Vertrauensbildende Maßnahmen“ (VBM) wären eine zivilisierte Voraussetzung, um die weltweit unsäglichen Leiden zu beenden. Jedoch, indem mal der einen, mal der anderen Konfliktpartei die „Schuld gegeben“ wird, da wird laufend eine diplomatische Sackgasse verbreitert, in der VBM keine Chance haben.
Pauschal beschuldigen und kaum je bereuen: die Folgen
Die Strukturen der ethischen und diplomatischen Sackgassen sind nicht neu. Bereits 1958 berichtete das „Institute for Mediterranean Affairs in New York“ über die Verzweiflung und Ohnmacht der „palästinensisch arabischen Flüchtlinge“ und den dramatischen Handlungsbedarf[1]. Betont wurde:
„Es ist z. B. unerheblich zu erörtern, wer die Schuld an dem gegenwärtigen Schicksal der Flüchtlinge trägt. Das Problem ist das Gleiche, ob sie ihre Heimat verlassen haben, weil die israelischen Streitkräfte sie vertrieben haben, oder ob sie mit den eindringenden arabischen Armeen kooperiert haben oder aus anderen Gründen oder ohne Grund.“
Ohne gemeinsame Bemühung der Staaten um Verständnis füreinander bleiben VBM weit entfernt. Zu einem für Staaten typischen Phänomen: Die Juristenorganisation „IALANA Deutschland“ versuchte einen Beitrag „Krieg zwischen Hamas und Israel 2023“[2] zur Versachlichung der Auseinandersetzungen zu leisten, ihr Fazit:
„Beide Konfliktparteien verstoßen in eklatanter Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. Geboten sind daher nicht einseitige Parteinahmen und Waffenlieferungen, sondern eine sofortige Beendigung des bewaffneten Konflikts … .“
Seit der Gründung von Israel als Staat gibt es von beiden Konfliktparteien schier endlose Willkür. Jeder klagt an und gibt dem Gegner Anlässe, anzuklagen. IALANA betont immer wiede3r: Das alles ist weit entfernt von Notwehr.
Aus Sicht eines Opfers: Warlam Schalamov, einem Überlebenden des sowjetischen Gulag[3]:
„Ich habe erkannt, dass der Mensch sich am längsten die Erbitterung bewahrt. Das Fleisch an einem hungrigen Menschen reicht nur für die Erbitterung, allem anderen gegenüber ist er gleichgültig.“
Gruppen von Menschen ist möglich, dass sie ihre Erbitterung ins schier Unermessliche steigern.
Über global krasse Leiden berichtet laufend iz3w: Die Schwerpunkte der aktuellen Hefte Mitte 2024 sind: „Vielfachkrisen“ und „Genozide[4].
Als zukunftsweisend eingebracht werden konnte dazu z. B. ein vorbildliches Verständnis füreinander am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2024. Es gelang Charlotte Knobloch durch Veranschaulichung der Leiden am 7. Oktober 2023 und danach in Israel, zusammen mit António Guterres (VN), der das systematische Leiden von Palästinensern über 56 Jahre hinweg verdeutlichte. Beide Personen waren hochengagiert und verantwortungsbewusst mit gemeinsamer Zukunfts-Hoffnung! Aus solchem Bewusstsein heraus, sind jederzeit friedliche Kooperationen möglich. Die Realität war und ist noch nicht soweit.
Sich selbst aus dem Paradies vertreiben
Man hätte schon kurz nach Staatsgründung von Israel die Zukunft weitaus besser ansteuern können, etwa im Sinne von Ben Gurion: „wir müssen stark und gerecht sein“.
Dabei wäre keineswegs verkehrt gewesen, mal ein Modell starker Kooperation zu probieren. Dass es nicht mal auf brauchbarer Fläche versucht wurde, liegt an beiden, Arabern und Israel. Debatten über „die größere“ Schuld sind unsinnig.
