Friedrich Merz ist am 11. November 1955 im sauerländischen Brilon geboren worden. Sein Vater war viele Jahre, viele Jahrzehnte Mitglied der CDU, bis er 2007 nach 51 Jahren wegen der Politik von Angela Merkel aus der Partei ausgetreten ist. Da hatte die damalige Bundeskanzlerin seinen Sohn schon einige Jahre zuvor aus seinem politischen Spitzenamt als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gedrängt. Merz hat diese Schmach nie verwunden. Allerdings hatte er unterschätzt, dass die spätere Kanzlerin, viel machtbewusster als er, ein Bündnis mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber zu seinen Lasten eingegangen war. Er ist eiskalt ausgekontert worden. Das nagt bis heute an ihm.
Jetzt kann Friedrich Merz diese Schmach auswetzen. Er ist inzwischen Vorsitzender der CDU und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und er ist Kanzlerkandidat der Unionsparteien. Mehr geht nicht im Vorfeld der Bundestagswahl. Nach dem Zerfall der Koalitionsregierung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und dem damit verbundenen vorzeitigen Wahltermin tut sich für Friedrich Merz die noch größere Chance auf, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Das wäre die Krönung seiner politischen Karriere. Darauf hat er hingearbeitet, dafür hat er auf dem Weg an die Spitze auch viele Kränkungen hingenommen. Friedrich Merz scheint gewappnet für die größte Herausforderung seines politischen Lebens.
Bis zur Bundestagswahl liegt allerdings noch ein erhebliches Stück Wegstrecke vor ihm. Er ist längst noch nicht auf der Zielgeraden, und selbst dann wäre das Ziel zwar nahe, aber der Zieleinlauf steht erst am Ende der Strecke fest. Bis dahin kann noch viel passieren. Nicht alles, aber viel liegt bis dahin in der Hand von Friedrich Merz oder um im Bild zu bleiben, in seinen Beinen, in seiner Kondition.
Mehr Kapitalismus wagen?
Im Hochsauerlandkreis gibt es einen politischen Dauerläufer, Franz Müntefering aus Sundern, nicht weit von Brilon entfernt. Der hat viele Höhen und Tiefen in seinem reichhaltigen politischen Leben mitgemacht und überstanden. Er ist allerdings der Politik treu geblieben, ist nicht den Verlockungen von Wirtschaft und Finanzwelt erlegen. Merz dagegen hat Geld gemacht als Aufsichtsratsvorsitzender beim deutschen Ableger des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock und in weiteren Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften und Unternehmen, viel Geld. Dagegen ist nichts einzuwenden, das ist auch nicht ehrenrührig, Aber es lenkt schon die Aufmerksamkeit auf die beruflichen Schwerpunkte des CDU-Vorsitzenden, der 2008 mit seinem Buch, „Mehr Kapitalismus wagen“, seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen aufgeschrieben hat, sein „Glaubensbekenntnis“, wie Franz Müntefering das in einem Beitrag für den Blog der Republik gewertet hat.
Müntefering schreibt im Blog über Merz: „Sein Vorschlag, komprimiert: Kapitalismus als Lebensform und Prinzip, für Wirtschaft, Finanzen, Bildung, Sozialsysteme. Er stellte dabei auch klar, was für ihn „…Sozialdemokratisierung“ bedeutete. Zum Beispiel: „…mit der Einführung der Pflegeversicherung als Umlagesystem haben wir eine Erhöhung der Lohnzusatzkosten in Kauf genommen“. Er war dagegen, klar. Er stellte fest, wo die Vorsitzende A. M. (Angela Merkel, NR) im Rückblick sanft geblieben war: „Das Anbiedern an die Kultur der Umverteilung bringt uns keinen Wahlerfolg mehr“. So hakte Merz seine politische Ära ab.“
Was Franz Müntefering am 25. April 2022 im Blog der Republik schrieb, gewinnt heute Aktualität. In den politischen Vorstellungen von Friedrich Merz ist bislang nur wenig Platz für Sozialpolitik, vor allem nicht für eine vorsorgende, vorbeugende, fördernde Sozialpolitik, wie sie eine moderne demokratische, auf sozialen Ausgleich, auf sozialen Frieden zielende Politik dringend braucht. Den Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitikern in der CDU schwante jedenfalls nichts Gutes, als sie in der Debatte um das CDU-Programm beharrlich und demonstrativ auf eine sozialpolitische Agenda gepocht haben. Da liegt also noch viel Zündstoff auf der Wegstrecke für Merz. Weitere Probleme bereiten die knallharten Absagen des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gegen eine eventuelle Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen nach der Bundestagswahl. Und auch gegen die FDP teilt Söder kräftig aus. Da bleibt nicht mehr viel Bewegungsspielraum für Merz.
