In Aachen sangen am 1. Advent Schulkinder für die Neuankömmlinge, Flüchtlinge, damit sie sich aufgenommen fühlen: „Hey, so soll es sein, du bist nicht allein…“, sangen sie. Der VfL Osnabrück veranstaltet passend zum Heimspiel rund ums Stadion ein Willkommensfest. In Obersontheim – falls Sie das nicht kennen: Das liegt gleich neben Bühlertann und kurz vor Michelbach an der Bilz – im Landkreis Schwäbisch Hall – In Obersontheim haben sich 44 Ehrenamtliche zusammen getan, um die Ankunft von 55 Flüchtlingen vorzubereiten. „Ihnen ist die freudige Spannung anzumerken,“ stand im Haller Tagblatt. Es gibt auch gute Nachrichten: Für den VfL Osnabrück gab es zur Belohnung gegen den Chemnitzer FC einen 2:0-Erfolg.
Rund 900.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr gekommen. Eine große Aufgabe für unser Land, keine Frage. Sie sind geflohen, und sie sind hier bei uns jedenfalls eingetroffen. Bis zum „Ankommen“ ist es für die meisten sicher noch ein weiter Weg. Und dennoch, ist es nicht auch ein Wunder, dass für diese Flüchtlinge Deutschland zum Sehnsuchtsort wurde?
Nicht überall ist der Empfang so nett wie in Aachen, Obersontheim oder Osnabrück.. Allzu oft hören wir ganz andere Nachrichten: Mehr als 900 Angriffe gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte und gut sechzig Brandanschläge allein in den letzten Wochen. Brennende Häuser, in die Flüchtlinge einziehen sollen. Busse werden blockiert, mit Steinen beworfen, wenn Flüchtlinge in ihre Unterkünfte gebracht werden sollen. Und dann noch der Aufmarsch eines rechtradikalen Mobs vor ihrer Unterkunft, der bösartige und hasserfüllte Parolen skandiert, die auch im Netz in ihrer fürchterlichen Gnadenlosigkeit nachlesbar sind. Welche Schrecken müssen Flüchtlinge verarbeiten, die sich doch endlich in Sicherheit wähnen.
50 Jahre nach den Auschwitz-Prozessen
Die für mich schlimmste Hassmail im Netz lautet: „Die Gleise nach Auschwitz liegen noch“ und das fünfzig Jahre nach den Auschwitzprozessen, die das ganze Ausmaß der braunen Mordtaten belegen. Aus den Niederlanden kam die Meldung: In der Nähe der Stadt Enschede haben Unbekannte abgehackte Schweineköpfe vor einer geplanten Flüchtlingsunterkunft platziert. Menschenfeindlichkeit ist grenzüberschreitend und kennt offenbar keine Tabus. Gott sei Dank haben die künftigen Bewohner das nicht gesehen.
Nun sollen es also Kontingente richten, um den Flüchtlingsstrom zu bremsen, so der SPD-Parteitag und ähnlich die CDU. Dafür soll die Türkei ins europäische Boot geholt werden. Für den türkischen Präsidenten Erdogan hätte es nicht besser laufen können. Drei Milliarden Euro für zwei Millionen Flüchtlinge, von denen rund 200 000 in Camps festgehalten werden. Der Rest kampiert auf den Straßen des Landes. Das Geld soll dafür ausgegeben werden, dass sich die Lage der Flüchtlinge dort bessert. Wir sind im Advent; es ist die Zeit für Wunder. Vielleicht wird über Nacht in der Türkei ein Wunder geschehen…
In Europa ist man froh über jeden Flüchtling, der wegbleibt; so genau will man gar nicht wissen, wie die Türken das managen. Die Flüchtlinge aus Syrien, die in der Türkei stranden, geraten in Wahrheit in Geiselhaft und sind Unterpfand, für das Erdogan-Regime internationale Beobachtung und Reaktion nicht fürchten zu müssen.