Israel hätte mit seiner modernen Technik in der Landwirtschaft das ganze Nahost-Gebiet in ein Paradies verwandeln können! Israel konnte nach der Gründung bis 2024 die eigene Nutzung von Land militärisch und polizeilich laufend stärker absichern. Immerhin gab es manchmal konstruktiv erscheinende Verhandlungen. Aber sie blieben zäh und ohne Fortschritt. Es fehlte an Bereitschaft zu Vertrauen. VBM blieben unsicher und zögerlich. Schädlich war dabei auch das schier unendliche Hin und Her der Aktionen und Bekundungen bezüglich Gewalt von Jassir Arafat[5]. Es führte zwar zum Friedensnobelpreis, aber nicht zum Frieden.
Bei der Wahrnehmung der Versäumnisse ist wichtig zu verstehen, wie groß die Schäden und Leiden für die Menschen jahrzehntelang waren und bis heute bestehen. Wichtige Hinweise gibt selbstverständlich der „3-D-Test“: Der Verdacht auf Antisemitismus wird geprüft mit: “delegitimization, demonization, and double standards[6]. Selbstverständlich betreibt Israel keinen „anlasslosen Genozid“ – aber Genozid? Zur Beurteilung gibt es objektive Kriterien. Differenziert und laufend mit Update untersucht werden muss, was man zielführend tun kann, wenn Terroristen wie die Hamas von Schulen und Krankenhäusern aus agieren.
Antisemitismus in Form eines subjektiv starren Vorurteils war und ist jederzeit ungerecht und unmoralisch. Im Einzelfall, bei bestimmten Situationen und Verhaltensweisen, kann jeder versuchen, subjektiv zu bewerten – Streit ist oft schwer auflösbar. Objektiv (!) feststellbar ist, wie krass ein Antisemitismus beiden, Tätern und Opfern, enorm schadet. Was mir zum Beispiel bei meiner Arbeit als Wissenschaftler 1980 auffiel, war für mich schwer auszuhalten. Es erschien mir derart absurd zu sein, dass ich es nach ein paar Tagen, ebenso nach ein paar Jahren, nicht glauben konnte, und es also mehrfach neu überprüfte. Aber das Ergebnis blieb korrekt, hier meine kurze Zusammenfassung[7]:
„Der Bevölkerungszuwachs war in Ägypten innerhalb von fünf Jahren größer, als die Gesamtbevölkerung Israels! Und um das begrenzte kleine Gebiet von Israel ging der Streit. Außerdem hatte allein schon die kostspielige Rüstung für Ägypten die einem Krieg vergleichbaren schädlichen Folgen:
Es wurden teure Mirage gekauft. Die Rüstungskosten pro Soldat betrugen 30.000.- DM (der Wert resultierte teils aus hohen Kosten für Mirage Kampfflugzeuge aus Frankreich). Aber nur für im Durchschnitt 78 Schüler gab es einen Lehrer und praktisch keine Lehrmittel. Sehr junge Schüler mussten für umgerechnet 10 Pfennig einen Tag lang Schädlinge auf Äckern suchen. Sie wurden dazu mit einer Peitsche von älteren Schülern angetrieben. Sie waren Schädlingen und Seuchen ohne medizinische Hilfe ausgesetzt.“
Tatsächlich gab es damals Vereinbarungen von Ägypten und Israel für eine gewisse Rüstungsbegrenzung, sowie für eine etwas verringerte Eskalationsbereitschaft beider Staaten. Die Gewalt in Nahost wurde jedoch nicht überwunden. Die Kosten sind derzeit global in den Medien jeden Tag zu sehen. Und das Elend in Ägypten ist 2024 nach wie vor krass: Das Wachstum der Bevölkerung blieb hoch und ist bei 110 Millionen Personen angekommen. Der Nil ist stark verschmutzt, Pflanzen und Fische gedeihen kaum. Millionen verarmte Familien leben auf sehr kleinen Holzbooten, sie sind Krankheiten und Vergiftungen ausgesetzt. Ihre Kinder haben keine Chance eine Schule zu besuchen. Weiterhin zementieren beachtliche Militärausgaben jenes Elend, das kooperativ vermeidbar wäre.
