Es gibt Menschen, die fehlen einem. Günter Grass ist so einer. Egon Bahr ist es auch. Dieter Hildebrandt gehört dazu und Wolfgang Leonhard. Christa Wolf und Erich Loest. Man glaubt sie zu kennen, weil sie so lange lebten. Helle Köpfe. Streitbar, eigenwillig, erfolgreich. Bahr und Grass kannten sich lange auch aus der Nähe zu Willy Brandt, hatten vieles nicht gemeinsam, aber eines doch: Sie schützten ihre Privatsphäre, ließen nicht viel bekannt werden. Jetzt ist – viereinhalb Monate nach seinem Tod im Steidl Verlag das letzte Buch von Günter Grass erschienen mit dem Titel „Vonne Endlichkeit“. Ostpreußisch geschrieben. Es ist das letzte Gedicht in diesem bemerkenswerten Band, an dem Günter Grass bis zum Ende seines Lebens gearbeitet hat. An den vielen Bleistiftzeichnungen, an der Vers- wie Prosastücken.
Wer sie liest, hört ihn brummeln, brabbeln. Die Lektüre ermöglicht einen Zugang zu dem Menschen, nicht zu der Institution Grass. Das ist herausragend an diesem Buch. Das ist das Private, das Persönliche. Er fühlt, dass er nicht mehr lange zu leben hat und betrachtet seinen Alltag so, als würde er ihn ein letztes Mal erleben: „Was brabbel ich vor mich hin? Mit dem im Gespräch? Wer rät zu oder ab? – Schritte zwischen Stehpult und Stehpult. Angefangenes will unfertig bleiben. Fertiges sieht nur so aus. Verschlissene Wörter. Versuchsweise stumm sein…..Jetzt nähert sich jemand ohne nahe zu kommen. Jetzt summe ich die Melodie eines Schlagers, in dem sich des Regens Tropfen auf klopfen reimen. Jetzt dieser Pfeifton, der dem Eigenwillen meines Hörgerätes entspricht. Jetzt rumpelt es unterm Dach. Das bin nicht ich. Das ist der Marder, der dort zu Hause ist.“
Es handelt sich um eine Art Dokument seines endenden Lebens ohne zu lamentieren, zu klagen Vor allem die Gedichte haben zuweilen geradezu eine Art von Zärtlichkeit. Die Zeichnungen auch. Ein Teil von ihnen ist noch bis Mitte September im Günter Grass Archiv in Göttingen zu sehen eben wie Texte und Layoutentwürfe zu seinem letzten Buch. Auch in seiner Geburtsstadt Danzig werden Zeichnungen von ihm in diesen Monaten in einer kleineren Gedenkausstellung nahe des Krantors gezeigt.
Wer sich für Günter Grass, sein Werk und seine Lebensgeschichte interessiert, wird in „Vonne Endlichkait“ einen Autor erleben, der nicht nur politisch war, der sich einmischte, der empörte. Er wird einen Mann erleben, der so etwas wie ein Selbstporträt geschrieben hat und über den der ehemalige Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck gesagt hat: „Es bleibt die Erinnerung an einen wortmächtigen Autor und streitbaren Mitbürger, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist, wenn er sie für notwendig gehalten hat.“ Ein epochales Werk hat Grass in „Sechs Jahrzehnten“ geschaffen. Das ist der Titel eines Werkstattberichtes, der ein literarisches und politisches, 608 Seiten langes Zeitdokument geworden ist. Wenig kürzer als „Die Blechtrommel“, die hat siebenhundertdreißig Seiten. 1959 war das. Vierzig Jahre später wird Grass mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Die am Anfang erwähnte Namensliste ist natürlich nicht vollständig. Ralph Giordano, Peter Ensikat, Georg Kreissler und Gustav Just wären noch zu erwähnen. Menschen, die uns zum Nachdenken, Lachen gebracht haben. Couragiert und einfallsreich. Die ein Gespür für die Politik und für das Leben hatten.