Befreiung im Westen-Vertreibung im Osten. So der Titel einer Geschichte des Bundes der Vertriebenen am 18. Oktober 2024. Ja, so war das Ende der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, das sich über Monate hinzog und Millionen Tote forderte. Während die französische Hauptstadt schon am 25. August 1944 befreit wurde- nahezu unversehrt, weil der deutsche Generalfeldmarschall Dietrich von Cholditz die Zerstörung verhinderte- gingen die Kämpfe an anderen Orten noch unvermindert weiter. Und im Osten begann am 16. Oktober 1944 der Vormarsch der Roten Armee. Tausende und Abertausende wurden vertrieben, ermordet, Frauen vergewaltigt. Aus Rache für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht an den Russen, Ukrainern. Rache ist ein schlechter Ratgeber und doch geschah sie. Das war die Antwort Stalins auf den Vernichtungsfeldzug der Deutschen.
Gerade wurde in den Medien in Aachen das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Gefeiert oder gedacht? Sicherlich war es Mahnung und Festakt zugleich. Mahnung, damit es nicht wieder passieren möge, Mahnung, damit Europa zusammenhalte und sich zum Beispiel Deutsche und Franzosen nie mehr bekriegen mögen. Mahnung und Festakt, damit wir Deutsche von Freunden umzingelt bleiben mögen. Kein Krieg in Europa seit 1945, das stimmte bis vor drei Jahren, als Putin die Ukraine überfallen ließ. Jetzt ist der Krieg wieder ganz nah an Europa gerückt, wir spüren ihn, alle Europäer spüren ihn, weil wir die Ukrainer unterstützen mit Geld und Waffen, damit sie sich verteidigen können gegen die russische Übermacht.
Aber bleiben wir noch beim Frieden und dem Ende des Krieges. Befreit wurden die Deutschen durch die Amerikaner, befreit von der Diktatur der Nazis unter Hitler, Goebbels, Himmler, Göring, Heydrich, Speer, um nur die bekanntesten und schlimmsten zu nennen. Der Tag der Befreiung und nicht der Kapitulation, so hatte es am 8. Mai 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes im deutschen Bundestag in einer bemerkenswerten Rede gesagt und auch an das Schicksal der deutschen Vertriebenen erinnert, es waren zwischen 12 bis 14 Millionen. Aber die Vertreibung war das Ergebnis der Nazi-Politik, ihrer Urheberschaft für den Weltkrieg mit seiner Zerstörung, der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Der Osten Deutschlands ging verloren, weil die Nazis die Welt erobern, die Russen zu Sklaven erniedrigen wollten, sie sahen sich als die Herrenmenschen. Die Anfänge dieser Schreckens-Zeit, sie liegen im Jahre 1933.
Befreiung im Westen: Wenige Tage nach den Feierlichkeiten in der Domstadt Aachen erinnerte der „Bonner Generalanzeiger“ an den Bombenkrieg vor 80 Jahren. Die schöne bürgerliche Kleinstadt am Rhein wurde am 18. Oktober 1944 von den alliierten Bombern angegriffen, weite Teile der Innenstadt schwer zerstört, es gab viele Tote. Bonn liegt gerade mal 80 Kilometer von Aachen entfernt. Aachen, das im 2. Weltkrieg zu 65 Prozent zerstört wurde, allein bei der Schlacht um Aachen kamen über 10000 amerikanische und deutsche Soldaten ums Leben, wurden schwer verwundet oder werden seitdem vermisst. Nein, im Oktober war der Krieg noch nicht zu Ende, die Bürgerinnen und Bürger Aachens werden den Schlachtenlärm noch länger vernommen habe, im Hürtgen-Wald wurde noch heftig gekämpft.