Türkei unterstütz den IS mit Waffen
Denn nach wie vor, das berichtet die Zeitung Cum Hürriyet, unterstützt die Türkei den IS mit Waffenlieferungen. Alles ist recht, was einen Kurdenstaat verhindern hilft. Jede Nacht, so war zu lesen, wechselten mit Waffen beladene LKWs über die Grenze nach Syrien. Prompt wanderten der Chefredakteur und ein Reporter des Blattes ins Gefängnis, ihnen wird Spionage und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Kritiker Erdogans wie der kurdische Menschrechtsanwalt Tahir Elcir werden auf offener Straße erschossen.
Folgerichtig in Brüssel bei der Sondersitzung und in Anwesenheit des türkischen Regierungschefs dazu kein Wort der Missbilligung. Realpolitik. Man wollte die Türkei nicht mit kritischen Bemerkungen behelligen, schließlich sollen die zwei Millionen Flüchtlinge erstmal dort bleiben. Dann sollen Kontingente aufgeteilt werden und schubweise nach Europa weiter ziehen können. Allerdings haben sich nur neun EU-Mitglieder bereit erklärt, noch zu bestimmende Kontingente auch aufzunehmen.
Die anderen 18 Mitgliedsländer verweigern sich weiter. In der Europäischen Union ist „burden sharing“ bislang nicht durchsetzbar. Deutschland wird wohl weiterhin weitgehend ohne Unterstützung aus der EU bleiben, wenn es darum geht, Menschen aus Bürgerkriegsländern aufzunehmen.
Erneut wird auch eine Debatte um Obergrenzen geführt, und das nicht nur in Bayern. Dies, obwohl jeder wissen kann, dass sie politisch sinnlos sind, weil in der Sache nicht durchführbar. Das Asylrecht und das Grundgesetz lassen Obergrenzen nicht zu, sie sind zudem weder im Völkerrecht noch in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen. Lassen Sie uns die Idee „Obergrenze“ trotzdem kurz durchspielen. Das Ziel wäre also, eine Zahl von Flüchtlingen festzulegen, denen wir Schutz gewähren. Schon die Zählung wäre nicht einfach. Werden Kinder mitgezählt? Oder dürfen sie bei ihren Eltern bleiben? Oder zählen sie von einem bestimmten Alter an, ab drei, sechs, oder ab 12 oder so? Nehmen wir an, diese erste Hürde wäre genommen. Wie kommt die Bundesrepublik Deutschland dann raus aus der Verpflichtung, das Völkerrecht einzuhalten? Verträge kann man natürlich kündigen. Ist das vorstellbar? Dass Deutschland vom Völkerrecht zurücktritt?
Genfer Flüchtlingskonvention
Es lohnt, sich in diesem Zusammenhang die Geschichte der Genfer Flüchtlingskonvention nochmal ins Gedächtnis zu rufen: Sie wurde auch deshalb begründet, weil 1938 der Versuch gescheitert war, für aus Deutschland geflüchtete Juden Aufnahmekontingente festzulegen. Flüchtlingsfragen, das ergibt sich daraus, gehen die ganze Welt etwas an, das ist die Kernidee der Genfer Konvention.
Fliehen und Ankommen: Damit die Geflüchteten wirklich ankommen können, braucht es eine Gesellschaft, die sich wehrt gegen diejenigen, die den Kern unserer Demokratie missachten und angreifen.
Alles fixiert sich auf den Terror des IS – und schnell wird dabei zweierlei übersehen. Erstens, dass es eben dieser Terror ist, der Bürgerkrieg, der Existenzen zerstört und Menschen zu Flüchtlingen werden lässt. Sie laufen ja vor eben diesen Angriffen auf ihre Freiheit um ihr Leben und nehmen neue Lebensgefahr und gefährliche Wege auf sich, um zu überleben. Es ist schäbig, wenn aus Opfern Täter gemacht werden sollen. Umfragen belegen, die Mehrheit von ihnen will lieber heute als morgen wieder zurück und ihr Land wieder aufbauen.
