Es ist eine andere Art des Reisens, wenn man mit dem Schiff eine Kreuzfahrt zum Beispiel durch die Ostsee macht, statt mit dem Bus kreuz und quer durch die baltischen Länder zu fahren. Mit der „Albatros“, einem mittleren Schiff unter der Flagge des Bonner Veranstalters Phoenix, das knapp 800 Passagieren Platz bietet, schippert man ruhig und bequem durchs Meer und steuert die Städte Kopenhagen, Klaipeda, Riga, Tallin, St. Petersburg, Helsinki, Stockholm und schließlich Kiel an, ehe es über den Nord-Ostsee-Kanal wieder zurück an den Ausgangspunkt der Reise, Bremerhaven, geht.
Eine Städtereise also, bei der man, im Hafen der genannten Orte angekommen, mit Bussen die Städte kennenlernt und vielleicht ein Stück der näheren Umgebung. In Klaipeda, dem früheren Memel, ist außer dem kleinen Denkmal „Ännchen von Tharau“ nicht viel zu sehen. Auffallend die Dickschiffe von Autos, mit denen der Litauer sein Statussymbol unter Beweis stellt. Selten habe ich so viele SUV gesehen wie hier, der BMW X 5 zählt dazu wie der Q7 von Audi. In dem überschaubaren Hafen wimmelt es von vornehmen Yachten, nicht die ganz Großen, aber feine Schiffe. Auch das, erfährt man von Reiseleitern, ein Statussymbol, das der Zeitgenosse, der etwas darstellen will, hier offensichtlich braucht. Wie er das eine wie das andere finanziert, wenn er es nicht least, bleibt ein Rätsel.
In Memel hören wir wie später auch in Riga und Tallin von den Sorgen der Einheimischen vor dem mächtigen Nachbarn, zu dessen Reich sie einst zwangsweise gehörten: der Sowjetunion. Heute sind sie froh, selbständig zu sein, aber auch der EU und der Nato anzugehören,was ihnen eine ziemliche Sicherheit bietet. Was die Menschen aber immer wieder beunruhigt, so hört man, sind dann die Macht- und Muskelspiele, die Manöver mit Schiffen, Flugzeugen, mit Panzern und anderen militärischen Geräten entlang der Grenzen.
Aversion gegen Russen ist groß
Seit der Wende hat sich manches verändert, 90000 Menschen haben Memel verlassen, wohl Richtung Russland. In der Schule werden die Fremdsprachen Englisch und Deutsch unterrichtet, das Russische rangiert unter ferner liefen. Die Aversion gegen den großen Nachbarn ist halt groß, die Angst, der könnte sie eines Tages wieder umklammern. Die Reiseleiterin räumt ein, dass es eigentlich nicht so klug ist, auf die russische Sprache zu verzichten. Es könnte später manchem für die berufliche Laufbahn von Vorteil sein.
Höllisch der Straßenbelag. Auf diesen Stolpersteinen zu gehen, ohne sich zu verletzen, verlangt höchste Aufmerksamkeit. Man sieht ein paar Speicher, die renoviert worden sind, der Markt um das Ännchen-von-Tharau-Denkmal ist ganz nett, die einstige deutsche Mühle ist heute ein prächtiges Restaurant, die bewegliche Brücke ein Motiv für jeden Fotografen. Die kurische Nehrung in der Ferne, man erblickt sie, als das Schiff den Hafen von Klaipeda wieder verlässt und Kurs auf Riga nimmt.
Das Baltikum hat eine vielfarbige Geschichte erlebt. Mal waren die Polen hier, dann die Deutschen, die Russen. Vor allem die deutsche Geschichte kann man hier bei einem Spaziergang durch die Innenstadt Rigas auf Schritt und Tritt erleben. Riga ist mit 760000 Einwohnern die größte Stadt des Baltikums und eine reiche obendrein. Mit einem Jugendstil, wie man ihn in dieser Schönheit und Vielfalt selten sieht. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Häuser wieder in Privatbesitz und wunderbar restauriert worden. Hier wohnen die feinen und die wohlhabenden Leute. Vor ihren villengleichen Häusern parken Porsche, Daimler, BMW. Aber das ist die eine Seite der Stadt und wohl auch des Landes, es gibt viele eher arme Menschen hier, der Rentner, der nur 260 Euro im Monat verdient, der Lehrer, der gerade mal 400 Euro bekommt. Und das Leben im Euro-Raum ist so billig nicht.
Auch hier spürt man die Distanz zur einstigen Sowjetunion. Beliebt ist was anderes. Man schimpft auf das System, das sie hinter sich haben, aber dessen falsche Weichenstellungen viele Leute erlebt haben wie die Verstaatlichung. Und als die Besatzer von einst abzogen, hinterließen sie halt ein Bild, das nicht immer die Zuschauer in Frohlocken ausbrechen ließ. Auch hier ist das Kopfsteinpflaster die Hölle. Der Spaziergänger tut gut daran, die Augen nicht zu heben, sondern sich auf das Gehen und die Fallen zu konzentrieren.