Präventive Gewalt zerstört Sicherheit und zementiert Elend
Vor 1948 hatten die Araber in Palästina zwar wenig politische Macht. Sie hatten aber durchaus eine für sie grundlegende, karge und doch höchst wertvolle Heimat. Ihre aufgestaute, immer betonte Erbitterung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Verhalten bis hin zur Grausamkeit am 7. Oktober 2023. Es „erklärt“ vielleicht die Gewalt etwas, aber es kann rechtswidrige Taten niemals rechtfertigen und es wird kaum jemals zielführend sein.
Ähnliches gilt für die Konsequenzen der Erbitterung von Juden nach 2.500 Jahren Antisemitismus und schließlich Holocaust. Es „erklärt“ ebenfalls vielleicht, wie die israelische Absicht, die Hamas zu vernichten, eisern beibehalten wird. Als zielführend erscheint es ebenfalls nicht. Denn es geschieht, obwohl deutlich erkennbar ist, wie in Gaza bei den Kindern der Palästinenser viele zukünftige Terroristen (später mit Namen Hamas oder anders) herangezogen werden. Es werden mehr sein, als durch Israel Mitglieder der Hamas getötet werden können. Eine real-absurde Tragik! Deutlich ist dabei, wie dieser Vorgang weltweit zu einer Verfestigung von Antisemitismus führt. Das geschieht besonders bei jungen Menschen, bis hin zu Studenten „pro Palästina“ an deutschen Universitäten. Für weitere 2.500 Jahre? Jedenfalls sind Ansätze zu VBM auf einem krassen Tiefpunkt.
Indem Zionismus und Islamismus politisch polarisieren, wird eine Sackgasse zementiert. An sich müsste dies sofort als blasphemisch, als absurd erkannt werden. Denn dabei wird deutlich, wie absurd jemand einem Gott Willkür, bis hin zu einseitiger Parteinahme, unterstellt. Sogar dem eigenen Gott! Ziel und Resultat sind dabei immer eine politisch einseitige Parteinahme. Eine typische „menschliche“ Folge kann sein, eigene Gewalt als quasi „zulässig“ zu empfinden und zu „erklären“.
Das verfestigt jedoch bisher das Unheil: Weil Konkurrenten und Gegner ihre eigene (und nur ihre eigene) Gewalt „als erforderlich“ ansehen, können sogar die „Vereinten Nationen“ kaum etwas in Richtung Frieden bewegen. Die Realität steht also global allzu oft im Widerspruch zum geltenden Völkerrecht. Ehrlich wäre daher, das Völkerrecht unzivilisierter Realität anzupassen. Der Schaden würde jedoch größer und absurder, etwa so:
„Von da an ‚dürfte‘ jeder Staat (s)einen Genozid als alltägliches Phänomen begehen. Die Gewalt würde ebenso grenzenlos wie hemmungslos. Objektive Menschenrechte, als Vorboten von Zivilisation, wären von da an ausgeschlossen. Frieden, Zivilisation, auch nur wechselseitige Kompromisse würden unerreichbar. Die Kosten würden existenziell noch stärker steigen, als bisher. Zugleich würde die Sehnsucht auf Zivilisation stark anwachsen. Die Folge wäre: Noch mehr Gewalt.“
Global ist ähnliches Verhalten bereits jetzt üblich. Quasi so als wäre es ein Gewohnheitsrecht, das „gilt“: Auf Gewalt folgt eine Gegenreaktion, mit weiter eskalierender Gewalt, jeweils soweit es sachlich unsicheren Politikern mal kurz möglich erscheint. Etliche „sichtlich sach-zwanghafte“ Berater gelten als sachkundig. Währenddessen wachsen Schäden und Erbitterung. Denn blindwütige Polarisierungen sind diplomatische Sackgassen für Versöhnung.
