Wieder einmal ist der Untergang Deutschlands nahe. Dabei ist die Ampel, die an allem schuld ist, doch zu Ende, Lindner ist weg, gut Habeck und Scholz sind noch da und Rot-Grün übernimmt, aber nur kurz. Viel zu lang, rufen sie aus München und Brilon. Die Aufregung ist groß von Nord bis Süd, von Ost bis West.
Der Bundespräsident hatte kurz nach dem Ampel-Aus versucht, die Wogen zu glätten. Das Ende der Ampel-Regierung bedeute nicht das Ende der Welt. So ist es. Deshalb wäre es an der Zeit, wenn die Streithähne in Berlin sich etwas zurücknähmen, verbal abrüsten, den Ball flach halten und den Ton leiser drehen würden. Denn es ist doch entschieden, was die lauten Stimmen aus dem Sauer- und dem bayerischen Land seit Monaten forderten: Die Regierung Scholz/Lindner/Habeck gibt es nach dem Rauswurf des FDP-Finanzministers durch den Kanzler Scholz nicht mehr, für eine überschaubare Zeit soll die Republik von einer Minderheitsregierung Rot-Grün regiert werden. Scholz hat den Bundespräsidenten über die neue Lage informiert, er wolle im Januar die Vertrauensfrage stellen, die der SPD-Kanzler dann verlieren soll, als Folge dessen sollen Neuwahlen im März stattfinden.
Unmöglich, rief die Opposition, verantwortungslos. Schon sah man die größte Volkswirtschaft in Europa am Boden liegen, muss der Notstand ausgerufen werden. Deutschland am Ende. Wegen der Ampel, wegen Scholz. Da hatten die FDP-Minister ihre Entlassungsurkunden noch nicht in der Hand. Wir kennen das aus vergleichbaren Situationen, das ist der Stil der Bild-Zeitung und des CSU-Chefs und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder: Viel zu spät, es muss alles viel schneller gehen, Schluss mit dem Stillstand, die verschleppten Reformen müssten nun endlich angepackt werden. Scholz müsse schon nächste Woche die Vertrauensfrage stellen, Neuwahlen müsse es spätestens Anfang Februar 2025 geben oder besser noch im Januar.
Als eine Art Weihnachtsgeschenk
Warum nicht noch schneller, Neuwahlen vor Weihnachten, das wäre dann ein schönes Weihnachtsgeschenk, wenn der Friedrich Merz uns quasi als Kanzler präsentiert würde. Mit dem CDU-Chef würde sicher der Neustart gelingen, Aufschwung sofort, der Motor der Auto-Industrie würde sofort aufheulen, Verständigung mit Trump, mit dem Merz ja kann, wie er vor Monaten via Bild der Welt verkündete. Und sicher würden die Flüchtlingszahlen abrupt sinken, vom ersten Tag der neuen Regierung würde abgeschoben, der Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme ein Riegel vorgeschoben.
Das mit den verschleppten Reformen kam auch aus der Wirtschaft. Denen möchte ich nur zurufen, dass diese Reformen von den Regierungen Merkel verschleppt oder gar nicht in Angriff genommen wurden, dass die Verkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheuer samt und sonders Mitglieder der CSU sind. Wenn jemand für die marode Infrastruktur, die schlechten Straßen, die fehlende Digitalisierung, den miserablen Zustand der Deutschen Bahn verantwortlich ist, dann ist das die CSU. Schon vergessen, Herr Söder? Nur mal so ein Beispiel in diese Debatte geworfen. Wenn der Herr Dobrindt so etwas wie Scham empfinden würde, oder gar Demut, würde er betreten schweigen. Aber nein, der CSU-Landesgruppenchef haut drauf. Wie Söder. Das beherrschen sie im Freistaat. Wenn sie angegriffen werden, in Erklärungsnot geraten, attackieren sie sofort.
Was die Neuwahl-Debatte angeht, so räume ich ein, dass der Kanzler Olaf Scholz sich diese selbst eingebrockt hat. Warum hat er sich nach dem Ende der Ampel-Regierung wegen der Neuwahlen nicht mit den anderen Fraktionsspitzen verständigt, also mit Merz und Dobrindt zum Beispiel, mit den Grünen und den Liberalen? Dann hätte Scholz der Öffentlichkeit eine entsprechende Erklärung abgeben können, ohne Widerspruch der demokratischen Parteien. Aber Scholz ist sich wieder einmal treu geblieben. Er hat die Frage nur mit einer Person besprochen und entschieden: Mit sich selbst. Ist ja auch einfacher. So hatte er es schon gehalten bei Beginn seiner Amtszeit. Die Sache mit der Zeitenwende war seine alleinige Entscheidung, selbst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich soll nicht eingeweiht gewesen sein.
Noch wichtige Vorhaben
Natürlich könnte Scholz schon nächste Woche die Vertrauensfrage stellen. Wer würde Scholz und Rot-Grün dann noch ernst nehmen? Rolf Mützenich hat darauf hingewiesen, dass noch wichtige Vorhaben zu verabschieden seien, darunter Steuererleichterungen durch den Abbau der kalten Progression. Alles Dinge, die gerade Otto Normalverbraucher interessieren, die Bürgerinnen und Bürger, die auf jeden Euro angewiesen sind. Ob Rot-Grün für diese Vorhaben nach einer Vertrauensfrage wirklich grünes Licht bekäme, wage ich zu bezweifeln.
Anderes kommt hinzu. Die Parteien sind doch gar nicht auf Neuwahlen vorbereitet. Eine Neuwahl im Februar nannten SPD-Abgeordnete illusorisch, das sei nicht zu machen. Technische Hürden stünden dem entgegen. Sie haben einen Zeitplan durchgespielt., über den der „Spiegel“ berichtet: Demnach sieht es so aus. Sollte Scholz in der nächsten Woche die Vertrauensfrage stellen, müsste der Bundespräsident das Parlament bis spätestens zum 4. Dezember auflösen. Und dann müsste die Neuwahl spätestens am 4. Februar stattfinden. Die Stimmzettel für die Briefwahl müssten bis zum 22. Dezember erstellt sein, sie werden in der Regel zwei Wochen vorher gedruckt und an die Wahlämter verteilt. Bis Anfang Dezember müssten die Wahlämter alle Kandidaturen und Protokolle von Nominierungskonferenzen
geprüft haben. Unterstelle man dafür nur eine Woche, müssten alle Parteien ihre Listen aufgestellt haben. Der „Spiegel“ zitiert den SPD-Abgeordneten Andreas Schwarz, der Bürgermeister des Ortes Strullendorf im Kreis Bamberg ist. „Ich bin überrascht über die Diskussion. Eine Wahl im Januar ist nicht möglich, selbst wenn die Leute in den Rathäusern zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiten.“ Schwarz findet in dieser Debatte „am lustigsten Markus Söder. Er fordert auch den Wahltermin im Januar und erklärt in derselben Rede, dass die CSU-Liste erst im Dezember oder Januar auf einem Parteitag beschlossen wird. Merkt keiner, was der da erzählt?“
Ganz nebenbei sei angemerkt: der Bundeskanzler entscheidet, wann er die Vertrauensfrage stellt. Nicht Herr Merz, nicht Herr Söder. Und jenseits dessen sind aus organisatorischen Gründen zeitnahe Wahlen ebenso nicht möglich wie aus inhaltlichen, politischen Gründen. Der Wahlkampf muss vorbereitet werden wie die Diskussion über die inhaltlichen Konzepte der Parteien geführt werden. Die Debatte hat etwas vom Stammtisch-Niveau.
Wie wäre es denn, wenn die Fraktionen mal miteinander darüber redeten?
P.S. Der Kanzler scheint wegen der Termine gesprächsbereit zu sein, wie er nach dem EU-Gipfel in Budapest erklärte. Allerdings erfuhr das ZDF von einem Brief der Bundeswahlleiterin an Scholz, indem sie vor einem übereilten Wahltermin warnte.