Sie betonen ihre deutschen Wurzeln
Die Menschen betonen gern ihre deutschen Wurzeln, schnell ist die Rede vom deutschen Orden, von deutschen Architekten, von der Hanse, die ihnen so früh so viel Wohlstand gebracht hat. Lang ist´s her und auf das Loblied auf die Deutschen folgt schnell das kritische Wort über die Sowjets, aber auch deren Zeit ist eine Weile her. Von der Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg, die Nazis waren hier und dann kamen die Russen und blieben bis zur Wende, sieht man so gut wie nichts mehr. Zumindest ist das unser, wenngleich oberflächlicher Eindruck.
In Tallin leben 68 Prozent Esten und 30 Prozent Russen. Im Alltag, so erzählt es uns der Reiseführer, verstehe man sich ganz gut. In der Politik sehe es anders aus, manches werde zugespitzt, sicher auch von estnischer Seite. Denn auch sie hier stehen unter dem Schutzdach der Nato und sind Mitglieder der EU. Gern weisen sie darauf hin, dass jedes vierte Wort aus dem Deutschen stamme. Deutsche Kaufleute hätten der Region zu Reichtum und Wohlstand verholfen, die Hanse wird als Erfolgsgeschichte immer wieder erwähnt und dass Deutsch bis fast zum Endes des 19. Jahrhunderts die offizielle Sprache war, lässt der Reiseführer nicht unerwähnt. Es galt das Lübecker Stadtrecht, hebt er nicht ohne Stolz hervor.
Es ist eine grüne Stadt mit vielen prächtigen Kirchen, eine Stadt mit einer alten Geschichte, worauf die vier Tore aus dem Mittelalter hinweisen. Wahrzeichen der Stadt ist der 124 Meter hohe Turm der spätgotischen Olaikirche, die 1267 erstmals erwähnt wurde, mehrfach abbrannte und immer wieder aufgebaut wurde, zuletzt Mitte des 19. Jahrhunderts. Man muss es sehen, dieses wunderbare Tallin mit einem Domberg, der Oberstadt, die Wehrtürme mit dem Langen Hermann, das Barockschloss, die monumentale russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren Zwiebeltürmen, den feinen Rathausplatz mit der ältesten Apotheke aus dem Jahre 1422, eine der ältesten Apotheken Europas, das Haus der Großen Gilde, das Haus der Bruderschaft der Schwarzhäupter und vieles andere mehr. Ein Schmuckstück, diese Stadt.
Sie haben ihre Probleme mit den Russen, die hier leben, weil sie sie nicht gleichberechtigt einstufen, ihnen nur dann einen estnischen Pass geben, wenn sie hier geboren sind. Dass schafft natürlich wenig Vertrauen unter den Bewohnern der Stadt, die nun mal ihre sowjetische Vorgeschichte hat, was man nicht lieben muss, aber ein Fakt ist. Die Russen fühlen sich diskriminiert, gut ist das nicht, zumal sie das Russische gut gebrauchen könnten, der Handel würde davon profitieren.
Sie haben sich mutig gesungen
Seit 1991 sind sie frei, schon zwei Jahre vorher hatten sie eine 650 Kilometer lange Menschenkette gebildet und sich mutig gesungen, wie sie heute noch betonen. Die Freiheit ist ein hohes Gut, sie haben am eigenen Leibe erlebt, was es heißt, frei oder nicht frei zu sein.
„Es ist ja wie früher in der DDR“, kommentiert eine ältere Frau die Situation, als wir in St. Petersburg an Land gehen. Sie hat mit ihrer Bemerkung nicht recht, denn sie vergisst mit ihrem gallig formulierten Satz, dass wir den Boden eines anderen Landes betreten, das nicht zur EU gehört, sondern zu Russland. Hier wird man kontrolliert, muss seinen Ausweis vorlegen, das Prozedere dauert. Man darf daran erinnern, dass die USA sich jeden Touristen sehr genau anschauen, ehe er amerikanischen Boden betritt, nicht anders ist es in Südafrika, von Israel gar nicht zu reden.
Der Zauber der Stadt nimmt jeden gefangen, diese alte Zarenmetropole ist eine Stadt der Paläste mit goldenen Kirchtürmen und Kuppeln, mit ihren Parkanlagen, Monumenten und Alleen. Die Nazis wollten diese Stadt aushungern und sie vernichten. 900 Tage war St. Petersburg eingekesselt, eine Million Russen kamen zu Tode.
St. Petersburg war die Stadt von Peter dem Großen, ein Denkmal bezeugt, dann sie auch die Stadt des Komponisten Puschkin ist. Heute ist Petersburg auch die Stadt des russischen Präsidenten Putin, dessen Familie hier gelebt hat, der hier geboren wurde. Man kann ihn auf Tshirts sehen, auf Mützen, Plakaten, auf Taschen, Geldbeuteln, Putin als Verkaufsobjekt.
