NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat in einem Interview mit dem Blog der Republik (BdR) eine Bilanz des Kampfes gegen die Steuerhinterziehung gezogen. Ergebnis: Seit 2010 wurden durch 100 000 Selbstanzeigen vier Milliarden Euro in die Kasse der Allgemeinheit gespült. Zwar nehme die Erkenntnis langsam zu, dass Steuerhinterziehung keine lässliche Sünde sei und keine Privatangelegenheit. Aber der Kampf sei noch nicht beendet. Der Minister erwähnte Schätzungen, wonach jedes Jahr in Deutschland 30 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen würden, Geld, das man dringend für die Instandsetzung der Infrastruktur brauche und für Investitionen in Bildung und Sicherheit.
BdR: Sind es wirklich reuige Banker bei der Hypo-Vereinsbank, die als erstes großes Geldinstitut in Deutschland reinen Tisch machen bei schweren Steuerdelikten? Oder legen sie die Karten auf den Tisch, weil sie Sorge haben, dass sie sonst schlechte Karten haben? Der Staat, die Fahndungsbehörden könnten ihnen ja auf der Spur sein und dann macht es sich doch gut, wenn man bekennt, was man verbrochen hat?
Walter-Borjans: Ich freue mich über jeden einzelnen Gewissensbiss eines Finanzberaters. Allein, mir fehlt der Glaube, dass damit schon eine grundlegende Abkehr vom Betrug an der Allgemeinheit eingeleitet würde. Wenn Banken jetzt ihre Strategie ändern, dann ganz sicher aus der ökonomischen Abwägung. Ihnen ist der Ärger, für den wir sorgen, wenn sie so weiter machen, lästiger als der Verzicht auf Beihilfe zum Steuerbetrug.
BdR: Kann es sein, dass die damals handelnden Personen den Staat jahrelang austricksten (wie Klaus Ott in der SZ schreibt), weil sie ihr Vorgehen als Kavaliersdelikt einstuften? Eine nur einmal entrichtete Kapitalertragssteuer ließ man sich mehrfach erstatten. Oder als sportliche Leistung, wie das auch in Griechenland gehandelt worden ist? Den Staat übers Ohr zu hauen, das ist clever, wer es nicht macht, ist doof. Eine Bank z.B. zahlt etwas mehr als 20 Millionen Euro für einen Betrug, mit dem die Branche einen Gesamtschaden von zehn Milliarden Euro angerichtet hat.
Walter-Borjans: Dass Steuerbetrug keine lässliche Sünde ist und mitnichten eine Privatangelegenheit des Steuerhinterziehers ist, ist offenbar erst eine Erkenntnis der letzten Jahre. Das zum Teil unfassbare Treiben von Finanzjongleuren hat die lange unbeteiligten Ehrlichen erst aufmerksam werden lassen, dass sie es sind, an denen der Schaden hängen bleibt. Früher hatten viele fast eine klammheimliche Freude, wenn jemand „den Staat“ übers Ohr haute. Heute ist das Bewusstsein enorm gewachsen, dass wir alle dieser Staat sind.
BdR: Dann der in der gleichen SZ-Ausgabe erwähnte zweite Fall: Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Vor allem die Commerzbank, die nur durch staatliche Hilfe am Leben gehalten worden ist, soll in Luxemburg reichen Kunden Briefkastenfirmen vermittelt haben, um dort einen Teil ihres Vermögens vor den Finanzämtern in Sicherheit zu bringen. Die Banken kommen dran und dann die Bankkunden wegen Steuerhinterziehung, Milliarden, die dem Staat vorenthalten wurden, die dieser gut hätte gebrauchen können, um die heruntergekommene Infrastruktur in weiten Teilen der Republik auf Vordermann zu bringen. Die Täter zahlen dann Geld und alles ist wieder gut?
Walter-Borjans: Nein. Wir brauchen dringend ein Unternehmensstrafrecht, das uns in die Lage versetzt, einer Bank, die ihre wichtige Rolle im Staat missbraucht, im äußersten Fall sogar die Lizenz zu entziehen. Weil wir das nicht haben und weil ein diesbezüglicher Bundesratsbeschluss auf Betreiben Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs auf den Schreibtischen der Bundesregierung schmort, müssen wir über die Anklage gegen einzelne Bankmitarbeiter die Banken unter Druck setzen. Immerhin haben wir auf diesem Weg und über die Selbstanzeigen aufgescheuchter Hinterzieher schon Milliarden Euro zurückgeholt. Aber es bleibt noch viel zu tun.
BdR: Ist es nicht so, dass der „normale“ Bürger als Steuerzahler jeden Monat seinen Obulus entrichtet, genauer, er wird ihm gleich abgezogen, ehe er sein Netto-Gehalt ausgezahlt bekommt? Er muss sich verschaukelt vorkommen, oder?
Walter-Borjans: Das Wichtigste ist, dass der ehrliche Steuerzahler sich sagen kann: Steuern bezahlen macht zwar keinen Spaß, aber Sinn. Dazu muss er aber wissen, dass der Fiskus es nicht zulässt, wenn einige versuchen, ihren ganz persönlichen Steuertarif festzulegen und sich mit Koffern voller Geld aus dem Staub machen, selbstverständlich, ohne auf die Vorzüge des Lebens und Geldverdienens in Deutschland verzichten zu wollen. Der automatische Informationsaustausch zwischen einem Arbeitgeber und den Finanzämtern seiner Arbeitnehmer ist eine Selbstverständlichkeit. Warum soll es beim automatischen Informationsaustausch zwischen einer Bank und den Finanzämtern der Zins- und Dividendenempfänger Geheimniskrämerei geben dürfen? Diese Form von Bankgeheimnis ist eine Einladung zum Betrug, vor allem an Millionäre.
