Ein schwarzer Tag für München, diese doch so bunte, offene, liberale Stadt. Die bayerische Metropole, ein Platz nicht nur des FC Bayern, sondern auch der Kunst, der Wiesn, des Hofbräuhauses, der Theater, diese Stadt ist fassungslos. Hier wo man gern lebt, wenn man es sich leisten kann, ist aus der friedlichen und sicheren Landeshauptstadt des Freistaats Bayern ein Ort geworden, der von Schockstarre erfasst worden ist. Wieder ist ein junger Afghane absichtlich mit seinem Kleinwagen in eine Menschenmenge gerast, die für mehr Gehalt im öffentlichen Dienst demonstrierte. Ein Albtraum für jeden, der schon mal demonstriert hat, der in Fußgängerzonen bummeln und shoppen geht, ohne Hetze und Hast, und der nun die Bilder sieht, die jeden erschüttern. 25 Verletzte, darunter Kinder. Es liegen Regenschirme am Boden, Taschen, Verdi-Plakate, das Anschlagauto ist demoliert, die Frontscheibe zertrümmert. Polizeifahrzeuge stehen da, man sieht das Blaulicht, Neugierige und Helfer überall. Schon wieder ist es passiert. Ein Anschlag? Warum nur? Hätte man den Täter vorher abschieben können, müssen, irgendwie festsetzen? War er vorbestraft? Fragen über Fragen, Vorwürfe, jeder Politiker will Härte zeigen. Münchens OB Reiter wirkt betroffen, Beschäftigte der Stadt München sind unter den Verletzten. Der Anschlag hat München mitten ins Herz getroffen.
Und all das geschah nur wenige Tage vor der Bundestagswahl. Namen von bestimmten Städten in Deutschland stehen plötzlich nicht mehr für ihre Besonderheiten, ihre Schönheiten, die sie auszeichnen und deretwegen wir sie immer mal wieder besuchen: Mannheim, Solingen, Aschaffenburg, Magdeburg und jetzt München werden genannt, um die Serie von Anschlägen zu kennzeichnen. Gerade so, als stünden die genannten Städte nur und vor allem dafür, das Traurige, das uns alle Empörende. Sicherheit, Toleranz, Asyl, Geflüchtete, Abschiebepraxis, Grenzkontrollen werden miteinander vermischt und Politiker versuchen, mit einer Art Muskelspiel dieser Lage Herr zu werden. Um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Menschlichkeit geht dabei verloren, weil man glaubt, man müsse mit der AfD mithalten.
Bayern Ministerpräsident Markus Söder(CSU) geht ans Mikrophon, neben sich sein Innenminister Joachim Herrmann. Söder reicht es, für Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz „muss sich etwas ändern in Deutschland“. Und der Favorit für die Nachfolge von Olaf Scholz kündigt schon mal an, dass seine von ihm geführte Regierung „Recht und und Ordnung konsequent durchsetzen“ werde. Die Sicherheit der Menschen in Deutschland werde für ihn an erster Stelle stehen. Aber tut sie das heute nicht? Olaf Scholz bläst in ein ähnliches Horn, Härte zeigen, bestrafen, abschieben, nur nicht nachgeben. Wer Strafen in Deutschland begehe, müsse auch damit rechnen, „dass er seinen Aufenthalt in Deutschland nicht fortsetzen kann.“
Taliban spielen da nicht mit
Ich verstehe es ja, dass Politiker reagieren müssen, aber weniger wäre oft mehr, es wäre zudem glaubwürdiger, weil sie doch wissen, dass das mit dem Abschieben nach Afghanistan gar nicht so leicht geht. Die Taliban spielen da nicht mit. Eine andere Frage ist auch wieder, ob man den Anschlag hätte verhindern können. Wie bitte? NRW-Innenminister Herbert Reul(CDU) ist gleichwohl entsetzt, was da mal in NRW, mal in Baden-Württemberg, dann in Sachsen-Anhalt und in Bayern passiert ist. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, ausschließen kann man nämlich nichts. Die Zusammenarbeit der Dienste, weniger Bürokratie, mehr Rechte für die Polizei, überhaupt mehr Polizisten, die Erfassung der Täter, wenn sie denn krank und als solche bekannt sind. Und wie sieht das dann mit dem Datenschutz aus? Aber es muss etwas geschehen, lautet der Ruf von Flensburg bis Garmisch. Betroffenheit reiche nicht, ja Anteilnahme sei wichtig. Aufarbeitung auch, aber betont der Wahlkämpfer Söder, dem natürlich die Anschläge in Aschaffenburg und in München schwer zu schaffen machen: „Unsere Entschlossenheit wächst.“ Fragt sich nur wie.
