Wenn es stimmt, dass die Öffnung und Offenheit Deutschlands für das Flüchtlingsdrama eine historische Dimension hat, dann ist es ebenso richtig, dass die Aufnahme und Integration der Menschen einer ebenso historischen Anstrengung bedarf. Diese Notwendigkeit hat der deutsche Bundesinnenminister offenbar in den falschen Hals gekriegt. Sein Entwurf für die Verschärfung des Asylrechts ist dennoch ebenfalls historisch. Es ist in Wahrheit die Abschaffung und Zertrümmerung der Reste des geltenden Asylrechts, das nach rechtsextremistischen Anschlägen 1993 mit Zustimmung der SPD eingedampft wurde. Die jetzt angestrebte Reform ist in Wahrheit ein historisch zu nennender Anschlag auf das Grundgesetz. Damit hat die im Grundgesetz garantierte Unantastbarkeit der Würde des Menschen nur noch für den „deutschen Menschen“ Geltung. Der entsprechende Gesetzentwurf sei in der Ressort-Abstimmung, heißt es.
Kommt jetzt die Stunde der SPD? Wird sie sich dem widersetzen, was da als umfassendes Leistungsverweigerungsgesetz im Gespräch ist? Wird sie, anders als 1992/93, dieses Mal nicht erneut ihre eigene Geschichte verleugnen und den Dreiklang von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als Missklang verenden zu lassen? Wird sie De Maiziere in den Arm fallen und damit dazu beitragen, dass die Entscheidungen und Gewissheiten der Angela Merkel – „wir schaffen das“- nicht zu Makulatur werden?
Maiziere will alle Leistungen streichen
Der Innenminister will wider besseres Wissen die Dublin-Vereinbarung wieder in Kraft setzen, hinter der sich dieses Land im Zentrum Europas über viele Jahre verstecken konnte. Erneut sollen Flüchtlinge nur in den Mitgliedsländern Asyl beantragen dürfen, die sie zuerst betreten haben. Derzeit also Ungarn, das Flüchtlinge als Feinde bekämpft, oder wirtschaftlich besonders gefährdete Länder wie Griechenland oder Portugal. Randstaaten der EU, die schon jetzt absolut überfordert sind. Daher der Versuch Brüssels, 120 000 Flüchtlinge, die dort unter schäbigsten Bedingungen leben, auf die EU insgesamt zu verteilen. Eine Quote war bislang aber nicht durchsetzbar, was die deutsche Kanzlerin und den österreichischen Regierungschef bewogen hatte, die Grenzen für die vor allem nach Ungarn geflüchteten Menschen zu öffnen.
Damit sogenannte Dublin-Flüchtlinge aus Deutschland den Rückweg auch antreten, plant De Maiziere, diesen Menschen alle Leistungen zu streichen und ihnen nur eine „Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Reisebedarfs“ für eine Rückfahrkarte und etwas Reiseproviant zu geben. Alles andere an Hilfen soll gestrichen werden. Für geduldete Flüchtlinge sollen alle Hilfen halbiert werden. Sie können nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden, weil dort Bürgerkrieg herrscht.
Anschlag auf die Willkommenskultur
Weitere Änderungen zeugen ebenfalls von einer sozialen Kälte, die die bayerische CSU erfreuen wird. Wenn die Kanzlerin den Entwurf kannte, wird sie sich dem Vorwurf schlimmer Heuchelei aussetzen, wenn nicht, wäre es ein Anschlag auf die auch durch Angela Merkel symbolisierte Willkommenskultur, die außerhalb Deutschlands staunende Bewunderung erregte.
Es wird also auf die SPD ankommen. Was immer deren Vorsitzender Sigmar Gabriel als Erkenntnis von der Inspizierung der Flüchtlingslager in Jordanien zurück bringt, zu der er aufbrechen will, er wird jetzt Haltung zeigen müssen. Er wird sich die Frage vorzulegen haben, was getan werden kann und muss, um die Fluchtgründe zu mindern. Und er wird die Frage zu beantworten haben, ob mutmaßlich die eigene Wirtschaftspolitik auch Teil des Problems ist, das noch schärfer würde, wenn das Handelsabkommen mit den USA Wirklichkeit werden sollte. Dann werden erneut Mauern gezogen zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig würde damit der Flüchtlingsstrom zu einem Tsunami, der über die jetzt 60 Millionen Flüchtlinge weltweit hinaus weist.
Vielleicht könnte ihm dabei ja die Lektüre des Nord-Süd-Berichts an die Vereinten Nationen helfen. Er trägt den Untertitel: Das Überleben sichern. Der Obertitel: Hilfe in der Weltkrise. Er wurde 1982 veröffentlicht. Die Herausgeber und Mitautoren der Nord-Süd-Kommission waren zwei Sozialdemokraten: Der Schwede Olof Palme und der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Gabriel und die in der großen Koalition verdruckst daher kommende SPD hätte große Vorbilder.
Bildquelle: Wikipedia, Arne Müseler / www.arne-mueseler.de, CC BY-SA 3.0 de
Die Werte und politischen Orientierungen der SPD aus der Zeit von Willy Brandt und heute sind kaum noch zu vergleichen. Die politische Programmatik der Willy-Ära wurzelten in der Vorstellung einer sozialen und gerechten Welt. Die SPD unter Sigmar Gabriel hat sich auf eine „Koalition“ als Juniorpartner eingelassen, in der für diese Ziele kaum noch Platz sind. Der Lohn: Man darf am Regierungstisch sitzen. Der Preis: Die Ziele sind nahezu gänzlich aus den Augen geraten.
Daher ist von dieser SPD nur wenig zu erwarten. Und das ist fast noch optimistisch gedacht.