Der Bundeskanzler Olaf Scholz hat seinen Finanzminister aus dem Kabinett geworfen, weil der sein Vertrauen immer wieder missbraucht habe. Recht so, habe ich geschrieben, Scholz hätte Lindner viel früher die rote Karte zeigen müssen. Hat er aber nicht, sondern dem Liberalen gestattet, ihm pausenlos auf der Nase herumzutanzen. Das nennt man Führungsschwäche bei einem Regierungschef, der zu Beginn seiner Dienstzeit in Berlin betont hatte: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Fehlanzeige. Auch deshalb ist die Ampel-Regierung keine Regierung mehr, sie steht nur noch auf dem Papier. Wenn die CDU-Opposition zustimmt, gelingen noch ein paar Gesetze, aber nur dann. Dem Kanzler wurde abverlangt, die Vertrauensfrage am 16. Dezember zu stellen. Ja, auch, weil er im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Am Ende dieser vorgezogenen Legislaturperiode stehen Neuwahlen am 23. Februar an, man muss kein Prophet sein, um die Union als klaren Favoriten zu bezeichnen. Sie wird diese Wahl gewinnen, Friedrich Merz, der alte Verlierer, endlich Kanzler werden. Und trotz allem will der amtierender Kanzler Olaf Scholz gegen den Unions-Herausforderer Merz antreten, weil er angeblich überzeugt ist, dass er die Wahl gewinnt. Komisch oder?
In allen Umfragen liegt die Union unter Führung von Merz seit Monaten klar in Front, mit über 30 Prozent Zustimmung ist sie doppelt so stark wie die SPD, die gerade mal so um die 15/16 Prozent bekommt. Nirgendwo ist ein Zeichen der Hoffnung für die SPD mit Scholz als Kandidaten zu sehen, allein Scholz glaubt an sich. Sagen die, die glauben, ihn zu kennen. Reden tut er ja nicht mit den Parteifreunden, sagen die Parteifreunde. Bunkermentalität oder die Scholz-Kommunikations-Strategie? Ich weiß, wie es geht, aber ich sage es Euch nicht. Ich weiß, wie gutes Regieren geht, ihr werdet es noch erleben. Ihr wisst nicht wo es langgeht? Dann müsst ihr nur mir folgen. Wohin, das verrät der Hamburger nicht.
Die Reste-Ampel mag mit den Stimmen der Union noch einige Gesetze verabschieden, für ein höheres Kindergeld sorgen, Steuererleichterungen erreichen, das Bundesverfassungsgericht sturmfest gegen die Rechtsextremisten machen, es wird nicht helfen. Die Regierung, die nur noch aus Rot-Grün besteht, ist am Ende, Scholz ist gescheitert. Was nicht bedeutet, dass er nichts erreicht hat. Die Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP hat Deutschland durch die Winter gebracht, ohne russisches Gas, auf das man als Konsequenz aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine verzichtet hat. Heizen wurde zwar teurer, aber niemand musste frieren. Trotz dieses Erfolges kam die Ampel-Regierung nicht so recht in Fahrt, der Krieg um Kiew kostete viel Menschenleben, zerstörte große Teile von Städten und Dörfern in der Ukraine, der Krieg kostete die Politik viel Kraft.
Opposition ist Mist?
Regierung am Ende, aber nicht Olaf Scholz. So muss man den Kanzler wohl interpretieren. Aber glaubt er denn selber noch daran, seinen Platz im Kanzleramt verteidigen zu können? Oder will er wie Gerhard Schröder 2005 die SPD so stark machen, dass sie zwar die Pole-Position an Merz abgeben muss, aber als Juniorpartner in der Regierung bleiben kann und nicht in die Opposition muss? Weil Opposition Mist ist, so einst Franz Müntefering.
Wer sich heutzutage mit Journalisten und Politkern über Olaf Scholz unterhält und die Frage stellt, ob Scholz nicht aus freien Stücken verzichten könnte auf die Kanzlerkandidatur der SPD, weil Boris Pistorius Sympathie-Werte in der Bevölkerung genießt wie kein anderer, auch Merz nicht, bekommt zur Antwort: Dann kennst Du aber Olaf schlecht. Der wird nie freiwillig abgeben, weil er sich für unbesiegbar hält. Aber hat er nicht vor seiner damaligen Kanzlerkandidatur für die SPD den Kampf um den Vorsitz der ältesten deutschen Partei verloren? Gegen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken? Und wie war das noch, als Scholz Generalsekretär der SPD war? Auf dem SPD-Parteitag in Bochum im November 2003 fiel Scholz mit 52 Prozent der Stimmen fast durch. Von wegen unbesiegbar. Wer als Generalsekretär einer Partei nur 52 Prozent bekommt, weiß, dass die eigenen Leute einen nicht mögen, sondern davonlaufen.