Migration ist das Wort, das natürlich von der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel genüsslich in den Mund genommen wird. Sie fordert eine Migrationswende, mehr muss sie nicht sagen, während die Bergungsarbeiten in München noch laufen und andere Politiker der demokratischen Parteien der Opfer gedenken und den Rettungskräften für ihre Arbeit danken. Remigration, so hatte sie es vor Wochen schon gesagt auf einem AfD-Parteitag, ein Begriff, der viele Deutsche mit Migrationshintergrund empört hatte. Etwa jeder vierte Deutsche hat ausländische Wurzeln, lebt hier im Lande seit Generationen, arbeitet, zahlt Steuern und Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme. Wenn die alle die Arbeit niederlegen würden, würde das Leben stillstehen im Lande. So sorgen zum Beispiel Tausende Syrer als Ärzte für die medizinische Versorgung deutscher Patienten auf dem Lande und in der Stadt. Aber so schürt man Verunsicherung, die offensichtlich auf fruchtbaren Boden fällt. Die AfD liegt in allen Umfragen bei über 20 Prozent, klar vor der ältesten deutschen Partei, der SPD, die zwar den Kanzler stellt, die aber seit Monaten in einem Tief verharrt, aus dem zu entrinnen kein führender Genosse den Ausweg kennt.
Trotz allem: Deutschland ist für mich ein sicheres Land. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, wenn die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi ihre Ängste darüber äußert, wie es mit Deutschland weitergehen werde. Die Bedrohung für Juden in Deutschland sei eindeutig gewachsen, hat die 92jährige gerade noch einmal betont in der ZDF-Sendung „Lanz“. Wenn sie an Schulen auftrete, um über ihr Leben, über den Holocaust zu reden, habe sie gelegentlich Polizeischutz. Ich schäme mich, wenn ich das höre und lese. Ich schäme mich, wenn in der gleichen Sendung vom Sport-Reporter Marcel Reif, der viele Verwandte durch die Nazi-Zeit und die Schoa verlor, gesagt wird: „Ich fühle mich in Deutschland nicht mehr sicher.“ Reif beklagte in der Sendung den Tabubruch, dass im Bundestag eine Fraktion sitze, die in weiten Teilen rechtsradikal und in Teilen rassistisch sei. Das „nie wieder“ müsse in Deutschland gelebt werden, die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis dürfe nicht eines Tages zu einem Datum werden wie das Römische Reich. Es müsse dafür gesorgt werden, forderte Reif, „dass ein Jude ganz normal in Deutschland leben kann“.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht
Deutschland ist ein offenes Land, ein tolerantes Land. Die Würde des Menschen steht am Anfang des Grundgesetzes in Artikel 1. Dazu gehört, dass wir Geflüchtete aufnehmen, ihnen Schutz gewähren, ein Dach über dem Kopf geben, dafür sorgen, dass sie hier leben können. Zu unserem Grundgesetz zählt das Grundrecht auf Asyl. In Artikel 16 steht. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ So haben es die Mütter und Väter der Verfassung festgeschrieben. Aus gutem Grund. Diesen Asylsuchenden müssen wir mit Menschlichkeit begegnen. So hat es vor Jahren die Kanzlerin Angela Merkel gehalten, als sie Zigtausende ins Land ließ. „Wir schaffen das“ lautete ihre feste Überzeugung. Und sie ergänzte später auf Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik: wenn sie sich für diese Menschlichkeit entschuldigen müsse, sei „das nicht mehr mein Land“. Wollen wir Menschen in Not nicht mehr helfen? Sie an der Grenze mit bewaffneten Polizisten zurückweisen? Ja, es ist wahr, wir müssen mehr in die Integration investieren, dafür sorgen, dass Geflüchtete hier schneller die deutsche Sprache lernen und hier arbeiten dürfen. Wir brauchen ausländische Arbeitskräfte. Die Anschläge von Aschaffenburg und München, die Taten von Magdeburg lassen niemanden kalt, sie versetzen viele ins Grübeln. Doch sollten wir darüber nicht unsere Mitmenschlichkeit verlieren. Die harte Gangart, das ist die Sprache der AfD, das ist nicht Deutschland.
