Datenschutz vs Sicherheit: Die Vorratsdatenspeicherung polarisiert nicht nur die SPD. Was für die einen Gefahren birgt, hilft für die anderen bei Gefahrenbekämpfung. Etwa die Hälfte der Bevölkerung wäre bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Dabei rückt die Frage nach der tatsächlichen Effizienz der Vorratsdatenspeicherung in den Hintergrund. Ein positiver Effekt auf die Verbrechensaufklärungsrate ist bis heute nicht belegt. Bereits 2012 stellte das Max-Planck-Institut in einer Studie fest, dass die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote nicht verbessern konnte, dies gilt ebenso für Internet- und Computerkriminalität .
Sammeln für die Aufklärung?
Deutschland wäre damit nicht der erste Fall, der eine Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht belegen kann. Auch die EU untersuchte 2011 und 2013, inwiefern die Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung schwerer Straftaten dienen könnte. Beide Berichte liefen ins Leere: abgesehen von einzelnen, selektierten Beispielen konnte die Vorratsdatenspeicherung nicht gerechtfertigt werden. Da scheint die Klage, die die Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen wollen, aussichtsreich. Denn ein Einschnitt in die Grundrechte darf in Deutschland nur nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erfolgen: Mittel und Zweck müssen demnach ausgeglichen sein. Eine umfassende Datenspeicherung dürfte kaum in einem angemessenen Verhältnis zu einer unveränderten Verbrechensaufklärungsquote stehen.
„Ich-habe-nichts-zu-verbergen“! Wirklich?
Wenn die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung wissenschaftlich mindestens umstritten ist, wieso sind viele Bürger bereit ihre Daten trotzdem herzugeben? Das „Ich-habe-nichts-zu-verbergen-und-es-wird-sich-sowieso-niemand-für-meine-Daten-interessieren“- Prinzip geistert durch die Köpfe gesetzestreuer Steuerzahler, deren Vorbildlichkeit gerne der Bundesregierung, NSA und auch dem BND schwarz auf weiß vorliegen dürfen. Doch auch mit vermeintlich uninteressanten Daten, lassen sich aufschlussreiche Profile erstellen. Neben Informationen zu Anrufdauer und Verbindungen sollen durch die Vorratsdatenspeicherung auch Standortdaten gesammelt werden dürfen. Und vor allem diese lassen eine lückenlose Nachverfolgung von Handynutzern zu, denn auch im ausgeschalteten Zustand übermitteln Handys weiter Standortdaten. Nach dem Motto: Du sagst mir wo du warst, ich sag dir, wer du bist, können die Daten Nutzer ebenso präzise identifizieren, wie deren Fingerabdrücke.
Metadaten wissen mehr, als man selbst
Auch Studenten der Stanford Universität beschäftigten sich 2014 damit, was Metadaten über das Privatleben einzelner Personen verraten. Aus Verbindungs-, Standort-, SMS Daten und Facebook-Accounts der Studienteilnehmer ergaben sich Einsichten zu Lebenspartnern, Religionsangehörigkeit, Kontakten. Auch Informationen zu Geschlechtskrankheiten, Affären, Waffenbesitz und Drogenhandel ließen sich mit den Metadaten erschließen. Ein treuer Ehemann, gesunder Anti-Alkoholiker oder drogenablehnender Pazifist kann also beruhigt seine Daten weitergeben? Auch sie könnten auf Grund der Daten plötzlich interessant werden. Die Forscher fanden heraus, dass alle Probanden über höchstens vier Ecken miteinander verbunden waren, sodass selbst unauffällige Teilnehmer zum Umfeld von verdächtigen Personen gehören können. Im Zweifelsfall wissen die Metadaten also mehr über einen, als man selbst. Darüber was man preisgeben oder verbergen möchte, haben Bürger teilweise keinen Überblick mehr.
Gerade dieser unabänderliche Kontrollverlust führt neben dem „ich-habe-nichts-zu-verbergen“-Argument zu Gleichgültigkeit. Wer Facebook-Nutzer ist, per WhatsApp sein Privatleben koordiniert und sich per GPS zum nächsten Termin navigieren lässt, hinterlässt unumgänglicher Weise Datenspuren. Wenn wir also alles sowieso bereits freiwillig preisgeben, warum noch über ein bisschen Vorratsdatenspeicherung streiten? Natürlich werden bereits ohne das Gesetz Daten gespeichert, dabei handelt es sich zum Beispiel um Verbindungsdaten, die Telekommunikationsunternehmen vor allem für die Rechnungserstellung speichern. Auch an Facebook geben über die Hälfte der deutschen Internetnutzer Daten ab. Die beschränken sich nicht auf die Fotos und Status-Updates, die ein Nutzer postet. Auch Daten zur Nutzung von Diensten und Inhalten, Netzwerken und Gruppen, und Geräteinfos von Facebook-App-Nutzern sammelt das Unternehmen laut Datenrichtlinien.
Daten preisgeben ist alternativlos,Vorratsdatenspeicherung nicht
Unterliegen Kritiker der Vorratsdatenspeicherung also einer Doppelmoral? Geben sie freiwillig das her, was sie der Vorratsdatenspeicherung verweigern? Dazu sollte man sich fragen, wie es möglich wäre, keine Datenspuren zu hinterlassen. Kein Handy, keine sozialen Netzwerke, kein Google, kein Navigationsgerät, kein Telefon, keine Emails: wer keine Spuren hinterlassen möchte, müsste heute ein technisches Aussteigerleben führen. Es geht also nicht um eine bewusste Entscheidung zwischen zwei Alternativen: Fußball WM in Katar schauen und Korruption und Sklaverei unterstützen, oder abschalten; auf tierische Produkte verzichten und vegan leben, oder Fleisch konsumieren. Es gibt keine Wahl zwischen Daten preisgeben oder Daten behalten; es handelt sich vielmehr um eine zwangsläufige Einwilligung. Wer das nicht will, verpasst nicht nur eine WM oder Milchprodukte, er müsste sich in eine gesellschaftliche Isolation begeben. Ob ein einzelner Facebook-Nutzer lieber weniger Daten über sich zur Verfügung stellen würde, bleibt nicht ihm überlassen. Und wer sich bei Facebook abmeldet, wird immer noch per Telefon und IP-Adresse erfasst. Was bleibt ist die Entscheidung nicht noch mehr Daten an noch mehr Stellen über sich speichern zu lassen, hier gibt es noch eine Alternative. Spätestens bei der nächsten Bundestagswahl hat jeder eine Stimme in der Datendebatte.
Bild: ozeflyer