Am Vorabend der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main strahlte der Chef von VW, Martin Winterkorn, viel Optimismus aus und verkündete “bei Volkswagen eine wahre Aufbruchsstimmung – technologisch, wirtschaftlich und was die Strukturen angeht.“ Der Fahrzeugproduzent aus Wolfsburg sei an der Spitze des Fortschritts und habe mit “Future Tracks“ als erster den Wandel des Automobils zum Thema Nummer 1 gemacht. Der Präsident der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, der als Superlobbyist seiner Branche Angela Merkel zu einer begeisterten “Autokanzlerin“ gemacht hat und als kleinster gemeinsamer Nenner der deutschen Autobosse fungiert, sekundierte dem VW-Chef: “Ob Benziner oder Diesel: Moderne Antriebe sind im Verbrauch sehr sparsam, ihre Schadstoffemissionen gehen gegen Null.“
Das klingt nur wenige Tage nach diesen großen Reden bei der IAA wie blanker Hohn. VW hat manipuliert, übel betrogen, getrickst und ge– wie enttäuscht. Insgesamt sind es über 11 Millionen Autos, die von der Abgas-Manipulation betroffen sind. Seit 2014 schwelt das schon – vor allem in den USA. Der VW-Chef Winterkorn, mit seinem Jahresgehalt von rund 17 Mio. € Spitzenreiter deutscher Vorstände, und seine Kollegen in den Wolfsburger Führungsetagen taten nun ganz überrascht.
Michael Horn, US-Chef von VW, der in den Vereinigten Staaten nun voll im Feuer steht, versuchte es mit Aufrichtigkeit: “Wir haben völlig versagt.“ Der oberste Versager ist ohne Zweifel Martin Winterkorn. Nach zwei Tagen und einem eher trotzigen Statement trat der ebenso eitle wie ehrgeizige VW-Boss als Vorsitzender des Vorstandes zurück. Noch vor kurzem hatte er sich eine schmutzige Schlacht mit Ferdinand Piech geliefert, als es um die Führungsposition im VW-Konzern ging. Mit Unterstützung des Betriebsrates, der Regierung von Niedersachsen und anderen hatte sich Winterkorn als Sieger gegen Piech behauptet; sein Vertrag sollte jetzt verlängert werden.
Aufsichtsrat zog die Bremse
Doch der VW-Aufsichtsrat zog noch rechtzeitig die Bremse: Von der Manipulation bei den Abgaswerten zeigte sich das AR-Präsidium tief betroffen. Um 30 Mrd. € war der Wert von VW an den Aktienbörsen nur innerhalb von 2 Tagen eingebrochen. Der Schaden ist gewaltig: 12 Mrd. € für die Nachbesserung der manipulierten PKW’s; Schadensersatzansprüche kommen hinzu. Und der Vertrauensverlust, den VW bei vielen Kunden erlitten hat, ist unermesslich. Zudem drohen Strafanzeigen gegen den VW-Konzern; die US-Justiz ermittelt schon.
Im VW-Konzern soll auch mit einer Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Manipulationen vorgegangen werden, so forderte es der Aufsichtsrat. Das mag richtig sein, doch entbindet das die VW-Führung nicht von ihrer Verantwortung für diesen “worst case“ in dem und für den Autokonzern. Immerhin war diese Abgasmanipulation nicht ein simpler Trick, sondern eine recht komplizierte technische Operation.
Schon fürchten die Bosse in anderen deutschen Autofirmen, dass bei ihren Fahrzeugen ähnliche Manipulationen erfolgt sein könnten. Der Image-Schaden für deutsche Fahrzeuge ist ohnehin schon hoch, ja das “Made in Germany“ hat nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Ländern kräftige Kratzer bekommen. Mitglieder der Bundesregierung reagieren derweil wie aufgescheuchte Hühner, denn man saß bislang so bequem in einem Boot. Immerhin hängt jeder siebte Arbeitsplatz hierzulande vom Auto ab. Deshalb wehrten Politiker manche Auflagen – etwa seitens der EU, die deutsche Autobauer nicht erfüllen wollten oder konnten, ab.
Dem Nachfolger von M. Winterkorn fällt eine Herkules-Aufgabe zu. Ob der Porsche-Chef Müller, der vor allem von Winterkorn protegiert wurde, diese Herausforderungen meistern kann, darf bezweifelt werden. Der Aufsichtsrat sollte eher einen neuen Chef suchen, der nicht aus dem VW-Konzern kommt. Vor allem muss er das, was VW sich selbst an Compliance und Corporate Social Responsibility auf’s Schild geschrieben hat, voll und ganz ehrlich wie glaubwürdig praktizieren.
Bildquelle: Wikipedia, http://autogramm.volkswagen.de/09_12/golf/golf_06.html