Am letzten Wochenende haben auf der Theresienwiese in München eine Vierteil Million Menschen für mehr Toleranz demonstriert, für unsere Demokratie, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch in anderen Städten wurde demonstriert für das bunte Deutschland, das offen ist und ein Herz hat für Menschen in Not. Wir hatten vor einem Jahr eine Demonstrations-Welle in der ganzen Bundesrepublik, in Bonn, wie in Köln, Hamburg, Freiburg, Berlin, Prien/Chiemsee, in Hannover, Essen und und und. Wir alle wünschen uns Sicherheit für uns und unsere Kinder, wir alle wollen in Hamburg wie in München unbeschwert leben, demonstrieren, bummeln, ins Stadion gehen, aber zur Sicherheit des Landes gehört die offene Gesellschaft, die menschlich ist und hilfreich. Diese deutsche Demokratie lebt seit über 75 Jahren vom Kompromiss der Meinungen und Ideen vieler Parteien, ein Kompromiss, der unsere Politik auszeichnet seit Jahrzehnten, sie lebt davon, dass Regierungswechsel von Adenauer zu Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel bis hin zu Scholz friedfertig über die Bühne gingen. Wir hatten CDU/CSU/FDP-Regierungen, sie wurden abgelöst von der sozialliberalen Koalition, ihnen folgte Schwarz-Gelb, dann gab es die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene, dann kam Merkel mit den verschiedenen Schwarz-Roten Regierungen, einmal unterbrochen von Schwarz-Gelb und schließlich die Ampel, die im letzten Herbst zerbrach. Am 23. Februar wird der Bundestag vorzeitig neu gewählt. Die demokratischen Parteien müssen in der Lage sein, spätestens am Wahlabend die Streitereien des Wahlkampfes zu ersetzen durch Gesprächsbereitschaft. Und diese basiert nun mal darauf, dass sich alle in der Union, der SPD, den Grünen, der FDP, der Linken kompromissbereit zeigen. Inhalt der Politik der nächsten Koalition ist nämlich nicht das jeweilige Parteiprogramm, sondern möglichst eine Politik für alle Bürgerinnen und Bürger. Erinnert sei hier an eine Rede des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt 1961: Wenn er Kanzler werde, müsse er Politik für alle Deutschen machen.
Der Feind steht rechts
Übrigens Frau Weidel, Ihre AfD zähle ich ausdrücklich nicht zu den demokratischen Parteien. Sie wollen diesen Staat zerstören, die EU auseinandertreiben, Ihr Vorbild ist der Ungar Orban, ein Freund Putins, Sie wollen das Aus der Nato, das Ende für den Euro. Sie spalten das Land, indem Sie laut ihre Remigrations-Phantasien feiern. Die Hand, die Sie Herrn Merz gereicht haben, hat der abgelehnt. Zu Recht. CDU und SPD zum Beispiel sind politische Gegner, die aber gemeinsam regiert haben und es wieder tun werden, wenn es nötig und möglich ist. Sie stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Das gilt ebenso für die Grünen, die FDP und die Linke. Die AfD aber ist eine verfassungsfeindliche Partei, in weiten Teilen gesichert rechtsextremistisch oder wie es NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gesagt hat: „eine Nazi-Partei“. Der Feind steht rechts, Frau Weidel, so ist es historisch belegt durch den Reichskanzler Joseph Wirth(Zentrum), geäußert nach dem Attentat von Rechtsradikalen 1922 auf den Reichsaußenminister Walther Rathenau: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind- und darüber ist kein Zweifel. dieser Feind steht rechts.“