Ja, es ist lange her das mit dem Fall der Mauer im November 1989 und der deutschen Einheit im Oktober 1990. Bei aller Freude über das Ende des kommunistischen SED-Regimes, darüber, dass die Deutschen wieder ungehindert reisen konnten, dass sich Familien, die Jahre und Jahrzehnte getrennt waren durch Mauer und Stacheldraht, wiedersehen konnten, dass die Teilung aufgehoben und eine neue, größere Bundesrepublik Deutschland entstand, sollten wir nicht vergessen, wem wir diesen friedlichen Zusammenschluss zweier deutscher Länder, ohne dass ein einziger Schuss fiel, auch zu verdanken haben: Michail Gorbatschow, dem sowjetischen KP-Generalsekretär, seiner Politik des Glasnost und der Perestroika und der Weigerung, mit Waffengewalt eine solche Entwicklung zu stoppen, die später das Ende auch der Sowjetunion bedeutete.
Man darf daran erinnern, auch wenn manche das nicht mehr hören wollen, weil es so lange her ist. Man darf daran erinnern, in welchem Geist diese deutsche Einheit zustande kam. Es kommt nicht von ungefähr, dass Politiker wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher mehrfach an das Verdienst Gorbatschows erinnert haben und daran, dass es der Westen war, der Moskau mündliche Zusicherungen gab, keinen Zentimeter breit den einstigen sowjetischen Boden zu betreten, also auch keine Ausdehnung der Nato Richtung Osten zu betreiben. Letzteres ist geschehen und man darf daran erinnern, gerade heute, dass im Falle eines Beitritts der Ukraine zur Nato das westliche Verteidigungsbündnis seine Grenzen um rund 1000 Kilometer verlegt und damit eine gemeinsame Grenze mit Russland gehabt hätte. Das war damals nicht gewollt, von niemandem der politischen Führer in der Welt, die über das Schicksal von Deutschland und der Wiedervereinigung mitentschieden. Bei aller berechtigten Kritik an Putin und seiner aggressiven Politik liegt hier einer der Fehler, eine der Ursachen für den Konflikt um die Ukraine, einen Konflikt, den der Westen mit verursacht hat.
Genschers Rat: Westen soll Putin die Hand reichen
Man darf daran erinnern, dass einer der Protagonisten der Politik in jenen Jahren, der Mann aus Halle, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, kürzlich den führenden Politikern im Westen vorgeschlagen hat, ja, er hat sie dazu aufgefordert, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand zu reichen, also auf ihn zuzugehen und einen Neuanfang in den Beziehungen mit Moskau zu suchen. Was bitter nötig wäre. Der Westen ist stark genug, um einen solchen Schritt zu tun. Damit würde die Annexion der Krim durch die Russen nicht anerkannt, aber es würde ein Versuch unternommen, die Russen und Putin an den Verhandlungstisch zu holen. Wir brauchen sie, die Ukraine braucht sie, die USA brauchen sie. Auch der Syrien-Konflikt ist ohne Moskau nicht zu lösen, dieser elende Bürgerkrieg nicht zu beenden, den der schlimme Diktator Assad seit über vier Jahren gegen das eigene Volk führt mit Hunderttausenden von Toten und Millionen Flüchtlingen.
Nein, es braucht keines Geburtstagsständchens oder ähnlicher alberner Einfälle, um dieses Feiertages zu gedenken. Es ist wahr, dass in diesem Vierteljahrhundert seit der deutschen Einheit vieles erreicht wurde, aber es bleibt auch noch vieles zu tun. Die Mauer mit Stacheldraht und Todesstreifen sind Geschichte. Und das ist gut so. Wer jemals die Schikanen an der Grenze in Berlin erlebt hat, weiß das zu schätzen. Eine Mauer mitten durch eine Stadt- es war ein Widersinn, der von Anfang an gegen das Regime in Pankow sprach. Das System war morbide geworden und war reif für den Abriss.
Das ist aber kein Grunde für uns im Westen, sich als Sieger zu fühlen und die Menschen, die damals zufällig auf der falschen Seite der Mauer lebten und nicht mehr rauskamen, als Verlierer einzustufen. Sie haben genauso viel geleistet wie wir auch, nur unter viel schwierigeren und teils schlimmeren Bedingungen. Ein wenig Demut würde uns gut zu Gesicht stehen, zumal wir ein weiteres Riesen-Problem vor der Brust haben und war alle Deutschen in West, Ost, Nord und Süd: Es geht um die Bewältigung einer Völkerwanderung, deren Ausmaß nicht abzuschätzen ist. Bei allen Problemen und berechtigten Sorgen müssen wir aber eins bedenken: Die Flüchtlinge müssen human behandelt werden. Gemäß dem Grundrecht Nummer 1 im Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
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