Der Wahlspruch von Johannes Rau „Teneo quia teneor“ – Ich halte, weil ich gehalten werde – war immer auch ein Stück Lebensgeschichte der SPD, der offenbar zunehmend die Solidarität abhanden kommt. Ich meine: Man muss Sigmar Gabriel nicht mögen, aber zumindest als Parteimitglied respektieren. Sicher sind die Umfragewerte der Partei mit 25 Prozent schlecht, aber dies alleine dem Parteivorsitzenden anzukreiden, verkennt die politische Wirklichkeit. Zu diesen Politverdrängern gehört vorneweg Schleswig-Holsteins Regierungschef Albig, der gerne als SPD-Pathologe die Eingeweide seiner Partei bloß legt. Schon im Wahlkampf von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bescheinigte er diesem -auch noch als sein ehemaliger Sprecher- den Chancentod: Jetzt treibt er dasselbe Spiel mit Gabriel. Unter den SPD-Landeschefs der Jüngste, hat Albig bislang weder mit bundespolitischen Initiativen noch landespolitischen Aktivitäten einen Stein ins Rollen gebracht.
Den Anspruch als Volkspartei hat sie als Juniorpartner der Grünen in Baden-Württemberg schon aufgegeben. Es gilt aber: Die großen Zeiten der SPD waren immer auch die Hoch-Zeiten großer sozialdemokratischer Ministerpräsidenten und einer Partei, welche die Programmdiskussion suchte, auch wenn es weh tat. Es wäre für Albig und seine Karrierplanung gescheiter, wenn er sich auf landespolitische Erfolge und bundespolitische Profilschärfung in eigener Sache und nicht auf Kosten anderer kaprizieren würde. Dazu braucht er offenbar noch reichlich Zeit und Erkenntnis.
Die SPD hat sich mit ihren Parteivorsitzenden fast immer schwer getan und die meisten von ihnen gemeuchelt, aber sie hat ihre Stärke in den Ländern gefunden, aus denen auch die programmatischen Impulse kamen. Die Suche nach Idealen sollte zwar nach Helmut Schmidts Meinung einen Krankenhausaufenthalt nach sich ziehen, aber wie sonst könnte die SPD wieder gesunden, in die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung kommen, um mit dem Streben nach Idealen Menschen für sich zu mobilisieren, Meinungseliten anzusprechen?
Pragmatismus reicht nicht
Pragmatismus alleine genügt nicht, der sich in der alltäglichen Wirklichkeit für viele oft als mitleidloses Argument widerspiegelt. Ohne Hoffnung und Mitnahme auf und in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen erlischt die Glaubwürdigkeit, die Ziele nennen muss, auch wenn diese von anderen als utopisch verteufelt werden. Wer sich von vorne herein alleine in der Mitte kuscheln will, der hat es gerne lauwarm, findet andere in der Bettmitte und muß auf der Kante liegen. Das kann nur weh tun. Ein Gefühl, welches auf Dauer keine Erholung verspricht.
Die SPD hat große gesellschaftliche Entwicklungen wie die Umweltbewegung, die Digitalisierungsängste, das Thema Liberalismus nach dem Zusammenbruch der FDP oder Deutschlands neue Rolle nach der Wiedervereinigung für die politische Deutungshoheit verschlafen. Sie hat sich sozusagen ideologisch entkernt und zugesehen, wie ihr die Union mit zunehmender Sozialdemokratisierung den Rang als gesellschaftspolitischer Treiber abgenommen hat. Wenn sich aus Sicht der Wähler Politik auf Verwaltung der Besitzstandwahrung beschränkt, dann geben sie der Partei ihre Stimme, die die Kunst der Kosmetik am besten beherrscht, die besten Beruhigungstabletten hat. Der Hinweis nicht nur vieler konservativer Kommentatoren, Schröders Agenda 2010 sei die letzte bundespolitische Großtat gewesen, lässt über die Qualität deutscher Politik tief blicken.
Wer sich von all den Gabriel-Kritikern nach einer personellen Alternative umblickt, findet auf Bundesebene nichts und nur in den Ländern zwei Kandidaten, die in Frage kommen. Olaf Scholz und Hannelore Kraft.
Andrea Nahles wäre keine Lösung
Was außerdem klar ist:Wenn Gabriel nicht antreten würde, dann dürften seine Tage als Parteivorsitzender auch gezählt sein. Wer folgt ihm nach? Andreas Nahles, das verspricht überhaupt nichts Gutes für eine SPD, die Erneuerung braucht und nicht klassische Funktionärsbiografien.
Olaf Scholz dürfte wenig Lust verspüren, für Berlin den bundespolitischen Ausputzer zu machen, um dann nach verlorener Bundestagswahl schwer beschädigt nach Hamburg zurück zu kehren.
Hannelore Kraft wird Kabinett umbilden
Hannelore Kraft hat bereits auf jegliche bundespolitische Ambitionen verzichtet und wartet jetzt erst einmal nach der Sommerpause mit einer Kabinettsumbildung auf. Dabei gilt es nicht nur Ressorts neu zu besetzen, sondern auch Zuschnitte zu verändern. Mutig zu sein. Alleine der Blick auf die Energiepolitik und der latente Streit zwischen SPD und Grünen in der Wirtschaftspolitik, zeigt nur ein paar der Bruchstellen auf. Hannelore Kraft droht zudem ein Kommunalwahlergebnis in diesem Herbst, welches für die SPD schlecht aussieht und nach einem Neuaufbau der Landespartei schreit. Deren Generalsekretär Andre Stinka ist eine absolute Fehlbesetzung, die Funktionärsschicht träge und in der Landtagsfraktion verkündete ihr Chef Norbert Römer (68 Jahre), nach der nächsten Landtagswahl erneut für das Amt zu kandidieren. Da gibt es viel zu tun.
Alle verlassen sich auf Hannelore Kraft und deren weiten Vorsprung in der Beliebtheitsskala vor dem CDU-Herausforderer Armin Laschet, doch das ist dünnes politisches Eis. Wenn einige Ruhrgebietsstädte von der SPD an die CDU verloren gehen, dann kann sich auch an Rhein und Ruhr der politische Wind schnell drehen.