Bis jetzt duckt er sich weg bei den entscheidenden Fragen, mit welcher Partei oder sogar mit welchen Parteien er sich eine Regierung vorstellen oder auch wünschen würde. Souverän ist das nicht. Da hilft auch sein hilfloser Hinweis nicht, die CDU würde sich erstmal auf möglichst viele Stimmengewinne konzentrieren. Das ist allenfalls Ablenkungsmanöver. Denn ohne Söder und seine CSU ginge sowieso nichts und an eine absolute Mehrheit der Unionsparteien glaubt selbst Merz nicht. Je näher der Wahltermin rückt, umso ungemütlicher wird diese ungeklärte Situation jedenfalls für den Kanzlerkandidaten der Union. Sich nur gegenüber der AfD und dem Bündnis Sarah Wagenknecht abzugrenzen, reicht jedenfalls nicht, um die Wählerinnen und Wähler vom guten Gelingen einer Kanzlerschaft Merz zu überzeugen. Eine Katze im Sack kauft man nicht, weiß der Volksmund.
Das persönliche Defizit
Markus Söder hat mit viel Pathos öffentlich versprochen, den Kanzlerkandidaten Merz zu unterstützen und nicht, wie 2021 bei der Kanzlerkandidatur von Armin Laschet ständig als Störenfried zu agieren. So weit, so gut. Allerdings engt er mit seiner apodiktischen Absage an eine Zusammenarbeit mit den Grünen und jetzt sogar auch mit der FDP den politischen Spielraum von Merz kompromisslos ein. Söder bleibt sich treu und deshalb unberechenbar. Wenn er schon nicht selbst Kanzlerkandidat der Union werden konnte, will er zumindest deutlich machen, dass Merz Kandidatur von seinen Gnaden abhängt. Hinzu kommt, dass Söder das persönliche Defizit von Merz ganz genau im Blick hat, noch nie administrative Verantwortung wahrgenommen zu haben, nie ein Ministerium geführt zu haben, geschweige denn mal Ministerpräsident gewesen zu sein. Da fühlt sich der bayerische Ministerpräsident allemal besser geeignet. Männerfreunde werden die beiden nicht mehr.
Auch in der gesellschaftspolitischen Ausrichtung ist Merz für die CSU keineswegs eine Leitfigur, weil diese ihre Mehrheitsfähigkeit in Bayern auf eine solide sozialpolitische Grundlage gebaut hat und baut. „Merzens Kapitalismus als Lebensform ist nichts, was in Deutschland der Mehrheit oder auch nur einer großen Minderheit erstrebenswert scheint. Genau das nicht. Nicht als Methode, nicht als Ziel. In Zeiten wie diesen schon gar nicht“, schreibt Franz Müntefering im Blog der Republik. Die CSU würde sicher nicht widersprechen. Merzens Botschaft, mehr Kapitalismus wagen, sei nicht das Wahrzeichen einer Volkspartei, sondern einer Klientel-Organisation, so Müntefering und weiter: „Schritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit sind nicht seine Sache. Sittenwidrig hohe und sittenwidrig niedrige Löhne wohl auch nicht das große Ärgernis für ihn.“
Bis heute hat Friedrich Merz nicht erkennen lassen, dass er sein „Glaubensbekenntnis“ von 2008 geschreddert hätte. Für seine Partei stellt sich daher die große Frage, ob sie sich dazu hergeben will, mit ihm an der Spitze „mehr Kapitalismus“ zu wagen. Im anstehenden Wahlkampf wird die CDU einer Antwort jedenfalls nicht ausweichen können. Nur auf die gescheiterte Ampel-Koalition hinzuweisen und auf ihr öffentlich herumzutrampeln wird nicht reichen, um am Ende große Unterstützung bei den Wählerinnen und Wählern zu gewinnen. Die wollen wissen, wohin die Union mit Friedrich Merz Deutschland politisch führen will.
Bildquelle: Wikipedia, Harald Dettenborn, CC BY 3.0 DE