Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, habe ich auf der Friedensdemonstration in Berlin gesprochen. Meine Teilnahme hat im Vorfeld für einige Diskussionen gesorgt, und auch während der Veranstaltung gab es deutliche Meinungsverschiedenheiten. Dennoch bin ich überzeugt: Es war richtig und wichtig, dass ich dort war.
Warum? Weil wir als Sozialdemokraten den Frieden nicht den Populisten überlassen dürfen. Die SPD war seit ihrer Gründung vor 161 Jahren immer auch eine Friedenspartei, die für Demokratie und Freiheit gekämpft und Diktatur und Krieg die Stirn geboten hat. Die Friedensbewegung war stets eine Sammlungsbewegung mit unterschiedlichen Akteuren – sie war nie eine parteiliche Bewegung.
Ja, auch Sahra Wagenknecht war auf der Demo. Und nein, ich habe nicht „Arm in Arm mit ihr John-Lennon-Lieder gesungen“, wie ich es schon im Vorfeld klar gesagt hatte. Wagenknecht mag eloquent und intelligent sein, aber sie ist vor allem eine Populistin ersten Ranges. Ihre Position, die de facto auf eine Kapitulation der Ukraine hinausläuft, halte ich für verwerflich.
Friedenspolitik bedeutet nicht, die Augen vor der Realität zu verschließen. Putin ist und bleibt ein Kriegsverbrecher. Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Aber als ich auf der Bühne stand und Russland als Aggressor benannte, als ich mich gegen Antisemitismus aussprach, gab es deutliche Buhrufe. Das tat weh – gerade in Deutschland ausgepfiffen zu werden, wenn man sich gegen Antisemitismus ausspricht, trifft einen fast körperlich. Aber genau deshalb war es wichtig, dort zu sein und klare Kante zu zeigen. Die Alternative wäre gewesen, das Feld kampflos den Populisten und Hamas-Sympathisanten zu überlassen.
Meine Position ist klar: Die Ukraine muss sich verteidigen können. Wir müssen sie weiter humanitär, finanziell und auch militärisch unterstützen. Die Luftabwehr rettet dort mehr Leben als alles andere. Zugleich müssen wir uns diplomatisch deutlich mehr anstrengen. Der Glaube, Putin allein durch Waffenlieferungen an den Verhandlungstisch zwingen zu können, war bisher leider von wenig Erfolg gesegnet. Nach fast 3 Jahren Krieg müssen diplomatisch alle Register gezogen werden, um den Frieden wieder nach Europa zu holen. Wir dürfen uns an den Krieg und seine Schrecken niemals gewöhnen!
Die hohen Wahlergebnisse für AfD und BSW in Ostdeutschland haben auch mit der (fehlenden) Friedenspolitik zu tun. Wer das ignoriert oder wegmoderieren möchte, macht einen schweren Fehler. Ich bin überzeugt: Die Position, die ich auf der Demo vertreten habe und die in unserem sozialdemokratischen Aufruf „Unser Ziel: Frieden in der Welt!“ deutlich wird – das Eintreten für mehr Diplomatie und gegen die rein militärische Logik, für Solidarität mit der Ukraine, Israel UND dem palästinensischen Volk, für Humanität und gegen unendliche Aufrüstung – entspricht der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung und der Sozialdemokratie.
Nach meiner Rede am 3. Oktober brauchte ich eine halbe Stunde, um von der Kundgebung wegzukommen. Alle paar Meter sprachen mich Menschen an – Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere. Sie sagten mir, es sei gut gewesen, dass ich da war. Das zeigt: Ein erheblicher Teil der Menschen unterstützt unsere Position. Wir sind für Diplomatie, aber wir verleugnen nicht die Realität einer unperfekten Welt.
Denn die Realität des Krieges ist furchtbar: täglich Verletzungen und Tod, Vergewaltigungen und Kindesentführungen, Vertreibung und Zerstörung, Angst, Kälte und Traumatisierung. Am Ende profitieren von Kriegen nur diejenigen, die Kriegswaffen verkaufen. Das gilt besonders bei jahrelangen Stellungs- und Erschöpfungskriegen.
Zu guter Sicherheitspolitik gehört eben auch die soziale Sicherheit. Eine grenzenlose Aufrüstung und Wehretats, die von jeglicher politischer Diskussion ausgeklammert werden sollen machen unser Land nicht sicherer. Wir brauchen unsere knappen Ressourcen auch um Hunger, Armut, Umweltzerstörung und Fluchtursachen zu bekämpfen und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Das bedeuten die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und das war immer die Politik von Willy Brandt und die Friedenspolitik der deutschen Sozialdemokratie. Die heute zeitgemäßer denn je ist.
Wer die Suche nach Frieden auf Wegen abseits des Schlachtfeldes geringschätzt, als Appeasement verhöhnt oder als naiven Nationalpazifismus diskreditiert, muss erklären, wie er diesen Krieg beenden will, ohne das Schlachtfeld mit unabsehbaren Folgen auszuweiten.
Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, hat es treffend formuliert: „Eine Alternative zum Krieg gibt es immer, eine Alternative zum Frieden nicht!“ In diesem Sinne werden wir Sozialdemokraten weiter für den Frieden kämpfen – mit klarer Haltung gegen Populismus und Extremismus, aber auch mit der Überzeugung, dass nicht dem Krieg, sondern dem Frieden der Weg bereitet werden muss.
Über den Autor: Dr. Ralf Stegner, SPD, ist Mitglied des Deutschen Bundestages. Ordentliches Mitglied im
Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) und im Auswärtigen Ausschuss sowie Obmann im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung . Zuvor war er von 2003 bis 2005 Finanzminister und von 2005 bis 2008 Innenminister des Landes Schleswig-Holstein.