BdR: Sie haben kürzlich beklagt, dass die Zahl der Selbstanzeigen rückläufig sei. Weil die Betroffenen glauben, Sie als Finanzminister oder die zuständigen Fahndungsbehörden hätten nichts mehr gegen sie in der Hand? Sind denn schon alle CDs ausgewertet?
Walter-Borjans: Wir haben die strafbefreiende Selbstanzeige 2015 teurer gemacht. Das hat viele veranlasst, möglichst noch 2014 reinen Tisch zu machen. Schließlich wollen Steuerhinterzieher doch nichts verschenken… Deshalb gab es Ende des letzten Jahres eine Bugwelle. Allerdings haben wir auch nach der Verschärfung der Sanktionen im ersten Halbjahr 2015 noch 2500 Selbstanzeigen. Das sind schätzungsweise Mehreinnahmen von mehr als 125 Millionen Euro, die sonst dem Gemeinwesen vielleicht verloren gegangen wären. Und im Juli sind mit 160 Selbstanzeigen doppelt so viele Eingaben eingetroffen wie im Juni. Das zeigt, dass die Selbstanzeige immer noch ein Angebot ist, das es bei anderen Delikten – etwa Versicherungsbetrug – nicht gibt. Da können Sie nicht zuerst etwas ausfressen und später sagen: War nicht so gemeint, ich zahle die erschlichene Summe zurück. Ich bin sicher: es gibt noch genug Hinterzieher, die besser daran täten, mal mit ihrem Anwalt zu sprechen und auf die Spur des Gesetzes zurück zu kommen.
BdR: Sie haben über die Jahre einige CDs gekauft, dafür haben sie auch Kritik eingesteckt, weil der Staat doch mit solchen Leuten keine Geschäfte machen dürfe. Was antworten Sie diesen Kritikern? Was sagen eigentlich ihre Amtskollegen im Bund und in den Ländern zu Ihrem Vorgehen?
Walter-Borjans: Wir haben jahrzehntelang nichts unternehmen können. Steuerhinterziehung war vor allem für das wohlhabende Publikum eine sichere Bank ohne Risiko, seinen guten Ruf als Vorzeigebürger aufs Spiel zu setzen. Dass das vorbei ist, liegt einzig und allein daran, dass wir das machen, was auch bei der Bekämpfung anderer schwerer Straftaten gang und gäbe ist, nämlich durch Kontakte in die Szene an Informationen zu kommen. Zur Not auch gegen Bezahlung. Gäbe es die Meldepflicht der Banken so wie es die Meldepflicht der Arbeitgeber gibt, dann gäbe es nichts Brauchbares auf einer CD. Das wissen auch meine Kollegen in Bund und Ländern, die ja nicht nur ebenso wie NRW ihren Anteil an den Steuernachzahlungen erhalten, sondern sich alle auch an den Kosten beteiligt haben.
BdR: Darf man erfahren, wie viele Leute sich inzwischen selbst angezeigt haben? Und wie hoch sind die Einnahmen für den Staat gewesen?
Walter-Borjans: Vor der ersten CD waren Selbstanzeigen bedeutungslos. Seither, also seit 2010, haben wir im gesamten Bundesgebiet aus Steuernachzahlungen aufgrund von rund 100.000 Selbstanzeigen und den Bußgeldern mehrerer Banken insgesamt über vier Milliarden Euro für die Allgemeinheit hereingeholt.
BdR: Gehen Sie davon aus, dass Ihnen weitere CDs angeboten werden? Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Steuerhinterzieher? Und welchen Schaden haben sie angerichtet?
Walter-Borjans: Dunkelziffern lassen sich nicht seriös schätzen. Aber solange es den Informationsaustausch nicht gibt, solange es dunkle Stellen gibt, so lange gibt es Betrug und offenbar mehr und mehr auch Menschen, die Betrüger auffliegen lassen. Das Ende der Fahnenstange ist sicher noch nicht erreicht. Wenn Schätzungen zutreffen, dass deutschlandweit jedes Jahr mindestens 30 Milliarden Euro hinterzogen werden, weiß man, wie viel wir mehr wir in Verkehrswege, in Bildung und Sicherheit investieren könnten, ohne auf Kredite zurückzugreifen, die am Ende von den Ehrlichen bedient werden müssen.
BdR: Wie beurteilen Sie die Steuermoral in NRW?
Walter-Borjans: Nicht besser und nicht schlechter als anderswo in Deutschland. Es gibt gewiss Länder mit schlechterer Steuermoral – unabhängig von der Steuerhöhe. Aber es gibt auch Länder, allen voran die skandinavischen, mit deutlich höheren Steuersätzen und höherer Steuermoral. Dort sind sich die Menschen viel bewusster, dass sie selber der Staat sind und dass jemand, der den Staat betrügt, sich zu Lasten der Gemeinschaft einen schönen Lenz macht. Davon können wir noch etwas lernen – nicht nur wir Bürger, sondern auch der Fiskus, der viel Energie darauf verwendet, zu erläutern, was mit den Steuern gemacht wird. Bei uns glaubt jeder, gerade sein Beitrag versinke im Berliner Flughafen. Dass jährlich über 600 Milliarden Euro an Steuern in Deutschland verantwortungsbewusst eingesetzt werden, geht hinter symbolträchtigen und zweifellos inakzeptablen Misserfolgen sang- und klanglos unter. Das darf nicht so bleiben.
Bildquelle: Wikipedia, Finanzministerium NRW – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0