungs- und Pressefreiheit
Zu unseren Kulturwerten gehören ferner die Meinungs- und Pressefreiheit, die Religionsfreiheit, die repräsentative Demokratie, die Absage an den Rassismus und Antisemitismus. Diese Kultur den Millionen Flüchtlingen, darunter auch den vielen Muslimen zu vermitteln, das ist die Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Es wird Jahre dauern, bis es gelingt. Vergessen wir nicht, auch den Deutschen fielen diese Errungenschaften nicht in den Schoss. Allein die Auseinandersetzung mit dem schwärzesten Kapitel der deutschen Geschichte, der Nazi-Zeit, dauerte Jahrzehnte. Und beendet ist das Kapitel nicht, es wird es wohl nie.
(s. auch Heinrich August Winkler in der SZ)
Bildquelle: Wikipedia, Dieter Schmitt, Fulda DSC, CC BY-SA 3.0