Zweitens aber wird vergessen, dass die größte innenpolitische Herausforderung des demokratischen Staates vom rechten Rand der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgeht. Noch immer fällt es manchem offenbar schwer, diese Gefahr für den inneren Frieden zu erkennen. Wir haben den religiös drapierten Terror von Außen mit fehlgeleiteten Gefährdern, auch solchen mit deutschem Pass. Und wir haben den deutschen rechtsextremen Terror im Innern, der sich durch leichtfertiges Gerede auch aus dem politischen Raum ermuntert fühlen kann. Wie ist die Lage: Der Kampf von Rechtsaußen gegen Flüchtlinge einigt den bislang weitgehend losen Verbund neonazistischer Kameradschaften, die Aktionen planen, die sich auch strategisch gegen das verhasste demokratische System richten.
Da muss hingesehen werden, und hier muss die Demokratie wehrhaft sein, wehrhafter als bisher. Auch auf den institutionellen Rassismus ist zu achten, der bei der Verfolgung des Nationalsozialistischen Untergrunds über ein Jahrzehnt die Ermittler in die von eigenen Vorurteilen gepflasterte Irre führte. Nicht nur die NSU brauchte polizeiliche Nachforschungen nicht zu fürchten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. 900 Attacken gegen Flüchtlinge und mehr als 60 Brandanschläge gegen ihre Unterkünfte und bislang ein verurteilter Täter, in acht weiteren Fällen ermitteln Staatsanwaltschaften. Ist das Verfolgungsdruck?
Die Initiative Gesicht Zeigen:
Ich habe sie vor 15 Jahren gegründet, zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Schwerpunkt unserer Arbeit ist der Kampf gegen Rechtsextremismus. Seit dem Mauerfall beklagen wir rund 180 Tote, Opfer rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland. Ungezählte verletzte Opfer gibt es zudem, die unbeachtet bleiben, obwohl sie oft psychische Folgen verkraften müssen, die manchen traumatisiert und berufsunfähig werden ließ. Der Verfassungsschutz zählt rund 10.000 gewaltbereite Rechtsextremisten in Deutschland. Wie es scheint, wird die AFD zum Sammelbecken auch enttäuschter NPD-Wähler. Diese Herausforderung und wachsende Gefährdung der Flüchtlinge durch einen aggressiven und gewaltbereiten Rechtsextremismus müssen wir annehmen und gemeinsam zurückweisen.
Was ist der Grund für den Mangel an Erregung darüber? Sind die Schreckensorte schon vergessen? Solingen, Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen! Heute tobt der rechte Mob überall. Gehen wir mit deutschem rechten Terror etwa nachsichtiger um? „Homegrown“ – deutscher Mob?
Dennoch, davon bin ich weiter überzeugt, die Mehrheit im Land steht dagegen. Auch wenn nicht mehr täglich darüber berichtet wird: Die Arbeit in den Flüchtlingsheimen wäre ohne ehrenamtliche Helfer nicht zu leisten, Menschen, die bis zur Erschöpfung arbeiten – und dann doch am nächsten Tag wieder kommen. Ich bewahre das Bild vom Hauptbahnhof München in meinem Kopf, das Willkommen und die Bereitschaft, den Menschen zu helfen, die vielfach durch die Hölle gehen mussten. Das zügelt meine Skepsis. Für Verzweiflung ist keine Zeit. Ich habe die Hoffnung, dass wir die Herausforderung annehmen, und, anders als die Eliten der Weimarer Republik, die Herausforderung bestehen werden.