Friedensbemühungen bleiben dabei – oft Monate/Jahre, weitgehend ohne Aussicht auf nachhaltigen Erfolg. Die Auswirkungen sind verheerend (buchstäblich), sowohl wirtschaftlich, als auch sozial, ethisch/religiös, akut ökologisch, insgesamt „menschlich“. Dauerhafte Kompromisse werden geradezu strukturell unmöglich.
Schädlich sind Polarisierungen bei Verhandlungen. Das geschieht zum Beispiel in Deutschland, indem man sich und anderen jegliche Kritik an Juden inklusive Israel versagt, aus durchaus naheliegenden, „erklärbaren“ Schuldgefühlen nach dem Holocaust. Und nach dem Holocaust ist auch die jüdische Haltung „erklärbar“, weil sofort nachvollziehbar: Gegen jeden, der uns angreift, werden wir uns mit allen (!) Mitteln wehren. Nur leider, wo wir gegen geltendes Recht verstoßen, machen wir uns angreifbar.
An sich sind Waffenlieferungen von Deutschland an Israel unmittelbar plausibel, soweit es um existenzielle Sicherheit geht und soweit das Völkerrecht eingehalten wird. Aber wo ist die Grenze zwischen existenzieller Notwehr und ausufernder Machtpolitik? Sowas ist politisch immer umstritten. Wie kann man, wenn überhaupt, bei der unvermeidlichen Abwägung, pragmatisch wie ethisch, „auf der sicheren Seite“ (eigene Überzeugung), praktisch wenigstens auf einer halbwegs sicheren Seite bleiben?
Die Bedingungen für ein „NIE WIEDER“
Die akute Herausforderung: Ein Aufruf wie: „NIE WIEDER“ kann sich tatsächlich in Israel und in Deutschland von selbst zerstören. Es geschieht, soweit man als Israel, also als eine zu schützende Konfliktpartei (deutsche Staatsraison) die Art der Verbrechen hinter „NIE WIEDER“ – für weit mehr als Notwehr – nun selbst begeht. Damit Notwehr gerechtfertigt wäre, müsste sie als erforderliche Abwehr eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs dienen. Diese klare, global anerkannte Begrenzung kann mit einer präventiven Vernichtung eines Gegners nichts zu tun haben. Bei Missachtung solcher Grundsätze können bestimmte deutsche Waffenlieferungen, ganz anders als früher, bedenklich werden.
Verbrechen der Hamas, ebenfalls über Notwehr hinausgehend, verändern den Sachverhalt israelischen Verhaltens (über Notwehr hinausgehend), dabei nicht. Wird dies nicht ehrlich aufgearbeitet, wird das Dilemma nicht mal ehrlich benannt, werden Zweifel quasi automatisch verdrängt, so wachsen die Gefahren von Zerstörung und das Ausmaß von Antisemitismus. Das ist eine äußerst schwierige Herausforderung. Sie ist zu beachten, selbst dann, wenn eine gewisse „präventive Vernichtung“ von gegnerischen Streitkräften mit präventiven Absichten gelingt – es ist schwer einschätzbar, wieweit ein starker Wiederaufbau gegnerischer Streitkräfte geschehen wird.
Dabei kann sogar die Arbeit von „Antisemitismus-Beauftragten“ in die Sackgasse gelangen, dass sie das aktuelle Wachstum von Antisemitismus nicht verhindert oder umkehrt. Deshalb ist existenziell bedeutungsvoll, wieweit es diesen Beauftragten gelingt, ein Bewusstsein für die Probleme mitsamt möglichen Fehlentwicklungen zu haben. Immer können sie bei Klagen und Leiden höchst willkommenen Trost geben. Aber solange Antisemitismus wächst, muss etwas verändert werden. Historisch war Antisemitismus oft so, dass die bitter Betroffenen überhaupt nichts dagegen tun konnten. Darauf war der Aufbau der hoch innovativen IDF zunächst die richtige Antwort.
