Es ist Wahlkampf und das ist die Zeit der Wahlversprechen aller Parteien. Wählerinnen und Wähler sollten sich aber darauf nicht verlassen, was da angekündigt wird. Es sind im Grunde nur Absichten, Pläne, die eine einzelne Partei ohnehin nicht durchsetzen kann. Dazu bedarf es einer Koalition, die eine Regierung bildet. So muss man davon ausgehen, dass im wahrscheinlichen Fall eines CDU-Sieges-bei über 30 Prozent in allen Umfragen- die Union unter der Leitung ihres Vorsitzenden Friedrich Merz die Richtung der Politik vorgibt. Aber selbst ein Kanzler Merz wird nicht all seine Wünsche umsetzen können, das hängt vom jeweiligen Koalitionspartner ab. Also sind Wahlversprechen mit großer Vorsicht zu genießen. Und niemand sollte sich darauf verlassen. Man kann sich ja mal versprechen.
Aber die großen Linien geben Wahlprogramme schon vor. Von Friedrich Merz, einem Freund der Unternehmer seit ewigen Zeiten, wird man keine Milliardärssteuer erwarten können, wie sie die SPD und die Grünen fordern. Im Bundestag sagte er zu solchen und andere Plänen, die Reichsten stärker zur Kasse zu bitten, das ginge schon deshalb nicht, weil das meiste Geld dieser Leute in ihren Unternehmen stecke. Das könne man nicht einfach abziehen. Diese Aussage kenne ich aus jahrelangen Debatten. Immer wenn es darum ging, die starken Schultern müssten mehr belastet werden, wurde ähnlich argumentiert. Und schon waren wir wie immer bei der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer, die nicht gefährdet werden dürfe. Und in Krisenzeiten wie diesen erst recht nicht. Übrigens wird einer wie Merz sich auch nicht an eine Reform der Erbschaftssteuer wagen. Die würde ja ebenfalls die Super-Reichen treffen und dann wären schon wieder ihre Firmen und natürlich die Jobs in Gefahr. Ja, Herr Merz, diese leichte Polemisierung muss sein, weil ich diese Art von Diskussionen kenne. Die werden dann noch dadurch angeheizt, dass man bei der Erbschaftssteuer unser Oma ihr klein Häuschen wegnehmen wolle. Niemand will das, aber durch Bild und andere Medien lassen sich Debatten schnell und einfach in die entsprechende Richtung drehen.
Die Leistungsgesellschaft
Und dann wird die Leistungsgesellschaft ins Spiel gebracht. Arbeit muss sich wieder lohnen. Und deshalb müssten Staatsgelder, Hilfen an Bedürftige, die aus Steuereinnahmen finanziert werden, stärker kontrolliert und durch Sanktionen den Faulpelzen der Spaß an der Nichtarbeit genommen werden. Überspitzt gesagt. Lohn und Gehalt müssten höher liegen als Stütz-Gelder, die jemand bezöge, ohne etwas dafür zu tun. Ich will gar nicht bestreiten, dass es im Sozialbereich Abstauber gibt, Faulpelze, Missbräuche, aber so zu tun, als sei das System, ist einfach nicht lauter, weil Menschen, die nicht arbeiten, aber Hilfe bekommen, diskriminiert werden. Es wird unterstellt, dass viele freiwillig die Arbeit verweigern, was aber nicht stimmt. Sie sind oft durch Krankheit, den Verlust des Jobs, weil die Firma pleite ging, durch unglückliche Umstände in diese Notlage geraten. Ich beneide sie nicht darum. Viele, sehr viele würde gern wieder täglich arbeiten, weil es zur Würde des Menschen gehört.
Ziemlich erbärmlich finde ich die Debatte über das Bürgergeld. Friedrich Merz hat angekündigt, dort Milliarden Euro zu sparen. Gut gebrüllt, Löwe. Der wahrscheinliche nächste Kanzler will also bei den Ärmsten der Armen abkassieren. Das ist ja auch kein großes Problem, die Bezieher von Bürgergeld sind die, die am Existenzminimum leben. Sie haben keine schlagkräftige Lobby, die für sie auf die Straße geht. Wenn Union und FDP erklären sollen, woher das Geld kommen soll, um den Wegfall des Soli für Besserverdiener auszugleichen, um die Lücken zu finanzieren, die niedrigere Steuern im Staatssäckel reißen, um höhere Verteidigungsausgaben zu bezahlen oder die marode Infrastruktur im Lande wie Straßen, Brücken und die Bahn, weisen sie alle zuerst und vor allem auf die rund vier Millionen arbeitsfähigen Bezieher von Bürgergeld hin. Hier ließen sich, so war von Herrn Merz zu lesen, „zweistellige Milliardenbeträge einsparen“. Und da sind wir dann bei den oben erwähnten schärferen Sanktionen für Langzeitarbeitslose, an deren angebliches Vermögen man strengere Regeln legen möchte. Warum Herr Merz setzen Sie sich nicht dafür ein, dass mehr Wirtschaftsprüfer Betriebsprüfungen vornehmen, um Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen? Nur ein Beispiel. Aber es ist ja einfacher, die Armen im Lande gewollt oder ungewollt in ein schiefes Licht zu setzen. Ja, das passiert doch, wenn aufgrund dieser Geschichten über Bürgergeld-Bezieher der Stammtisch über diese Menschen herzieht. Schon 100000 Bürgergeld-Empfänger mehr im Arbeitsmarkt bedeuteten zwei bis drei Milliarden weniger Ausgaben plus höhere Einnahmen. So hat Herr Merz das vorgerechnet. Als ginge das so einfach.
