Als im Juli erstmals auch die Bonner Lokalpresse über den Arbeitsstab Berlin-Bonn im zuständigen Bundesbauministerium berichtete, reagierte die Bundestadt am Rhein aufgeschreckt. Wurde da etwa heimlich, hinter dem Rücken der Bonner ein neues Kapitel im Regierungsumzug geschrieben? Nein, nichts dergleichen. Der Arbeitsstab war schon länger bekannt. Die zuständige Ministerin Barbara Hendricks tat nur das, was ihre Aufgabe ist: Regierungspraxis an zwei Standorten auf Tauglichkeit prüfen und neue Diskussionsansätze in der Berlin/Bonn-Frage zu untersuchen. Im Berlin-Bonn Gesetz ist zwar die Arbeitsteilung festgeschrieben („….so gestaltet werden, dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt…“) aber seit Jahren wissen die Bonner, dass eines absolut zuverlässig funktioniert: der sogenannte „Rutschbahneffekt“ von Bonn nach Berlin. Immer mehr Ministerien verändern die gesetzliche Arbeitsteilung. So wird die Politik der „diskreten Umzugswagen von Bonn nach Berlin“ praktiziert. Bundesinnenminister de Maiziere und Finanzminister Schäuble vorneweg. Inzwischen arbeiten 11 202 Bundesbedienstete in den Berliner Ministerien, während es in Bonn noch 6855 sind.
Bundesregierungen: Klarer Bruch des Gesetzes
Das die aktuelle Bundesregierung, wie übrigens die früheren auch, die vereinbarte Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin nicht einhält, ist Fakt. Das ist nicht nur unfair gegenüber der Bundesstadt Bonn, es ist vor allem verfassungsrechtlich unhaltbar, dass sich die Regierung über die klare Gesetzeslage hinwegsetzt. Das muss man auch dann laut und deutlich in Bonn sagen dürfen, wenn man einen Strukturwandel mit den Ausgleichsmilliarden des Bundes mit Bravour umgesetzt hat.
Bonn: nicht mit alten Reflexen reagieren!
Aber richtig ist doch auch: 25 Jahre nach der deutschen Einheit und 24 Jahre nach der Umzugsentscheidung darf Bonn nicht weiter ängstlich auf das Berlin-Bonn-Gesetz starren, wie ein Kaninchen auf die Schlange. Denn inzwischen sollte in Bonn auch von der (Kommunal)Politik gelernt sein, dass man dort mit den alten Denkmustern nicht erfolgreich die Rutschbahn nach Berlin verhindern kann. Die Bonner Reaktionen aus der Kommunalpolitik, der Wirtschaft und in der Bonner Lokalzeitung lassen da wenig hoffen, dass man das wirklich erkannt hat. Reflexhafte Kritik an der Ministerin statt erkennbarer Bewegung. Keine wirkliche Öffnung und kein erkennbares Signal, der Bereitschaft, sich neu zu positionieren. Da wird Ministerin Hendricks gescholten, ohne wirklich eigene Positionen einzufordern. Jetzt sind die Bonner Bundestagsabgeordneten, die von Anfang an durch den Bonn-MdB und Verbraucherschutzstaatssekretär, Ulrich Kelber(SPD), auf eine gemeinsame Haltung in die Pflicht genommen wurden, ganz besonders gefordert. Ziel der Bonner Akteure müsste es sein, jetzt Klarheit für alle Beteiligten schaffen: für Bonn und die Region, für Berlin und vor allem für die betroffenen Beschäftigten und ihrer Familien.
Ein echte Chance für Bonn und für Berlin
Deshalb ist es richtig, dass die zuständige Ministerin in der Bundesregierung endlich eine Position für eine faire Arbeitsteilung entwickelt. Im Kölner (!) Stadt-Anzeiger hat sie im Interview ihre Überlegungen zum Komplett-Umzug der Ministerien nach Berlin, verbunden mit weitgehender Unterstützung für den Standort Bonn, dargestellt. Sie spricht von einem mittel- bis langfristigen Prozess – ein Signal, das am Rhein bislang geflissentlich überhört wurde. Statt Untergangsszenarien in der Region an die Wand zu malen, sollte es um die Sicherung und den Erhalt von qualifizierten Arbeitsplätzen gehen. Daran muss die lokale Politik, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft ein Interesse haben. Neue Arbeitsplätze bekommt man aber nur, wenn man selbst weiß, wohin man will. Zum Beispiel mit der echten Stärkung des Profils von Bonn als Wissenschafts- und UN-Standort, genauso wie als Sitz neuer Bundesoberbehörden. Das muss im Mittelpunkt der Denkansätze und der Reaktionen stehen, denn die Voraussetzungen sind gut: für die Wissenschaftsregion ist die höchste Dichte an Wissenschaftseinrichtungen in der Region signifikant. Für das Internationale Bonn sind es nicht nur die UN-Organisationen, sondern immer auch die rund 150 Nicht-Regierungsorganisationen, die sich mittlerweile in Bonn angesiedelt haben, mit zu berücksichtigen. Deshalb wird auch ein Komplett-Umzug des Bundesumweltministeriums (BMUB) und des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) für die Bonner UN-Organisationen und NGOs sicherlich ein Problem.
Und auch für Berlin ergibt sich eine neue Chance. Wenn die dauerhaft Lösung zwischen Haupt- und Bundestadt mit einer Verwaltungsreform beantwortet wird, so wie sie das Bundesjustizministerium erfolgreich umgesetzt hat, wäre das ein großer Gewinn. Es könnte nachgeholt werden, wozu die Politik und die Verwaltung bei der Umzugsentscheidung 1991 nicht fähig war: eine Verwaltungsreform, die ministerielle Aufgaben deutlich reduziert. Nicht-ministerielle Aufgaben werden jetzt im Bonner Bundesamt für Justiz erledigt. Eine Erfolgsgeschichte, die sicherlich auch und gerade dem Bundefinanz- und dem Bundesinnenministerium gut täte. Denn wer dort genauer hinsieht, wird feststellen, dass längst nicht alle Aufgaben tatsächlich zu den ministeriellen Aufgaben zählen.
Ein Staatsvertrag
Die Akteure in der Stadt Bonn, der Region des Rhein-Sieg-Kreises, die der betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz müssen jetzt gemeinsam mit dem Bund eine tragfähige und dauerhafte Regelung erarbeiten. Zum Beispiel in Form eines Staatsvertrages, auf der Basis des Berlin/Bonn-Gesetzes. So wird die zukünftige Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn und damit die Zukunft der Bundes- und UN-Stadt Bonn verlässlich gesichert. Ministerin Hendricks hat dazu einen ersten Anstoß gegeben. Jede Bonner Stimme, die jetzt reflexhaft neue Wege oder neue Denkansätze von vornherein als Bonn abträglich und „kontraproduktiv“ diffamiert, ist realpolitisch auf dem Holzweg. Wer die Zukunft der Bundestadt am Rhein jetzt wirklich gestalten will, muss Ideen und eine Vision haben und diese gemeinsam mit der Stadtgesellschaft weiter entwickeln.
Bildquelle: Wikipedia, Hans Weingartz, CC BY-SA 3.0 de
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