„Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 vergeht in Deutschland kaum ein Tag, in dem nicht mehr und noch mehr Ausgaben für Militär und Rüstung vorgeschlagen und gefordert werden. Die Diskussion in den Medien, von den Leitartikeln bis zu den Talk-shows, wird stark bestimmt von der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Behauptung, die Bundeswehr und alle europäischen NATO-Länder müssten dringend mehr Geld, mehr Waffen, mehr militärische Möglichkeiten bekommen, um endlich mit Russland gleichzuziehen.
Höchst selten wird die Frage gestellt und noch seltener beantwortet, ob es zutrifft, dass Russland der NATO militärisch überlegen ist. Das ist erstaunlich, weil sich ja nur für diesen Fall zusätzliche Ausgaben für Rüstung und Militär rechtfertigen liessen.
Vor wenigen Tagen ist eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie erschienen, die mit Zahlen, Daten und Fakten die militärischen Potenziale der NATO und Russlands vergleicht. Einer der beiden Autoren ist Professor Herbert Wulf, einer der renommiertesten deutschen Friedens- und Konfliktforscher, der u.a. acht Jahre Chef des BICC war, das sich mit Fragen der Rüstungskonversion nach Ende der Blockkonfrontation beschäftigt hatte und heute als „Bonn International Centre for Conflict Studies“ arbeitet.
Das Papier bietet einen umfassenden Überblick zu den militärischen Kräfteverhältnissen zwischen Russland und der gesamten NATO, aber auch im Vergleich zu den europäischen Mitgliedsländern der NATO. Das Ergebnis ist eindeutig:
Von einer Unterlegenheit der NATO , auch der europäischer Länder ohne die USA, kann keine Rede sein. Was Atomwaffen angeht, herrscht Parität zwischen NATO und Russland. Auf allen anderen Feldern, auf die es für die Beurteilung der militärischen Stärke ankommt, hat die NATO ein deutliches Übergewicht.
Mit dieser Studie liegt endlich eine wichtige Grundlage für eine gesellschaftliche und politische Debatte vor, die sich an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert und weder an Vorurteilen und Ängsten noch an Propaganda und Interessen der Rüstungslobby. Mann kann nur hoffen, dass Zahlen, Daten und Fakten endlich zur Kenntnis genommen werden und Einfluss auf politische Entscheidungen haben“.