Unredliche Debatte
Es gibt sie, die Missbrauchsfälle, keine Frage. Einzelne, die dann verallgemeinert werden. Es ist richtig, darauf hinzuarbeiten, dass diese Missbräuche abgestellt werden. Der dafür zuständige Arbeitsminister Heil hätte genauer hinschauen, mehr Experten zu Rate ziehen müssen, damit alles seine Richtigkeit hat. Aber noch einmal: Es ist einfach unredlich, den Eindruck zu erwecken, als würden hier mit staatlicher Hilfe Tausende von Faulpelzen und Drückebergern durchgefüttert. Fördern und fordern, das gab es schon mal, es ist richtig, wenn man es darauf anlegt, dass Menschen wieder in Arbeit kommen, aber in würdige Arbeit, nicht in irgendwelche Ein-Euro-Jobs, Hilfsjobs, von deren Einkünften sie zwar nicht verhungern, aber leben kann man das doch nicht nennen. Fördern heißt, sie auszubilden, fortzubilden, qualifizieren für einen ordentlichen Job, in dem sie ordentlich bezahlt werden, damit sie davon leben können, eine Wohnung bezahlen können, eine Familie gründen, sie ernähren, ihre Kinder zur Schule schicken, damit sie später nicht arbeitslos werden. Sie brauchen eine abgeschlossene Berufsausbildung. Zu viele Langzeitarbeitslose haben keinen abgeschlossenen Beruf gelernt. Das muss verändert werden, da müssen wir investieren, sie betreuen, das kostet Geld, ist aber gut angelegt. Aus ihnen müssen Facharbeiter werden, die wir doch zu Tausenden brauchen. Ein schwerer Weg, ja, aber der einzige vernünftige. Dass Schwarzarbeit bekämpft werden muss, gab es schon zu Zeiten von Norbert Blüm. Der war ein Sozialpolitiker mit Herz, Herr Merz.
Wir sollten diese Art des Wahlkampfes lassen, sie hilft nur den Falschen, die keine Lösung des Problems wollen, weil sie das System zerstören wollen, alles schlecht reden. Das Bürgergeld eignet sich nicht als Wahlkampfschlager, zumindest dann nicht, wenn man es ehrlich meint, wenn man den betroffenen Menschen helfen will. Darunter sind viele Geflüchtete, die zu uns kamen, nachdem Russlands Präsident Putin die Ukraine überfallen hatte. Dieser furchtbare Krieg ist das Werk Putins, die ukrainischen Flüchtlingen sind doch nicht aus Spaß aus ihrer geliebten Heimat geflohen, sondern vor den Bomben und den Schergen des Kreml-Diktators. Ohne den Krieg wäre das Bürgergeld eine Erfolgsstory. Aber durch den Krieg sind über 700000 geflüchtete Ukrainer Bezieher von Bürgergeld. Das ist die Wahrheit, kein Fake.
Armes reiches Deutschland. Die Schere zwischen den Reichen und Armen wird immer größer. Der Reichtum der Milliardäre wächst quasi von allein, weil das System es zulässt, dass dem, der viel hat, noch mehr gegeben wird. Weil er sein Geld verstecken kann irgendwo in der Karibik oder wo auch immer. Sie stärker zu belasten, wäre gerecht. Damit könnte man Milliarden Euro bekommen und anderes finanzieren, was nötig wäre, die besagte Infrastruktur, die kaputten Schulen auf Vordermann bringen, den Tafeln helfen. 975 gibt es bundesweit, rund 1,6 Millionen Menschen in diesem reichen Land haben so wenig, dass sie auf Essen von den Tafeln angewiesen sind. Nicht jeder Arme geht zur Tafel, weil er sich schämt, weil er den Abstieg nicht verkraftet hat, weil er früher mal dazugehörte zur Mittelschicht und dann Pech hatte, den Job verlor und den Anschluss verpasste. Viele Ausgabestellen der Tafeln müssen Lebensmittel rationieren, sie haben zu wenig für die vielen, die es brauchen. So wird der Mangel dann gerecht verteilt. Auch bei den Tafeln hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Not vergrößert. Es ist ein Thema, nicht zu leugnen, ich weiß, es glauben manche nicht, dass es so viele Arme gibt in diesem reichen Land. Ich las gerade ein Interview in der SZ mit der Deutschland-Chefin der Tafeln Sirka Jendis. Man schämt sich, wenn man das liest. Aber es ist die Realität. 14,2 Millionen Menschen in Deutschland gelten als arm, nicht weil sie faul sind, sich nicht angestrengt hätten. Es gibt viel Hilfe, entnehme ich diesem tollen Gespräch, viele Ehrenamtliche helfen, Menschen spenden fünf Euro oder Zehn, aber, beklagt Frau Jendis, „was wir merken, ist, dass der öffentliche Diskurs zunehmend von sozialer Kälte geprägt ist. Die Politik sollte Abstiegsängste ernst nehmen. Dieses Nach-unten-Treten spaltet nur.“ Und noch etwas sagt sie: „Die allermeisten Menschen haben sich nicht ausgesucht, zur Tafel zu gehen. Sie wären lieber nicht darauf angewiesen.“
Die soziale Marktwirtschaft war die Erfolgsstory der Bundesrepublik, unser Markenzeichen. Ohne das Soziale wäre es der blanke Kapitalismus.