Abschied nach nur drei Jahren als Kanzler, das ist wie eine Abstrafung. Scholz wollte länger regieren, sprach von mehr als einer Legislaturperiode, jetzt schafft er nicht mal eine einzige. Weil er nicht kommunizieren kann. Sagen die einen. Weil er nicht mit anderen redet, ergänzen andere. Weil er ein Mann ohne Selbstkritik ist, sei noch hinzugefügt. Und doch könnte er seine Regierungszeit ein wenig schmücken, wenn er auf dem Parteitag der SPD, auf dem der Kanzlerkandidat beschlossen und verkündet werden soll, vom Podium aus erklären würde: Ich bedanke mich für euer Vertrauen, dafür, dass ihr mich mal zum Bürgermeister von Hamburg gemacht habt, dass ich als Bundesfinanzminister der Republik dienen durfte, dass ihr mich zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und mich damit in eine Reihe gestellt habt mit Willy Brandt und Helmut Schmidt. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für mich, zu gehen. Boris Pistorius hat mein vollstes Vertrauen, er ist in schwieriger Zeit als Bundesverteidigungsminister eingesprungen, er kann Kanzler. Ich stimme für Boris Pistorius. So könne Olaf Scholz doch reden. Wie gesagt, das fiel mir nur so ein, beinahe im Traum, als ich im Halbschlaf über die Neuwahl nachdachte. Aber als ich dies einem guten Freund erzählte, der Olaf Scholz kennt und die SPD, wehrte der nur lächelnd ab: „Eine schöne Geschichte, die nur einen Fehler hat: Sie ist frei erfunden, weil Olaf nicht so denkt.“
Wer sagt es ihm?
Wer sagt es ihm, fragte kürzlich t-online, in einem Leitartikel zu Scholz, der SPD, den Neuwahlen, der Kanzlerkandidatur. Anders als 2021 steht die SPD nicht geschlossen hinter dem Kanzler. Mehr und mehr Stimmen werden laut, die das Ende der Karriere für Scholz fordern, Stimmen aus Hamburg, Niedersachsen, NRW, Bayern, Thüringen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, ein stets loyaler Mensch, räumte vor kurzem im Interview mit dem ZDF-Journal ein, dass es ein gewisses Grummeln gebe unter den SPD-Bundestagsabgeordneten. Das gibt es schon länger. Viele Abgeordnete rechnen sich angesichts des anhaltenden Stimmungstiefs der SPD kaum noch Chancen aus, bei der nächsten Wahl den Sprung in den Bundestag zu schaffen. Es werden einige Dutzend Sozialdemokraten sein, die ihr Mandat verlieren und damit ihre berufliche Existenz. Diese Gruppe wird, je näher der Wahltermin rückt, zunehmen, sie werden lauter werden die Stimmen, die dazu auffordern, statt Scholz Pistorius zu nominieren. Natürlich ist auch das ein Risiko, weil der Verteidigungsminister nicht unumstritten ist in der SPD. Allein seine Argumentation, Deutschland müsste kriegstüchtiger werden, hat ihm viel Kritik eingebracht. Die Bundeswehr ist als Verteidigungsarmee aufgestellt worden, das ist etwas anderes. Die Verteidigung verbessern, damit wir uns wehren können gegen äußere Feinde, ist das eine, die Suche nach dem Ende des Krieges die andere Seite der Medaille, also Diplomatie, Ausloten, Verhandeln, damit das Sterben und Zerstören aufhört.
Gesine Schwan war immer eine wichtige Stimme in der SPD, der sie seit Urzeiten angehört. Im Interview mit der taz hat sie gerade festgestellt: „Die SPD ist mehr als Olaf Scholz.“ Die Vorsitzende der Grundwertekommission der Partei hat in dem Interview zugleich die Kommunikation und das Talent zur Selbstironie von Pistorius gewürdigt. Zum Scheitern des Bündnisses, das Scholz zu Anfang mal als ein historisches Bündnis gepriesen hatte, sagte die Professorin: „Demokratie ist ein Lernprozess. Die SPD kann lernen, dass pragmatisches Regieren, wie es Scholz lange hinbekommen hat, nicht reicht. Scholz ist kein Visionär. Um jetzt Energien freizusetzen, braucht man Projekte, die anschaulich machen, was die SPD will. Mit Zahlen aus der Rentenformel mobilisiert man niemand.“ Und auf die Frage, ob Scholz der richtige Kandidat sei, antwortete Frau Schwan: „Realistisch gesehen wird er der Kandidat sein. Scholz hat Stärken und Schwächen“. Für Schwan folgt daraus, dass der Wahlkampf „nicht ausschließlich auf Scholz fokussiert sein sollte. Ich hoffe, dass Matthias Miersch, der neue Generalsekretär der SPD, der klare Vorstellungen zur Klima- und zur Sozialpolitik hat, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte wichtige Figuren im Wahlkampf sein werden. Die SPD ist mehr als Scholz“.
Es ist an der Zeit, hat Franz Müntefering vor vielen Jahren mal gesagt, dass in Deutschland die Verhältnisse geklärt werden. Es ist an der Zeit, dass die Verhältnisse in der SPD geklärt werden, ergänze ich. Seit der Wahl 2021, die Scholz zum Kanzler gemacht hatte, ist viel Vertrauen verloren gegangen bei denen, die damals die SPD gewählt haben. Vielleicht auch wegen Scholz. Es ist an der Zeit für Scholz, die Verhältnisse zu klären. Es ist vorbei, Herr Bundeskanzler. Lassen Sie es gut sein.
Bildquelle: Anne Hufnagl,