Auch „Gesicht Zeigen“ hat Projekte, die sich einfügen in das, was wir uns angewöhnt haben, als Willkommenskultur zu bezeichnen. Es ist ein junges Team, dass „Gesicht Zeigen“ mit einfallsreichen Projekten trägt. Im Tipi am Kanzleramt hatten wir einen bunten Nachmittag mit fröhlichem Programm für 500 Flüchtlinge mit Kind und Kegel, die auf Farsi, Arabisch und Englisch eingeladen, mit Bussen von ihren Unterkünften abgeholt wurden – und die einfach nur einen sorglosen Nachmittag haben sollten, mit Essen und Trinken und Musik. Es war ein schöner Tag, sicht- und hörbar in befreiender Stimmung. Jeden Dienstagabend lädt „Gesicht Zeígen“ zudem in den Räumen unserer interaktiven Ausstellung „7mal/jung“ zu einem Sprachcafé ein, in dem mittlerweile einige hundert Stunden Deutschunterricht gegeben wurden. Sie kommen mit und ohne Kinder und genießen drei Stunden außerhalb ihrer Unterkunft. Es werden Brote geschmiert für ein kleines Abendessen. Die Lehrer und -innen kommen in ihrer Freizeit und ehrenamtlich. Und wir merken uns Namen wie Fadi, Marah, Haissam, Hatibilo oder Media. Sie kommen aus dem Iran, Syrien, Afghanistan oder Irak.
Mehr als 12000 Jugendliche
In der Ausstellung selbst waren ansonsten bislang mehr als 12.000 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren, Klassen aus Berliner Schulen oder solche, die zum obligaten Besuch aus der Republik in die Hauptstadt kommen, um hier einen Tag auf dem von uns eingerichteten „Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt“ zu verbringen“, um eben dies zu trainieren. In sieben Themenräumen kommen die jungen Menschen zumeist schnell ins Gespräch: Die Ausstellung vermittelt den Jugendlichen, wohin Antisemitismus, Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung führen können und was man heute dagegen tun kann. Zugleich erhalten wir Besuch von Delegationen aus aller Welt, die das Auswärtige Amt zu uns schickt und die eine Holocaust-Education erleben, die auf überraschende Weise den Brückenschlag zwischen Damals ins Heute schafft.
Es sind Schulklassen mit hohem Migrations-Anteil. Und die in Deutschland geborenen Jugendlichen erfahren, oft zum ersten Mal, dass unter ihnen Gleichaltrige sind mit eigener Fluchtgeschichte und hier, bei uns, erfahrener Ausgrenzung. Dort ist das Gespräch möglich, zu dem der Alltag in der Schule keinen Platz zu bieten scheint. Manche Lehrer, die ihre Klasse begleiten, sehen und hören einfach nur zu und lernen ihre Schüler oft neu kennen. Ich schaue immer wieder ins Gästebuch; die Einträge der Jugendlichen zeigen, dass wir da einen guten Weg beschreiten.
Die Finanzierung der Ausstellung, an Donnerstagen auch für Publikumsverkehr geöffnet, ist auch das nächste Jahr gesichert. Das Familieministerium hat die Bundesmittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus erhöht und stellt Gelder auch für vorbeugende Projekte zur Verfügung, die sich um jugendliche Einwanderer kümmern, die im Fokus von Islamisten stehen. Wir sind dabei, auch da neue Wege zu gehen. Und je besser wir die Flüchtlinge Dienstags im Sprachcafé oder die Einwandererkinder in unserer Ausstellung kennenlernen, umso stärker ist das Gefühl, dass sie unsere Gesellschaft bereichern können.
300 Flüchtlinge ertranken im Meer
Seit der große Flüchtlingsstrom in Bewegung ist und über die Balkanroute auch bis zu uns reicht, habe ich darüber im Netz als Blogger geschrieben. Und zwar für den „blog-der-republik.de“. Wir Autoren des blogs wollen zu sinnenfrohem Nachdenken anregen. Einige meiner Beiträge ergeben fast ein Tagebuch dieser Zeit, das mit dem Stichwort Lampedusa beginnt und mit den Städtenamen Paris, Brüssel, Tunis nicht enden wird. Am 3. Oktober 2015 wurde 25 Jahre Einheit gefeiert; genau ein Jahr zuvor, am 3. Oktober 2014, ertranken 300 Flüchtlinge im Mittelmeer. Der damalige EU-Präsident José Manuel Barroso war aus Brüssel angereist, um seinem Bedauern Ausdruck zu verleihen. Diese 300 Toten sind fast aus der Erinnerung geschwunden. Mittlerweile folgten ihnen hunderte andere in den nassen Tod.
