So sehr es beruhigen mag, das Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage Stehvermögen zeigt, so sehr wird es darauf ankommen, dass sich alle demokratischen Kräfte in Deutschland aufgerufen fühlen, sie dabei zu unterstützen. Dies geht wohl vor allem an die Adresse der Christlich Sozialen Union. Dort ist das taktische Element weiter im Vordergrund. Der CSU-Vorsitzende Seehofer steht in der vordersten Front der Merkel-Kritiker und spricht von „einem großen Fehler“, dass die Kanzlerin die in Ungarn gestrandeten Menschen aus Syrien, auch aus den Balkanstaaten, dem klerikalfaschistischen Horror der Orban-Regierung nicht länger ausliefern wollte. Dafür sei ihr und dem österreichischen Kanzler gedankt.
Die CSU-Führung dagegen tut sich bislang lediglich damit hervor, dies der Kanzlerin als Fehler anzukreiden, der sich in naher Zukunft noch rächen werde. Offenkundig ist die CSU vor allem daran interessiert, nach rechts kräftig zu blinken, um jede Ausfransung in Richtung Pegida und AfD zu verhindern. Was immer am Münchner Hauptbahnhof an Hilfsbereitschaft sichtbar ist, dürfte wohl in den Augen christlicher Politiker, auch über Bayern hinaus, nur bestätigen, dass München nicht repräsentativ für Bayern ist. Es ist eine sozialdemokratisch geprägte und weltoffene Stadt. Auf dem Land, so das Kalkül, dürfte mehrheitlich eine andere Stimmung herrschen.
Heuchlerische Haltung der CSU
Statt dem, wenn es denn stimmt, entgegenzutreten, bestärkt die CSU-Führung den rechten politischen Rand. Jede ihrer doppeldeutigen Bemerkungen kann dort als Bestätigung der eigenen Haltung empfunden werden. Wenn schon nicht „Deutschland den Deutschen“, dann wenigstens „Bayern den Bayern“. Die CSU interpretiert Stichprobenkontrollen an der Grenze zu Österreich wider besseres Wissen als Schließung der Grenzen und lässt sich durch keinen Berliner Hinweis davon abbringen. Aber die Grenzen sind nicht dicht. Kein Flüchtling wird abgewiesen.
Wenn die in München erscheinende „Süddeutsche Zeitung“ die Entscheidung der Kanzlerin als „historisch“ wertet, die „historische Anstrengung“ fordere, dann wird klar, dass die heuchlerische Haltung der CSU eine skandalöse Abwehr dessen ist, was Deutschland als ganzes zu leisten gefordert ist. Es muss ohne die Seehofers, Söders oder Friedrichs von der CSU gehen, die den ungarischen Präsidenten nach München eingeladen haben. Ob sie ihm danken wollen, dass er die Außengrenze nach Serbien geschlossen hat, was dem Dublin-Abkommen, also europäischem Recht entspricht? Das erinnert ja nur daran, wie lange auch Deutschland in Europa Teil einer EU-Asylpolitik war, die dem Sprichwort folgte: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Die Flüchtlinge haben sich nicht danach gerichtet, dort um Asyl zu bitten, wo sie EU-Territorium als erstes betreten haben, also die Randstaaten im Süden Griechenland, Portugal oder Italien. Dublin ist perdu und damit eine europäische Lebenslüge, die vor allem von der CSU noch immer hoch gehalten wird, und mit der der ungarische Diktator Orban seinen Kampf gegen Flüchtlinge rechtfertigt. Der erneute Krisengipfel der europäischen Staatschefs, zu dem Deutschland und Österreich aufgerufen haben, wird mutmaßlich erneut ohne notwendige Entscheidungen enden. Es sieht nach der Konferenz der Innenminister nicht danach aus, dass es eine gemeinsame humanitäre Verantwortung der Europäischen Union geben kann. Nichts weniger als Europa steht damit auf dem Spiel.