Residenz des Zaren
Wir besichtigen den Katharinen-Palast mit seiner 300 m langen blauweißen Fassade, weil wir noch einmal das Bernstein-Zimmer sehen wollen. Das Original ist in den letzten Kriegstagen wahrscheinlich mit dem Schloss von Königsberg untergegangen. Die wunderbare Nachbildung kam zustande, weil der Essener Energieversorger Ruhrgas einen Großteil der Millionen-Kosten übernahm.
In St. Petersburg gibt es viele prächtige Beispiele russischer Architektur, zum Beispiel die Blutskirche, oder die imposante Kasaner-Kathedrale, die an den Petersdom in Rom erinnert, oder den Winterpalast, ein Barockpalast, der bis 1917 Residenz des Zaren war. Er gehört zum Gebäudekomplex, der eines der prächtigsten Museen der Welt beherbergt: die Emeritage mit mehr als 365 Räumen und 2,7 Millionen Kunstwerken. Oder genießen Sie einfach den Schlossplatz, umsäumt von wunderschönen Bauten, wie besagtem Winterpalast und dem Generalstabsgebäude, beides Teile des Emeritage-Museums, in der Mitte erhebt sich die 47 m hohe Alexandersäule, die an den russischen Sieg über Napoleon 1812 durch den Zar Alexander I erinnert.
Quer über die Ostsee schippert uns die „Albatros“ dann nach Helsinki, eine lebendige Metropole Finnlands, eine Stadt, die sich mit ihren über 600000 Einwohnern rund um den Hafen schlängelt. In Helsinki hätten 1940 die Olympischen Spiele stattfinden sollen, die aber wegen des 2. Weltkrieges auf 1952 verschoben wurden. Das Olympiastadion mit dem 72 m hohen Aussichtsturm und einem Denkmal des finnischen Laufwunders Paovi Nurmi erinnern daran. Auch Finnland hat eine gemeinsame Vergangenheit mit Russland. Im 2. Weltkrieg mussten sie sich gegen die Übermacht der Roten Armee zur Wehr setzen und konnten den Krieg, in dem Tausende von Finnen und Russen den Tod fanden, vorzeitig beenden. Zu den Sehenswürdigkeiten zählt der an einer Meeresbucht gelegene Sibelius-Park zu Ehren des finnischen Nationalkomponisten gleichen Namens. Sehenswert u.a. auch die Felsenkirche, ein spektakuläres Werk. Das Kircheninnere ist eingebettet in einen Felsen, der sich 12 Meter über der Straße erhebt.
Bequem, gut, informativ
Vorletzter Punkt der Kreuzfahrt ist die schwedische Metropole Stockholm, Hauptstadt, Regierungssitz, Wirtschaftsmetropole, eine Stadt mit 870000 Menschen, nimmt man das ganze Ballungsgebiet leben hier vielleicht 2 Millionen. Eine Hafenstadt, die allen alles bietet, Museen, ein Schloss, teure Einkaufsstraßen, Szeneviertel, Sterne-Restaurants.
Die Kreuzfahrt ist eine bequeme Sache. Anders als bei Busreisen muss man das Schiff nicht dauernd mit Sack und Pack verlassen, sondern hat sein Zimmer, klein, größer, noch größer, je nach Geldbeutel. Eine solche Reise ist nicht für jeden Zeitgenossen gleich gut geeignet, man muss schon gut laufen können, weil die Wege im Schiff, vom Schiff und zurück zum Schiff nicht unbedingt kurz sind. Der Service an Bord war exzellent wie die Speisen, die man quasi den lieben langen Tag über angeboten bekommt, wenn man will. Der Tischwein war gut, zudem umsonst. Das Personal freundlich und stets präsent, am Ende gibt man-freiwillig- ein Trinkgeld. Dazu macht der Veranstalter einen Vorschlag. Das Programm an Bord bietet für Jedermann was. Wer etwas wissen will über die Geschichte der Regionen, die man anfährt, wird durch nicht zu lange, aber gute Vorträge unterrichtet. Und wer verhindern will, dass er aufgrund des guten Essens und der dazu gehörenden Getränke ein paar Kilos zunimmt, der sucht das Fitnessstudio auf und läuft ein paar Kilometer auf dem Laufband oder setzt sich auf das Rad
Vornehm geht es nicht zu, Straßenkleidung reicht. Die Atmosphäre ist entspannend und ungezwungen. Die Reise vielleicht ein Appetithappen für den, der mehr über die Länder erfahren will.
Bildquelle Titelbild: Wikipedia, Fotografie von Manfred Behrens, aufgenommen am 24.4.2004 , Foto der Schleusen in Kiel-Holtenau (Einmündung des de:Nord-Ostsee-Kanals in die de:Kieler Förde), gemeinfrei
mich würde interessieren wie der Standpunkt gegenüber den 30% russen dort ist? ist man hier positiv oder negativ eingestellt? wenn man zb jüngsten umfragen glauben schenken soll, dann fürchtet man sich ja so vor trump weil der sich nicht mehr in die russische Politik einmischen möchte! Aber wie stehen denn die 30% Russen dazu?