Einem Zufall ist es zu verdanken und nichts zu tun hat es mit dem Terrormassaker vom 13. 11., dass mir das Buch „Adieu Paris“ von Daniel Anselme unter die Augen gekommen ist. Ich fliege immer schon auf alles, wo Paris draufsteht. In diesem Fall habe ich ein Kleinod entdeckt. Auf 187 Seiten ereignet sich ein kurzer Urlaub dreier Soldaten in Paris. Es ist das Jahr 1956 und die drei sind befreundete Wehrpflichtige, die zehn Tage Urlaub vom Algerienkrieg haben. Am Anfang sitzen sie in einem Zug nach Paris, am Ende steigen sie einen Zug zurück in den Krieg, der damals – und noch viele Jahre lang – nicht Krieg heißen durfte.
Die bedrückende Stimmung der Abfahrtszene im Gare de Lyon – es ist schon spät, stockdunkel und regnet in Strömen – mag den Verlag zu dem missverständlichen deutschen Titel des im Original „La Permission“ betitelten Romans inspiriert haben.
Interessant ist schon die Rezeptionsgeschichte des Buches, die die Übersetzerin Julia Schoch in ihrem Nachwort beschreibt: in Frankreich nach der Erstauflage 1957 für immer verschollen, entdeckte es ein englischer Literaturwissenschaftler wieder und übersetzte es. Die Übersetzung erschien in New York. Dank Julia Schoch, die unter anderem auch die Übersetzerin der genialen Fred Vargas ist, erscheint es auf deutsch erstmals 2015 im Verlag Arche.
In die Résistance gefolgt
Daniel Anselme, der Autor, war seinem Vater 16jährig in die Résistance gefolgt und hat beider Untergrundnamen beibehalten. Er war unter anderem Journalist, zeitweise Kommunist, Gewerkschafter, gründete eine Zeitschrift und initiierte eine freie Radiostation. Er schrieb insgesamt drei Romane und starb 1989 im Alter von 62 Jahren.
Die Geschichte lässt uns miterleben, wie die Soldaten mit zunehmender Resignation daran scheitern, Anschluss an das zivile Leben ihrer Heimatstadt zu finden und es schließlich sogar aufgeben. Einer lässt – schon vor der Haustür stehend – das festliche Abendessen sausen, das seine Familie ihm zum Abschied veranstaltet und zieht lieber mit den beiden Kameraden um die Häuser, bis sie den Zug zurück in den Krieg besteigen.
Der Grund ihrer Vereinzelung ist die Weigerung der Öffentlichkeit, den Algerienkrieg überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Entsprechend ignorant, bestenfalls verunsichert begegnet man den jungen Männern – sie stören die Illusionen, aus denen niemand aufgeweckt werden möchte. Während den Soldaten das Grauen des im Roman nur angedeuteten Kriegsgeschehens unter die Haut gegangen ist und ihnen in den Knochen steckt, werden sie gefragt, ob denn das Essen in Algerien in Ordnung sei.
Ein Sittengemälde
Mich beeindruckt am meisten die Schilderung des Essens bei der sympathischen Arbeiterfamilie des rangniedrigsten der drei Freunde, an dem auch ein machtbewusster, glühend gläubiger Kleinfunktionär der KPF teilnimmt, die in dem Stadtviertel die absolute Mehrheit hat. Der redet so vollkommen an den Sorgen der anderen jungen Männer vorbei, denen doch gerade ihre Jugend geraubt wird, und sprengt so die liebevollen Vorbereitungen, mit denen die Frauen der Familie einen schönen Sonntag sicherstellen wollten. Übrigens sollte man nicht hungrig sein, wenn man die von der Großmutter angerichtete Speisenfolge liest – zumal vieles von diesen Gerichten am Ende kalt wird und stehen bleibt.
Daniel Anselme ist ein Sittengemälde gelungen, das „nicht historisch (ist). Das Vermächtnis des Krieges reicht bis in die Gegenwart hinein.“ Und: “Was sich hier andeutet, ist nicht weniger als die Emanzipation. Die Ernüchterung der drei ist der erste Schritt. Wir dürfen uns Lachaume (der Akademiker unter den drei Protagonisten des Romans – ww) als denjenigen vorstellen, der zehn Jahre später an die Wand der Sorbonne schreibt:“Le rêve est réalité“. (Julia Schoch in ihrem Nachwort).
Aber neben alle dem ist es ein großartiger und großartig übersetzter kleiner Roman!
Anselm, Daniel: Adieu Paris. Arche-Literatur-Verlag, Zürich-Hamburg, 2015.
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