Befreiung im Westen. Paris war frei im Sommer 1944, und bald konnten auch Städte in den Niederlanden wie Nijmegen aufatmen. Die Stadt wurde zwar im September 1944 befreit von der Wehrmacht, sie blieb aber Frontstadt, die immer wieder von den Deutschen beschossen wurde. Vor einigen Wochen feierten die Niederländer diese Befreiung. Alte Landungsboote wurden auf dem Rhein ausgesetzt, Soldaten in alten Uniformen waren zu sehen, alte Panzer rollten über die Rheinbrücke, alte Flugzeuge drehten ihre Runden. Eine eher feierliche Stimmung. Der Krieg in den Niederlanden ging noch Monate weiter, die Hauptstadt Amsterdam erlebte noch einen Hungerwinter 1944/45, bei dem 20000 Menschen vor Kälte und Unterernährung ihr Leben verloren. Frei war Amsterdam endgültig erst am 5. Mai 1945. Wie etwa Rotterdam, das heute eine Stadt ist, die vor Kraft strotzt, die strahlt, die mächtig wirkt mit ihren Hochhäusern und ihrem Hafen, deren Innenstadt aber 1940 von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht worden war. Der 5. Mai ist seit 1946 gesetzlicher Feiertag in Holland, Befreiungstag.
Das Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden, über das auch Anne Frank nach Auschwitz und schließlich ins KZ Bergen-Belsen kam, wo sie Anfang 1945 starb, wurde erst am 12. April 1945 von kanadischen Truppen befreit. Im Lager befanden sich noch 876 jüdische Gefangene. Insgesamt wurden von 1942 bis 1944 107000 Juden aus Westerbork per Zug deportiert, nur 5000 überlebten. Die Züge fuhren nach Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen, Theresienstadt.
Befreiung im Westen. Die Kölner mussten noch Monate länger warten als die Aachener. Den letzten schweren Bombenangriff erlitt die Domstadt erst am 2. März 1945, wenige Wochen vor der endgültigen Kapitulation des Deutschen Reiches. Insgesamt fielen auf Köln geschätzt 1,5 Millionen Bomben, 20000 Menschen kamen ums Leben.
Vor 80 Jahren: Der Bund der Vertriebenen erinnert in seiner Presseerklärung vor allem an das Schicksal der deutschen Vertriebenen, etwa aus Ostpreußen. Und der BdV-Präsident Bernd Fabritius hat ja nicht Unrecht, wenn er einen gleichberechtigten Platz für Flucht und Vertreibung in der Erinnerungskultur der Deutschen fordert. Wörtlich schreibt der CSU-Politiker: „Am 16. Oktober 1944 begann die sowjetische Offensive auf Ostpreußen. Die Rote Armee überschritt in den folgenden Tagen an mehreren Stellen die deutsche Reichsgrenze und drang weit in Ostpreußen ein. Bei Nemmersdorf, einem kleinen Dorf südwestlich von Gumbinnen, rückten die Verbände am 21. Oktober 1944 am weitesten nach Westen vor. Einer der Kommandeure schrieb in einem Gefechtsbericht, „Nemmersdorf ist von der Infanterie des Gegners und der friedlichen Bevölkerung gesäubert worden“. Wie diese Säuberung aussah, stellten deutsche Truppen bei der Rückeroberung des Dorfes in den folgenden Tagen fest. In der Erinnerung der Vertriebenen ist Nemmersdorf zu einem Sinnbild für die Gräueltaten geworden, mit denen die Rote Armee, propagandistisch vom Stalin-Regime angestachelt, auf ihrem Rachefeldzug für die Verbrechen Nazi-Deutschlands gezielt Angst und Schrecken verbreitete.“ So weit die Worte des BdV.
Gewalterfahrung und Heimatverlust, Flucht und Vertreibung, Gedenken an das nahende Ende des Krieges, erinnern an Massaker an der Zivilbevölkerung, an Massenflucht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, alles verbunden mit der Mahnung des Nie-Wieder. Dafür ist die Erinnerungskultur vonnöten. Auch und gerade in Europa, damit nicht vergessen wird, was geschah und was wir inzwischen erreicht haben, Freundschaft und Zusammenarbeit. Riskieren wir das nicht, was unsere Väter und Mütter geschaffen haben. Der langjährige Dissident und spätere tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel erklärte 1990 zur Vertreibung der Sudetendeutschen: „Das war keine Strafe, sondern Rache. Mehr noch, wir haben die Deutschen nicht wegen erwiesener individueller Schuld vertrieben, sondern als Angehörige eines bestimmten Volkes. Wir haben damit vielen unschuldigen Menschen Unrecht getan, hauptsächlich Frauen und Kindern.“ Unmissverständliche, klare Worte eines großen Mannes. 1992 verpflichteten sich beide Länder, altes Unrecht nicht mit neuem zu vergelten, sie bestätigten die Unverletzlichkeit der Grenze und verzichteten auf Gebietsansprüche.
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