Noch hat die Große Koalition in Berlin die erste Halbzeit der Legislaturperiode nicht geschafft, da wenden einige Politiker und besonders investigative Medienleute ihre Blicke auf den Termin der nächsten Bundestagswahl. Der Ministerpräsident Albig aus Schleswig-Holstein empfiehlt seiner SPD für 2017, erst gar keinen Genossen oder keine Genossin aufzustellen, wenn Angela Merkel wieder antreten sollte. Wer solche Freunde hat, mag da Sigmar Gabriel empfinden, braucht keine Feinde mehr. Andere SPD-Granden halten sich da vornehm zurück, einige bringen Frank-Walter Steinmeier oder Martin Schulz spekulativ in die Diskussion ein, einige sogar Andrea Nahles. Bis zum nächsten Wahltag sind es immerhin noch über 750 Tage hin. Da besteht heute überhaupt noch keine Notwendigkeit, über den Spitzenkandidaten, die Mannschaft und die Strategie zu phantasieren. Doch Spielchen um Personen sind offenbar interessanter oder simpler als die Befassung mit wichtigen politischen Sachthemen.
So fand auch das Recherche-Team des Magazins „Der Spiegel“ im Sommerloch die “Top Information“, dass Angela Merkel 2017 erneut in den Kampf um das Kanzleramt ziehen wird. Die Redakteure haben messerscharf gefolgert, wenn die Kanzlerin jetzt schon mit dem CDU-Generalsekretär über die Wahl gesprochen habe, was möglich, doch gar nicht belegt ist, dann müsse sie auch wieder antreten. Manches spricht zwar dafür, dass Angela Merkel die Union in den nächsten Bundestagswahlkampf führen wird. Doch wer die Kanzlerin auch nur etwas kennt, weiß nur zu gut, dass sie sich jetzt keineswegs festlegt. Nicht einmal ein Bundesligaverein würde schon heute verkünden, mit welchem Trainer oder Spielführer er in die Saison 2017/18 gehen will. Auch der FC Bayern München gäbe sich da zurückhaltend, selbst wenn Horst Seehofer seine Wünsche lautstark artikulieren wird.
Es kann noch viel passieren
Die aktuellen demoskopischen Werte sprechen für Angela Merkel: sie liegt derzeit um Lichtjahre vor Sigmar Gabriel und anderen möglichen Konkurrenten um die Kanzlerschaft. Sie hat die Union auf Höhen gebracht, die gar eine absolute Mehrheit der CDU/ CSU-Fraktion im Bundestag in den Bereich des Möglichen rücken würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Doch die ist erst im September 2017. Bis dahin kann noch sehr viel passieren in der Innen- wie Außenpolitik, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Unsicherheitsfaktoren sind nicht gering und müssen gemeistert werden. Wohlfühl-Politik kommt zwar bei den Wählern gut an, kann jedoch auch von Angela Merkel “als Mutter der Nation“ nicht unbedingt dauerhaft garantiert werden.
Schließlich ist noch völlig offen, welche Parteien mit welchen Ergebnissen 2017 in den Bundestag einziehen werden. Die aktuellen Umfrageergebnisse sind dafür keine verlässliche Prognose-Basis. Die SPD könnte weiter zwischen den Mühlsteinen der Linken und der Grünen “zerrieben“ werden. Die Partei steht nicht geschlossen vor und hinter Sigmar Gabriel. Die bundesweiten demoskopischen Ergebnisse bewegen sich zwischen 22 und 25 Prozent. Grüne und Linke pendeln fast konstant um die 10 Prozent-Marke. Ob die AfD den Sprung in den Bundestag schaffen wird, ist zwar völlig offen, jedoch nach der Spaltung eher unwahrscheinlich. Wenn die Bundesregierung nicht endlich mit der Asylbewerber-Flut fertig werden sollte, könnte es am rechten Rand des Parteienspektrums noch zu bösen Überraschungen kommen.
Merkel mit vielen Optionen
Still und mühsam arbeitet die FDP unter der geschickten Führung von Christian Lindner an ihrem Comeback. In den meisten Umfragen schafft sie es derzeit wieder über die 5 Prozent-Marke zu klettern. Rund 20 Prozent der Wähler können sich heute vorstellen, wieder die Liberalen in den Bundestag zu wählen. In Hamburg und Bremen gab es positive und ermutigende Ergebnisse bei den Bürgerschaftswahlen. Als außerparlamentarische Opposition in der Bundespolitik ist es für die FDP sehr schwer, ihre Vorstellungen, Pläne und konstruktiven Kritiken zur Vorratsdatenspeicherung, zur Rentenpolitik, zum Mindestlohn oder zur PKW-Maut in eine breite Öffentlichkeit zu transportieren. Vor allem in den Massenmedien haben die Liberalen nur geringe Chancen, sich mit Statements, Interviews oder Talkshow-Auftritten zu präsentieren. Gysi, Wagenknecht, Hofreiter, Bosbach und einige andere sind Dauergäste bei Will, Illner oder Jauch, während die “Besetzungsbüros“ offenbar die Telefon-Nummern von Christian Lindner und anderen Liberalen offline gestellt haben.
Noch ist es zu früh, um von einer bundespolitischen Renaissance der FDP zu sprechen, doch sind die Chancen groß, dass die Liberalen 2017 wieder in den Bundestag einziehen werden. Die Partei, die einst mit Scheel, Genscher, Mischnick und Kinkel profilierte Köpfe hatte, die unter Westerwelle einen sehr hohen Wählerzulauf erlebte und dann mit diesem, aber auch mit Rösler und Niebel abstürzte, muss sich personell wieder breiter aufstellen. Denn ein Lindner allein macht noch keinen liberalen Sommer. Der neue FDP-König braucht eine schlagkräftige Truppe, die einen Teil des Wahlvolkes zu begeistern fähig ist, die in den nächsten zwei Jahren 5 Prozent und mehr bundesweit erkämpfen kann.
Angela Merkels Perspektiven würden mit einer wiedererstarkten FDP noch besser: Die Optionen für den 19. Bundestag wären vielfältiger denn je zuvor und würden von der möglichen absoluten Mehrheit über Koalitionen mit der FDP oder den Grünen bis hin zur Neuauflage der Großen Koalition reichen.
Bildquelle: Wikipedia, Tobias Koch – OTRS, CC BY-SA 3.0