Die wachsende gesellschaftliche und politische Polarisierung in Deutschland hat auch in der Start-up-Szene eine Debatte über Werte, Verantwortung und politische Positionierung ausgelöst. Besonders bemerkenswert sind die jüngsten Äußerungen von Christian Reber, Gründer von Pitch, und Christian Miele, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Start-up, zu ihrer Haltung gegenüber der AfD.
Wirtschaft und Werte – eine schwierige Balance
Christian Reber sorgte kürzlich mit einem Post auf der Plattform X (ehemals Twitter) für Aufsehen, in dem er erklärte, er könne sich vorstellen, mit Mitgliedern der AfD zu sprechen, sofern es um wirtschaftliche Themen ginge. Dies sei notwendig, um den Dialog nicht völlig abbrechen zu lassen. Und er forderte Friedrich Merz auf :“Öffnen Sie sich für eine Koalition mit der AfD, unter der Bedingung, dass kein offensichtlich rechtsradikales Parteimitglied politische Verantwortung tragen wird“, Deutschland nicht aus EU austritt und keine neue Währung einführt. Seine Aussagen wurden von vielen als kontrovers aufgenommen, da sie die AfD als akzeptablen politischen Akteur bei Start-ups legitimiert, obwohl die Partei in weiten Teilen rechtsextreme Positionen und antidemokratische Tendenzen vertritt.
Christian Miele wiederum äußerte sich zwar differenzierter, aber trotzdem erschreckend geschichtslos gegenüber der AfD. In Interviews und auf öffentlichen Plattformen positionierte er sich zwar kritisch gegenüber der AfD, vermied es jedoch, eine klare Linie zu ziehen, die Mitglieder der Start-up-Szene eindeutig zu einer Distanzierung auffordern würde. Sein Fokus liegt auf der „Angst“, die AfD könne bei „Einhalten der Brandmauer“ nach der Bundestagwahl im nächsten Jahr durch die „Ignorierung“ der bislang prognostizierten ca. 15 – 20 Prozent der Wählerstimmen bei der Regierungsbildung im Jahre 2029 rechts an den anderen Parteien vorbeiziehen.
Der „unpolitische“ Unternehmermythos
Die Äußerungen von Reber und Miele verdeutlichen einen grundlegenden Widerspruch in der Start-up-Kultur: das Streben nach Innovation, Vielfalt und Fortschritt auf der einen Seite und eine oft als „unpolitisch“ deklarierte Haltung auf der anderen. Start-ups können wirtschaftlich nur erfolgreich sein, wenn sie global und divers agieren und sich als innovative und progressive Akteure, die gesellschaftliche Werte wie Inklusion und Nachhaltigkeit fördern, positionieren. Wer sich der Zusammenarbeit mit einer Partei wie der AfD öffnet, signalisiert direkt Akzeptanz für deren rechtsradikaler,fremdenfeinlicher und undemokratischer Ideologie.
Deshalb hat der Startup-Verband Deutschlands sich auch gegenüber der Süddeutschen Zeitung eindeutig von Mieles Äußerungen distanziert. Die Vorstandsvorsitzende Verena Pauseder machte deutlich, dass sich der Verband „immer klar gegen die AfD“ positioniert hat. Dies wird unter anderem auch in der Position des Verbandes in dem internationalen „War of Talents“ deutlich: um wirtschaftlich – auch und gerade international – erfolgreich zu sein- muss Deutschland zu einem Anziehungspunkt für internationale Talente werden. Die AfD steht für eine Politik der Ausgrenzung und des Rückschritts, die im klaren Widerspruch zu den Grundwerten vieler Start-ups steht, wie Diversität, Internationalität und Zukunftsorientierung. Eine Zusammenarbeit oder auch nur die Bereitschaft zum Dialog auf wirtschaftlicher Ebene mit der AfD untergräbt diese Werte und insbesondere auch die Glaubwürdigkeit der Start-up-Szene. Internationale Investoren – die wir gerade für die deutschen Startups dringend benötigen – werden durch diese Diskussion abgeschreckt.
Zudem ist klar, dass „wirtschaftliche Gespräche“ mit der AfD nicht isoliert betrachtet werden können. Sie legitimieren die Partei als Ganzes, einschließlich ihrer diskriminierenden Positionen gegenüber Migranten, Frauen und der LGBTQ+-Community.
Fazit: Werte vor wirtschaftlichem Kalkül
Die deutsche Start-up-Szene steht an einem Scheideweg. Sie muss sich – auch angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes – entscheiden, ob sie sich klar gegen antidemokratische Kräfte wie die AfD positioniert oder aus wirtschaftlichem Pragmatismus heraus eine stillschweigende Akzeptanz riskiert. Start-ups müssen sich ihrer Rolle als gesellschaftliche Akteure bewusst sein und klar Position beziehen – nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse einer offenen und demokratischen Gesellschaft: Für Demokratie, Innovation Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt, Internationalität und Menschrechte – gegen die AfD.