Israel macht es selbst den Nationen, die es unterstützenden schwer, sich für ein NIE WIEDER ohne Bedenken emotional und praktisch zu engagieren, indem es eindeutig und mehrfach das Völkerrecht verletzt. In der NYTI wurde dies klar dargelegt, kurz gefasst[8]:
„Es geschah, indem Pager (Funkmeldeempfänger und teils -sender) sowie Walkie-Talkies (Handsprechfunkgeräte) vom israelischen Geheimdienst vor einer Lieferung an die Hisbollah mit Sprengstoff versehen wurden und dann aus der Ferne überraschend zur Explosion gebracht wurden. Es geschah, indem mehrstöckige Wohngebäude mit derart wuchtigen Bomben zum Einsturz gebracht wurden, dass Hisbollah Führer in massiven Bunkern unter dem Gebäude getötet wurden.“
Wie kann Israel technisch derart überlegen sein? Es hat mit der Infrastruktur und Fähigkeiten zu qualitativ hochwertiger Ausbildung enorme Vorteile. So werden, bewusst und konsequent, seit der Staatsgründung 1948 die Frauen bei Bildung, Ausbildung und Übernahme von Verantwortung im Beruf stark mit einbezogen. Im Umfeld ist das unmöglich – nicht zuletzt für wertvolle frühkindliche Erziehung eigener Kinder – und in Zukunft wird jegliche positive Veränderung starkes Engagement und enorme Zeit erfordern.
Die Konsequenzen schlechter Ausbildung
Im Libanon wie im Iran, in Gaza usw. sind bei den Jugendlichen kritische Merkmale oft stark ausgeprägt:
- Ihr Anteil an der Bevölkerung
- Ihre Empörung gegen Leiden und gegen ihre Hilflosigkeit. Ihr „mörderischer Jubel“ nach der Terror-Aktion in Israel am 7. Okt. 2023 – ausgeführt von „früher ebenso empörten Jugendlichen, nun in der Hamas.
- Aber eben auch ihre vergleichsweise geringe Ausbildung und generell Bildung. Die Zeit, in der Diktaturen mit „einfachen“ Soldaten, Gefängniswärtern, ohne Menschenrechtler usw. auf enorme Dauer (!) mächtig sein und bleiben konnten, ist vorbei. Mit solchen Mängeln zementieren Diktatoren die Hilflosigkeit ihrer zukünftigen Soldaten und Terroristen – nur vereinzelt kann es gezielt stark ausgebildete Kämpfer aller Art geben, wenn schon die Ausbildung von Kindern dürftig ist. Immerhin, mit extremster Anstrengung kann man zum Beispiel unterirdische Tunnel bauen – und in Vietnam war dies gegen USA erfolgreich. Aber zumeist gilt: mehr als erschweren kann man die Gegenmaßnahmen von modernen und todesmutig opferbereiten Gegnern nicht. Das offenbart auch die hohe Bedeutung, die Israel dem Töten von Anführern seiner Feinde gibt – diese sind nicht leicht zu ersetzen.
- Hingegen für Jugendliche in Israel gilt ein hohes Leistungsprinzip, vergleichbar wie in Deutschland, denn trotz etlicher Versäumnisse gilt ein Fazit, siehe Heft 3/2024 des WZB[9]: Leistungen werden nicht nur gefordert und bewertet, sie werden auch erbracht; und, die Voraussetzungen sind aufwendig, für Bildung muss investiert werden. In armen, vor allem in zerstörten Ländern fehlten fast jegliche Voraussetzungen; die Tragik der Kinder und Jugendlichen in Nahost außerhalb Israels ist, dass viele ebenso im Bereich höchst einsatzbereit wären, jedoch kaum je eine Chance bekommen.
