Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Hannah Arendt. Große Autoren, die jedem sofort einfallen, wenn an das Exil während der Nazi-Zeit erinnert wird. Ihre Schicksale aus jener Zeit sind bis aufs Kleinste ausgeleuchtet. Über Hunderttausende, die fliehen mussten, ist dagegen nur wenig bekannt. Dabei wollte es Wolfgang Benz, renommierter Zeithistoriker und Antisemitismus-Forscher, in seinem Buch „Exil“ nicht belassen. Sein Blick gilt nicht allein den privilegierten Exilanten. Er hat die unendliche Dimension der Schicksale jener aufgezeichnet, die Nazi-Deutschland verlassen mussten, ohne zu wissen, wer sie aufnehmen würde, wie sie leben und ihren Unterhalt verdienen könnten.
Auf der verzweifelten Suche nach sicheren Zufluchtsorten mussten die Geflüchteten weltweit um Unterschlupf bitten. Oft ein Kampf gegen Windmühlen. Denn mit offenen Armen wurden sie fast nirgendwo aufgenommen. Die Zahlen, die Benz zusammengetragen hat, sind gewaltig und dürften nur einer kleiner Zahl von Exilforschern geläufig sein. Allein 275 000 jüdische Mitbürger flohen bis 1941 aus Deutschland, weil sie sich ihres Lebens nicht sicher sein konnten. Weitere 200 0000 mussten Österreich nach der deutschen Besetzung verlassen. Je länger der Nazi-Terror dauerte, desto schwieriger wurde es für sie, Fluchtwege und Fluchtorte zu finden.
Benz beschreibt, wie sich die europäischen Überlebensräume immer mehr verengten, wie durch den Krieg der Nazis ab 1939 sicher geglaubtes Exil zur Falle wurde. So Prag, in dem gleich nach Beginn der Nazi-Herrschaft viele Verfolgte Exil fanden. So auch Sozialdemokraten, die wie mehr als 30 000 politisch Verfolgte Deutschland verlassen mussten und von Prag aus das Leben ihrer Parteigenossen im deutschen Untergrund „mit dem Pathos der Verzweiflung“ organisierten. Sie waren in der Stadt Ende der 30er Jahre nicht mehr sicher, siedelten nach Frankreich um, wo ihr Überleben nach Kriegsbeginn auch nicht mehr gewährleistet war. Die Bedingungen dort waren ohnehin desolat. Viele konnten nur in französischen Internierungslagern unter menschenunwürdigen Umständen dahin vegetieren. „Die Flüchtlinge“, so Benz, „kämpften um Obdach und Arbeit, um das schiere Überleben, schließlich um das Entkommen aus Frankreich, als das Gastland 1940 unter deutsche Herrschaft geriet.“
Für viele Juden endete mit der Flucht ihre bürgerliche Existenz. Statt in ihren erlernten Berufen mussten sie ihren Lebensunterhalt mit Hilfsjobs erkämpfen. Ohnehin nicht willkommen, konnten sie froh sein, wenn sie auf niedrigstem Niveau eine Existenzgrundlage fanden.
In seinem Buch legt Benz einerseits die Hartherzigkeit von Staaten wie der Schweiz gegenüber jüdischen Flüchtlingen offen, andererseits beschreibt er viele private Initiativen, die dort, in England oder den USA alles daran setzten, wenigstens einigen von ihnen das Leben zu retten.
Palästina als Zufluchtsort? Benz zeigt zum einen auf, dass die Briten in ihrem Mandatsgebiet den Fliehenden viele Steine in den Weg warfen und zum anderen, dass die Lebensbedingungen in „Eretz Israel“ für viele europäische Juden nur schwer erträglich waren. In kurzen Skizzen beschreibt er diese Schicksale, die der unvergessliche israelische Schriftsteller Amos Oz in seinem großen Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ über das Schicksal seiner Familie und die Depression seiner Mutter beschrieben hat.
Vor einem Jahr hat Uwe Wittstock ebenfalls im Verlag C.H. Beck das viel beachtete Buch „Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur“ vorgelegt (besprochen im Blog der Republik). Wittstock schilderte einen wichtigen Ausschnitt des großen Themas Exil. Es ist der Verdienst des Verlags, dass er dem renommierten Exilforscher Wolfgang Benz jetzt die Möglichkeit geboten hat, alle Verästelungen dieser von Deutschland betriebenen Schande darzustellen. Und Benz hat dabei nicht nur die Vergangenheit im Blick. Sein Buch ist auch eine Mahnung, dass Europa nicht zur Wagenburg werden darf für die, die heute aus anderen Gegenden der Welt durch Flucht um ihr Überleben kämpfen müssen.
Wolfgang Benz, Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933 – 1945. C.H.Beck-Verlag. 407 Seiten. 36 Euro.
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