Gestern Abend habe ich im ARD-Fernsehen den Brennpunkt zur Lage im Nahen Osten gesehen – und seitdem frage ich mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe.
Der Brennpunkt lief unter dem Titel: „Hamas und Israel einig bei Waffenruhe und Geiseldeal“. Gegen Ende wurde ein Diplomat und Nahost-Experte befragt, ob auch er glaube, dass der Gazakrieg jetzt vorbei sei. Der Mann trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarz umrandete, ziemlich große Brille. Er sah nicht fröhlich aus und auch seine Antwort klang eher traurig, resigniert, auf jeden Fall merkwürdig verhalten. Er sagte nicht: „Ja, es sieht so aus!“ oder „Ja, davon dürfen, davon können wir jetzt ausgehen! Er sagte: „Ja, ich glaube, davon muss man ausgehen.“
Okay! War vielleicht ein falscher Zungenschlag, dachte ich, vielleicht ist der Mann es nicht gewohnt, im Fernsehen interviewt zu werden. Aber während ich das dachte, redete der Herr weiter und teilte, wie mir schien: eher beiläufig einen der Gründe mit, warum es so lange gedauert hat, bis diese Einigung zustande kam. Es lag nicht an Joe Biden. Und auch nicht an der störrischen Hamas. Es lag vielmehr daran, so glaubte ich ihn zu verstehen, dass es in diesen Verhandlungen auch „um die Person von Netanjahu“ ging und um die Forderung, den gegen ihn erlassenen Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs für Menschenrechte aufzuheben.
Wie bitte? Hatte ich mich verhört? Die Aufhebung des Haftbefehls gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu soll Gegenstand der Verhandlungen gewesen sein? Heißt das, Netanjahu wollte oder will den Vereinbarungen nur zustimmen, wenn sichergestellt ist, dass man ihn nicht wegen Kriegsverbrechen anklagen wird? Das kann nicht sein, dachte ich. Das hieße ja, die Geiseln wurden nur deshalb so lange festgehalten und der ganze furchtbare, grausame Krieg, die Zerstörung des Gazastreifens mit inzwischen 46.000 getöteten Palästinensern zuletzt nur noch deshalb fortgesetzt, um Netanjahu vor einer Anklage zu bewahren, ihm den A… zu retten? Du musst dich verhört haben, dachte ich. Ein solches Junktim wäre zynisch und verbrecherisch. Deshalb kann es das nicht gegeben haben.
Außerdem: Wenn es so wäre, dann hätte die Moderatorin doch nachgefragt und dann hätte man darüber doch schon irgendwann einmal etwas in den zahllosen Berichten gelesen oder gehört. Hat man aber nicht. Also kann es auch nicht stimmen. Und wenn du es trotzdem zu hören geglaubt hast, dann hast du nicht alle Tassen im Schrank. Kauf dir ein neues Hörgerät.
Zum Glück gibt es die Mediathek. Die kann sich jeder angucken. Auch der ARD-Brennpunkt von gestern, 15. Januar 2025, ist dort gespeichert. Er dauert sieben Minuten und neunundfünfzig Sekunden. Und gegen Ende der vierten Minute, etwa auf Position 4:52, taucht besagter Diplomat und Nah-Ost Experte auf. Und auf die Frage der Moderatorin, ob „dort der Krieg jetzt zu Ende ist“, sagt er Folgendes:
„Ja, ich glaube, davon muss man ausgehen. Es waren ja sehr komplexe Verhandlungen, bei denen es unter anderem auch um die Person von Netanjahu ging. Und ich gehe auch davon aus, dass die Forderung des designierten US-Außenministers Rubio im Senatsausschuss nach einer Aufhebung des Strafbefehls des Internationalen Gerichtshofes auch Teil dieser Gespräche ist. Das zeigt, wie ernsthaft diese Gespräche geführt worden sind. Und man muss davon ausgehen, dass diese Waffenruhe (nun) eintritt“.
Bin ich verrückt? Sehe ich Gespenster? Warum fragte die Moderatorin nicht nach? Warum wechselte sie ganz schnell das Thema? Warum stand nie etwas davon in den Zeitungen, die ich gelesen habe? Warum finde ich auch heute, einen Tag später, kein Wort darüber in den Medien? Hat dieser Diplomat sich verplappert? Oder hat er die Situation genutzt, um dieses skandalöse Junktim publik zu machen? Oder hat irgendjemand das ganze Gespräch gefälscht und in das öffentlich-rechtliche Interview geschmuggelt?
Fragen über Fragen.
PS: Nach neuesten Nachrichten mauert Netanjahu. Warum mauert er?
Quelle: