Er fährt und fährt eigentlich immer noch, aber er wird nicht mehr so gekauft wie früher. Der gute alte VW. Der Käfer. Mein erstes Auto habe ich 1965 gebraucht gekauft, für schlappe 400 DM. Baujahr 1953, mausgrau, mit 23 PS, Kilometerstand weiß ich nicht mehr. Und danach kam der Golf, wie der Käfer ein Auto für uns alle, ich meine die Durchschnittsverdiener, die oft genug einen Kredit aufnehmen mussten, um sich ein Fahrzeug kaufen zu können. Oder die Oma zahlte ein paar Scheine, der Opa, wer Geld und Sympathie für die Vorlieben der Kinder übrig hatte. Aber das klingt wie Romantik.
Denn jetzt soll also Deutschlands Musterbetrieb schwächeln, drei Standorte sollen im Land aufgegeben werden, es soll erstmals zu betriebsbedingten Kündigungen kommen, keine Garantie mehr geben, dass, wer bei VW anfängt, dort auch in Rente gehen kann. Die Republik ist erschüttert, eine Alarmmeldung jagt die andere. Steht es so schlimm um den Standort Deutschland, dass jetzt auch VW in Schwierigkeiten steckt? Deutschlands größter privater Arbeitgeber, der wichtigste Zweig der deutschen Wirtschaft blüht nicht mehr? Allein in Deutschland hat VW 120000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Schicht am Schacht
Als Kind aus dem Ruhrgebiet kenne ich solche Meldungen. Die Menschen an Rhein und Ruhr haben mit Krisen leben müssen, all die Jahrzehnte. Ja, es ging ein paar Jahre steil bergauf, die Kohle war gefragt, sie sorgte dafür, dass die Menschen von München bis Hamburg nicht frieren mussten in den damals noch kalten Wintern. Doch dann wurde die Kohle teurer im Vergleich zur Kohle aus der übrigen Welt, staatliche Subventionen halfen dem Bergbau immer wieder, aber irgendwann war Schicht am Schacht, wurde der letzte Pütt dicht gemacht. Die Wunden dieses Kohle-Zeitalters, zu dem ja auch der Stahl als weiterer Zweig der Industrie gehörte, sind heute noch zu besichtigen. Schauen Sie sich nur mal den Verlauf der Autobahnen durch das Ruhrgebiet an, es geht bergauf und bergab. Nein, ich rede nicht vom Sauerland, sondern zum Beispiel vom Emscherschnellweg, da gab und gibt die Erde immer wieder nach, muss als Ewigkeitslast das Wasser abgepumpt werden, damit die ganze Region nicht absäuft.
Strukturwandel hat man die Entwicklung genannt, positiv sollte das klingen, staatliche Hilfe flossen in Milliarden-Größen nach Duisburg, Gelsenkirchen, Essen, Bochum, Dortmund, Recklinghausen, Herne, Wanne-Eickel und so weiter. Millionen Arbeitsplätze gingen verloren, längst nicht alle wurden ersetzt. Daran krankt das Revier bis heute. Ja, es wurden Universitäten gegründet dort, wo Kaiser Wilhelm sie einst unbedingt verhindern wollte, die Arbeiter sollten malochen und nicht auf dumme Gedanken kommen.
Ich erinnere mich noch gut, als Opel in Bochum angesiedelt wurde, großer Jubel, weil qualifizierte Arbeitsplätze entstanden. Für Bochum und das Revier war das ein Pfund.
Dafür wurde manches passend gemacht, geliefert, damit Opel beim Vertrieb und Verkauf seiner Wagen nach Europa nicht behindert wurde. Der Ausbau der A 40 war ein teures Projekt, damit die LKW schneller ihre blitzenden Autos zu den Händlern fahren konnten. Opel in Bochum ist längst Geschichte. Es ist nur ein Beispiel, was passieren und was man nicht aufhalten kann, trotz aller Proteste.
Arbeiter zahlt die Zeche
Der Kapitalismus ist so, auch wenn er bei uns den schönen Namen trägt: soziale Marktwirtschaft, die vieles abfedert und dafür sorgt, dass in der größten Not niemand verhungert, erfriert. Dafür werden Beiträge abverlangt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern: die Jungen helfen den Alten, die Gesunden den Kranken, die Reichen den Armen. Dieser Dreiklang funktioniert, irgendwie, nicht immer so, wie man sich das wünschte. Die Schere zwischen den wenigen Reichen und Superreichen und den vielen Millionen Normalverdienern ist so unverschämt auseinander gegangen, dass man es fast unanständig nennen darf. Und die Schere weitet sich, weil das Geld und Vermögen der Reichen teilweise von selber wächst, sie können auch teils ihr Geld irgendwo auf der Welt verstecken, sodass der Finanzminister nicht rankommt. Ganz zu schweigen von Steuertricks, die zugelassen, geduldet werden, dem Staat entgehen so viele Milliarden, die er dringend bräuchte. Und nichts passiert. Man denke an Cum-Ex.
Jetzt werden wie immer Fragen gestellt, wer denn die Hauptschuld trage für diese VW-Misere. Wer ist für die Fehler verantwortlich, dafür, dass VW kein preiswertes Auto auf den Markt bringt, wie einst den Käfer und dann den Golf, den die Kunden in aller Welt den Wolfsburgern aus den Händen reißen würden? Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können es nicht sein, sie haben ihre Arbeit gemacht wie immer, sie haben dabei gut verdient, zu Recht. Sie haben das gemacht, was das Management ihnen abverlangt hatte. Und doch sind sie am Ende die Dummen, die die Zeche zahlen. Zigtausend Jobs werden gestrichen, da kann der Betriebsrat noch so protestieren. Sie können Zeit gewinnen, Übergangsgeld und anderes herausholen, die Älteren werden den Sprung aufs Altenteil noch in Ruhe schaffen, für die Jüngeren, die 30-Jährigen zum Beispiel, sieht es anders aus. Ob das gerecht ist, steht auf einem anderen Blatt.
Wo bleibt eigentlich die Verantwortung des Vorstands, des Vorsitzenden? Sie bekommen doch ihre Riesen-Gehälter, weil sie besondere Verantwortung übernehmen für ihre Beschäftigten, dafür müssen sie moderne Produkte erfinden oder ermöglichen, die sich am Markt behaupten. Haben Sie die E-Mobilität verschlafen? Nicht gemerkt, wie die Chinesen den E-Markt eroberten, während wir in Europa, namentlich in Deutschland noch am Verbrenner festhielten? Warum gibt es kein preiswertes E-Auto von VW, das sich Otto Normalverbraucher leisten kann? Wieso eigentlich bekommen Vorständler Boni, während die Firma, für die sie in Verantwortung stehen, Mali erwirtschaftet? Womit werden die rund zehn Millionen Euro für VW-Chef Oliver Blume gerechtfertigt? Dazu kommen ja wohl auch noch Zusagen für die spätere Altersversorgung und das sind in der Regel keine Cent-Beträge. Wäre es nicht an der Zeit, hier von den Verantwortlichen Abstriche zu fordern? Die jüngeren VW-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sich auf Kürzungen einstellen müssen, die ihr Leben erheblich verändern werden. Das wird als normal bezeichnet. Ist halt so. Es ist doch nicht die Schuld der VW-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass VW jetzt in der tiefsten Krise seit Gründung des Unternehmens steckt.
Verantwortung des Vorstands
Wenn wir heute darüber klagen, dass es an Innovationen fehle, dann sind doch diese Fragen an die Manager gerichtet und deren Stäbe, nicht an die normalen Mitarbeiter. Es redet sich leicht, ein VW-Mitarbeiter falle doch weich, wenn er Abstriche von seinem Lohn hinnehmen müsse. Soll er halt weniger in Urlaub fahren, in die Lüneburger Heide und nicht auf die Insel Mallorca fliegen. Gilt das auch für die leitenden Angestellten, den Vorstand, den Aufsichtsrat, dessen Verantwortung man nicht ignorieren sollte.
Sollte der Konzern drei von zehn Werken in Deutschland schließen, wird das Konsequenzen haben. Es sind ja nicht nur die Jobs, die verloren gehen, es fehlen dann später die Ausbildungsplätze, eine Region verliert an Prosperität, an Zukunfts-Möglichkeiten, wenn ein Werk wie VW einen Standort dichtmacht. Nicht zu vergessen all die Zulieferer, die ausbleiben, der Handel, dessen Umsatz einbricht, das Restaurant, das Gäste verliert. Ich habe das alles im Ruhrgebiet erlebt und gesehen, wie täglich der Reiz einer Region an Glanz und Attraktivität verloren ging.
Eine Stadt wie Kassel lebt von VW. Man darf an Skandale erinnern, die am Ruf des Konzerns kratzten. Der Diesel-Skandal ist so ein Beispiel, über 32 Milliarden Euro hat er verschlungen, Geld, das man besser für andere Zwecke eingesetzt hätte, zum Beispiel für Innovationen. Ja, man darf fragen, warum in diesem Jahr an die Aktionäre 4,5 Milliarden Euro ausgeschüttet wurden.
Autoland Deutschland
Dass der Kanzler einen Industriegipfel veranstaltete, ist nicht zu kritisieren, der VW-Chef war ja auch dabei. Dass er sich nur ein Bild machen wollte, klingt ein bisschen lächerlich. Das Bild hat er doch vor Augen, er weiß um die Bedeutung von VW, die Rolle der deutschen Automobilindustrie für Deutschland. 564 Milliarden Euro betrugt der Gesamtumsatz der deutschen Automobilindustrie in 2023. Autoland Deutschland, wenn dieser Motor nicht mehr läuft…
Olaf Scholz hat es als Fehler bezeichnet, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Zeche zahlen müssen, die Folge falscher Managemententscheidungen sind. Das ist so, war immer so und wird immer so bleiben. Also heißt es vielsagend, nach vorn zu schauen und nicht die Kraft auf die Bewältigung des Vergangenen vergeuden. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen verändern, mithelfen, dass die Elektromobilität in der Vordergrund rückt, dass dafür die Infrastruktur geschaffen wird, Stichwort Ladesäulen. Und die Politik muss dafür sorgen, dass aus dem Jammerland Deutschland wieder das Vorzeige-Industrieland wird, dass alle die Ärmel hochkrempeln, damit es schneller besser wird und dieses Land nicht den rechten Rattenfängern mit ihren verlogenen Heilsversprechen in die Finger gerät. Leider muss man daran zweifeln, dass die kränkelnde Ampel dazu noch die Kraft hat.
Wir haben manche Sorgen, nicht nur die von VW, der Bahn, der Bundeswehr, zu viel Bürokratie. Und doch würden die meisten Länder dieser Welt ihre Probleme gern mit den unseren tauschen. Dieses Land steht nicht vor dem Untergang, sondern ist immer noch das wirtschaftsstärkste Land in Europa. Mit einer Demokratie, die auf stabilen Pfeilern steht. Es sind die Rechtsextremisten, die uns weismachen wollen, dass es hier ein Staatsversagen gebe. Bei aller berechtigten Kritik an der Ampel. Berlin ist nicht Moskau und nicht Pjöngjang. Mehr demokratisches Selbstbewusstsein würde uns gut zu Gesicht stehen. Wir haben allen Grund dazu. Und irgendwann wird es wieder heißen: er läuft und läuft und läuft.
Bildquelle: Screenshot aus VW: The Dark Side, Clip von Greenpeace