Ein Beispiel, in was für eine die militär-politische Sackgasse veraltete Ausbildungen und Vorbereitungen führen können und welche enormen Emotionen es bei Veränderung zu steuern gilt:
Stark sind Solidarität und Engagement der Exilanten gegen die Mullahs im Iran. Richtig finde ich die Betonung einer gut vernetzten „Organisation“ (im Iran und mit uns). Bewundernswert ist die Zuversicht, dass es eine befreiende Änderung im Iran geben wird.
Schwach müssten für die gewünschte Veränderung die Mullahs sein. Jahrzehntelang haben wir auf so eine Schwäche gelauert. Immer schon gab es Gründe für Schwäche, doch nie schienen die Mullahs genug beeindruckt. Staatsterrorismus ist penetranter, strikter und breit tödlicher als privater Terrorismus, immer schon. Aber jetzt im September 2024 gab es eine markante Schwäche: Nach Tötung von Terroristen in Teheran durch Israel, da wurde von den Revolutionsgarden, Regierenden, Medien und Öffentlichkeit spektakulär Rache und Vergeltung angekündigt. Aber es geschah nichts dergleichen, zumindest bis inklusive 1. Oktober 2024. Die Meinungen dazu, von Experten und ähnlich von Laien, bieten ein breites Spektrum. Zu Vermutungen gehört, die Machthaber meinten wohl, mit einem Angriff endlich „die Ehre“ von Iran bei der Bevölkerung „retten“ zu können – und womöglich haben sie das Ausmaß der eigenen Schwäche, vor allem die geringe Auswirkung in Israel, nicht realistisch einkalkuliert.
Einerseits, die Jugend im Iran stachelt jede Frustration auf, so werden zukünftige Terroristen geradezu „gezüchtet“. Eine Begeisterung in Richtung Demokratie, eine Vorstellung von eigener Kompetenz, werden kaum entfacht.
Andererseits, trotzdem: Die Schwäche der Mullahs sollte in uns neue, ungeahnte Hoffnung auf Veränderung entflammen. Denn die Mullahs sind:
- sowohl voller Angst, konkret feig wenn es um den eigenen Kragen geht; zögerlich auch wegen enormer Angst vor dem eigenen Volk
- als auch ansatzweise klug, mit Hoffnung auf VBM (Vertrauens-Bildende Maßnahmen) um Eskalation zu vermeiden; in diesem Sinne womöglich momentan mehr besonnen als Israel.
Beides signalisiert eine Vorstufe von Verhandlungsbereitschaft. Und dabei ist existenziell am wichtigsten, in deren und unserem gemeinsamen Interesse, einen atomaren Rüstungswettlauf in Nahost zu vermeiden. Historisch hat bei allen (!) Atommächten die eigene Atombombe, jenseits religiöser oder anderer Starrheit, zu mehr Vorsicht geführt (mögliche Ausnahme: Nordkorea). Aber keineswegs zu „Sicherheit“.
Schwieriges Engagement für Menschenrechte
Was tun? Mit ungeahnter Hoffnung und weiter arg strapazierter Vorsicht dürfen unsere Organisationen für Menschenrechte neue Zuversicht tanken. Jedoch dürfen wir keineswegs leichtsinnig werden: Pragmatische Anhaltspunkte zu einer Balance zwischen Mut und Vorsicht kann uns Warlam Schalamov aus seiner Erfahrung im sowjetischen Gulag geben (hier ein Auszug aus den Seiten 289-293 seines Buches[10]:
„Was ich im Lager gesehen und erkannt habe
1. die außerordentliche Fragilität der menschlichen Kultur und
Zivilisation. Der Mensch wurde innerhalb von drei Wochen zur
Bestie – unter Schwerarbeit, Kälte, Hunger und Schlägen.
4. Ich habe erkannt, dass der Mensch sich am längsten die
Erbitterung bewahrt …
6. Ich habe erkannt, dass Stalins „Siege“ errungen wurden, weil
er Unschuldige umbrachte – eine Organisation, der Zahl nach
zehnmal geringer, aber eine *Organisation*, hätte Stalin in zwei
Tagen hinweggefegt.