Der römische Papst erinnert daran und ermahnt uns, dass wir uns nicht an das Massengrab Mittelmeer gewöhnen dürfen. Er verweist auch auf andere Defizite, auf die wie er sagt „Vernachlässigung alter Menschen“, die er als „heimliche Euthanasie“ kennzeichnet und er warnt vor einer „Kultur der Entsorgung“, die auch Jugendliche oder Kinder ausgrenze und vor einer „geistigen Verarmung“. Es kommt mir so vor, als hänge dies alles miteinander zusammen?
Ebenfalls im vergangenen Jahr erreichte ein rührender Weihnachtsbericht die Öffentlichkeit. Ein Baby und seine Mutter Judith, eine junge Nigerianerin, landeten nach abenteuerlicher Flucht an der spanischen Küste. Der Säugling war auf der Nussschale geboren worden, mit der 38 schwarzafrikanische Armutsflüchtlinge, unter ihnen Judith, den Weg aus ihrem Elend suchten. 50 Seemeilen vor der spanischen Küste hatten bei ihr die Wehen eingesetzt. Und nun ist das Kind auf der Welt, sein Geburtsort ein überfülltes Schlauchboot, seine Mutter gab ihm den Namen: „Happiness“. Was kann ein Menschlein erwarten, das seit dem ersten Tag seines Lebens auf der Flucht ist? Nach allem, was Menschen sich gegenwärtig gegenseitig antun, wird es viel davon brauchen, was ihm sein Name verheißt: Glück.
Auch der Name der Mutter, Judith, ist voller Symbolik. Der Freibeuter und Günstling seiner Königin Elisabeth I. von England, Francis Drake nannte seine Galeone „Judith“, mit der er auch Sklavenhandel betrieb. Afrika hatte schon immer einiges auszuhalten und zumeist war wenigstens eine der europäischen Seemächte daran beteiligt. Manches Mal standen sich Spanien, England, Holland kriegerisch gegenüber und trugen ihre Kriege bis nach Afrika. Kurzzeitig gesellte sich das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm II., aber reichlich todbringend dazu.
Ausbeuter global agierende Konzerne
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, außer dass die Ausbeuter jetzt vornehmlich global agierende Konzerne sind. Nigeria zum Beispiel, mit seinen sprudelnden Ölquellen, könnte reich sein; die Gewinne aus der Ölförderung, in ein ordentliches Gemeinwesen investiert, könnten Nigeria zu einem afrikanischen Vorzeigeland machen. Doch das Öl ist eher sein Untergang, sein Reichtum versickert in einer korrupten politischen Oligarchie. Das Recht auf Ölförderung haben sich internationale Konzerne preiswert gesichert. Wenige Nigerianer werden dadurch reich: Die Armut ist geblieben.
Dass die Ölförderung der Konzerne wenig auf Umweltsicherheit Wert legt, weil sichere Leitungen ja Geld kosten würden, zeigt das Niger-Delta. Das Delta war vor dem Ölzeitalter ein Naturparadies, fischreich, mit Mangrovenwäldern, und bot den Menschen eine Lebensgrundlage. Alles zerstört, die Multis sind weiter gezogen und hinterließen ein ölverseuchtes Land. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sich davon zu machen, so auch Judith. Sie und ihre Tochter werden bei uns „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt und im Zweifel in das Elend zurück geschickt, aus dem sie zu uns geflohen waren.
Judith und „Happiness“ gingen Weihnachten 2014 in Spanien an Land. Jetzt fast ein Jahr alt, fängt das Mädchen bestimmt an zu laufen. Was wird es erwarten können? Ich denke oft an das Kind, im Schlauchboot geboren. Ein kleines Mädchen mit einem Namen, der ein Versprechen ist. Sie und ihre Mutter Judith, ich wünsche ihnen, ein zufriedenes Leben, und dass sie nie in Versuchung kommen, sich mit Bitterkeit zu erinnern, die Flucht und Fahrt über das Wasser lebend überstanden zu haben. Viel Glück, ist die Verheißung des Namens eines kleinen Mädchens, und davon werden sie reichlich brauchen.