Fünf Tage nahm sich der gegenwärtige Landesvorstand der AfD-NRW Zeit, um die Kandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen. Die angeblich gemäßigte Landespartei unter dem Vorsitzenden Martin Vincentz hatte vor allem ein Ziel: verhindern, dass Matthias Helferich, der sich selbst einmal als „freundliches Gesicht der NS“ bezeichnete, erneut in den Bundestag einzieht. Zuvor hatte der Landesvorstand dem Dortmunder die erforderliche Bestätigungsunterschrift verweigert. In Marl sollte das Kapitel Helferich endgültig geschlossen werden – doch das Vorhaben scheiterte kläglich.
Wie die Stimmung unter den knapp 500 Delegierten war, bekam schon der Spitzenkandidat Kay Gottschalk zu spüren. Gegen ihn trat der weitgehend unbekannte Axel Fischer aus Düren an, der die Versammlung mit reichlich „schmutziger Wäsche“ zu unterhalten wusste. Fischer stammt aus dem gleichen Kreisverband wie der ehemalige Landesvize Klaus Esser. Gegen Esser, einen Vertrauten von Vincentz, laufen Ermittlungen, seine Parteiämter ruhen derzeit. Fischer erhielt 151 Stimmen – einen Achtungserfolg für den Helferich-Flügel und eine Ohrfeige für Vincentz.
Richtig heftig wurde es bei Listenplatz 5: Hier stritten sich die bisherigen Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen und Stefan Keuter. Lucassen, früherer Landeschef und derzeit verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, gehört zum Helferich-Lager und setzte sich durch. Keuter, eher bekannt als Putin-Versteher und Russland-Verehrer, sicherte sich später dennoch einen als sicher geltenden Listenplatz.
Schließlich triumphierte auch Matthias Helferich selbst: Er gewann Platz 6 mit 292 Stimmen. Damit scheiterte das Ziel des Landesvorstands, Helferich von der Liste fernzuhalten, spektakulär. Der rechtsextreme Abgeordnete, der aus der Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde, könnte auf Betreiben des Höcke-Lagers in der neuen Fraktion wieder aufgenommen werden. Das vom Landesvorstand angestrebte Parteiausschlussverfahren gilt unter Beobachtern als wenig aussichtsreich. Vincentz kommentierte die Wahl gegenüber dem WDR emotionslos, als „für NRW verlorenes Mandat“.
Doch Helferich war nicht der einzige umstrittene Kandidat. Auch Anna Rathert, die einzige Frau unter den ersten 20 Listenplätzen, schaffte das Quorum. Die Rechtsanwältin aus Recklinghausen gilt als so weit rechts, dass sie jüngst nicht einmal ins Bundesschiedsgericht gewählt wurde. Rathert vertritt Positionen wie etwa, dass der Volksbegriff mit Abstammung zusammenhänge – mit anderen Worten: Staatsbürgerschaften hätten für sie unterschiedliche Qualitäten.
Machtlos gegenüber den Rechtsextremen in der eigenen Partei blickte der Landesvorstand auf das Treiben der Delegierten. Ein versöhnlicher Kurs scheint nichts zu nützen. Besonders bezeichnend: Die Parteispitze hatte den umstrittenen Europaabgeordneten Maximilian Krah als Gastredner eingeladen. Obwohl Krah den Landesvorstand lobte, hatte seine Rede keinerlei mäßigenden Einfluss auf die Mehrheit der Delegierten. Es wird höchste Zeit, dass sich der Verfassungsschutz intensiver mit dem aktuellen Status der NRW-AfD auseinandersetzt.
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