12. Dass Schläge als Argument fast unwiderlegbar sind …
43. Ich habe verstanden, was Macht bedeutet und was ein Mann mit
Gewehr.
46. Dass der Schriftsteller ein Ausländer sein muss, in den
Fragen, über die er schreibt – wenn er das Material gut kennt,
wird er so schreiben, dass ihn niemand versteht.“
Solche Erfahrungen sind im Iran grob vergleichbar und ebenso schwer auszuhalten. Alle Deutschen haben hierbei die genannte Rolle „Ausländer“. Einige sind Wissenschaftler, wie ich, und etliche bemühen sich als Menschenrechtler u/o Historiker. „Lieber“ würde ich Unterstützung für Iran als Schriftsteller versuchen. Lieber? Nun ja, obwohl, wenn eine Darstellung mir tatsächlich ähnlich wie Kafka gelingen könnte – ich meine derart angemessen kafkaesk – so würde die Betroffenheit ähnlich voll auf mich zurück schlagen, ich meine da wäre ich wohl wie Kafka kaum älter als 41 Jahre geworden. In diese Richtung wirkten auf mich, am 26. Oktober 2024 als Gast des Menschenrechtsvereis für Iran, „viele traurige Gesichter“. Eines gilt für uns alle, sobald wir Betroffene sind:
< Wir bewahren unsere Erbitterung, und unsere Erbitterung bewahrt uns >
Das gilt, sei es nun bis zum eigenen Tod, oder bis zum gemeinsamen Erfolg. Der Erfolg wird politisch kommen und es wird für die Betroffenen sein, wie eine neue Geburt.
Nicht erkennbar ist, wann für den Iran die USA nicht mehr „der große Satan“ und Israel „der kleine Satan“ sein werden. Was bedeutet dies für den Umgang mit Antisemitismus in Deutschland, zunächst in naher Zukunft?
Der Historiker Wolfgang Benz, ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismus-Forschung der TU Berlin, hat jahrzehntelang gut recherchierte, tolerant vernünftige Schriften zum Antisemitismus publiziert. Er hat er Argumente statt Affekte angemahnt, dabei deutlich präzisiert, welche Argumente im erbitterten Streit zu Palästina erkennbar antisemitisch sind, und welche nicht[11]. Er wusste „eigentlich“ Bescheid, aber auch er hat erstmal nicht präzisiert, inwiefern und wie stark Israel (und sowieso entsprechend die Hamas) Völkerrecht und Menschenrechte verletzten. Daher thematisierte er entsprechend auch nicht, welche Aktionen zielführend für eine friedliche Zukunft sein können. Das ist die gewiss schwierigste Herausforderung. Studenten können so eine Vorsicht vor dem Hintergrund der Bilder aus Gaza als unvollständig oder einseitig wahrnehmen. Viele Studenten sind erbittert – aber nicht antisemitisch, es sei denn sie waren es vorher schon. Ich vermute, Wolfgang Benz wird weiterhin diplomatisch zum überlebenswichtigen Aufbau von VBM beitragen.
Vor diesem Hintergrund darf nicht überraschen, wie verzweifelt zurückhaltend die offiziellen Vertretungen der Juden in Deutschland bis etwa Anfang August 2024 noch waren. Zunächst gab es in der Zeitschrift Juni/2024 der „Jüdischen Allgemeine“ es lange keine Seite, in der auch nur angedeutet würde, Israel hätte in Gaza womöglich Fehler begangen. Es wurde nur ein Hauch von Reue zugelassen, wohl aus der Hoffnung heraus, „weiter so unschuldig wie möglich“ sein zu können.
Vom Präsident Josef Schuster, dessen Feinfühligkeit für das Schicksal von Opfern über jeden Zweifel erhaben ist, gibt es auf Seite 4/5 dieser „Jüdischen Allgemeine“ einen vorzüglichen Beitrag über das bittere Schicksal bewundernswerter jüdischer Ärzte während des Holocaust. Aber wie Wolfgang Benz vermied er zunächst vorsichtig jegliche Verletzung des pauschalen Tabus einer „Deutschen Staatsraison“ für Israel.
Auf Seite 2 dieser „Jüdischen Allgemeine“ heißt es: „Das Leiden der 140 vermutlich noch lebenden Geiseln ist immer präsent“. So fühlen vermutlich alle Juden weltweit. Jedoch für die bald 40.000 Toten und über eine Million Leidende in Gaza, wird keine realistische Verantwortung übernommen. Deren Schicksal wird (auf Seite 6) von Gemeindemitgliedern ganz und gar allein der Hamas als Terrororganisation zugeschrieben. Zum Beispiel so: „… wie viele meiner Freunde bin auch ich überzeugt, dass Israel zum Schutz der eigenen Bevölkerung keine andere Wahl hat, als alles in seiner Macht Stehende aufzubieten, um die Hamas und deren Helfershelfer komplett zu entwaffnen.“ Dabei wird durchaus gesehen: „Israels Existenz ist bedroht“ und „das Ansehen unserer Armee ist nach dem 7. Oktober tief erschüttert“.
Realistische Politik
Was in Zukunft geschieht, wird stark vom eigenen Verhalten abhängen, pragmatisch und sensibel im Sinne von Ben Gurion: „wir müssen stark und gerecht sein“. Genau in diesem Bewusstsein hat Josef Schuster mit Augenmaß die vielen Einflüsse auf den Antisemitismus in Deutschland und Europa präzisiert, und dabei gezeigt, wie man eine objektive Sicht auf Israels aktuelles Verhalten anstreben kann, und aus welcher demokratischen Haltung heraus eine Sicherheit für Juden umfassend neu aufzubauen wäre[12].
Zu betrachten ist eine gigantische Bandbreite möglicher Entwicklungen – die schließlich im Nachhinein als „realistisch“ bezeichnet werden. Prognosen sind nicht wirklich möglich. Prognosen sind nicht einmal für das Verhalten der irrational erbitterten Kontrahenten möglich.
Auch nur „vernünftige Prognosen“ zu entwickeln, kann nur unvernünftig sein. Oder man müsste sich weitgehend auf Teilgebiete beschränken. So stellt professionelle deutsche Zukunftsforschung präzise überlegte Optionen für den zivilen Bereich bereit[13]. In der Zusammenfassung werden militärische Aspekte nicht genannt. Eine im Rahmen der Studie bereitgestellte KI Auswertung ergibt immerhin Anhaltspunkte:
„Der Report „Neue Horizonte 2045 – Missionen für Deutschland“ thematisiert Rüstung und Krieg im Kontext der geopolitischen Entwicklungen und der Sicherheitsarchitektur. Es wird betont, dass die internationale Sicherheitsarchitektur, insbesondere die NATO, ins Wanken geraten ist, was durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 verdeutlicht wurde. Dies hat die europäische Nachkriegsordnung und die internationale Sicherheitsarchitektur grundlegend in Frage gestellt.
Der Report hebt hervor, dass Deutschland und Europa einen größeren Beitrag im Rahmen bestehender Sicherheitssysteme leisten müssen, insbesondere zum Schutz kritischer Infrastrukturen. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die innere Sicherheit durch die Durchsetzungskraft des Staates und die hohe Akzeptanz von Regeln in der Gesellschaft gewährleistet werden soll.
Zusammengefasst betont der Report die Notwendigkeit einer robusten Sicherheitsarchitektur und die Bedeutung internationaler Bündnisse wie der NATO, um den Herausforderungen von Rüstung und Krieg zu begegnen.“
Von Vernunft ist jedoch „die Politik“ in Nahost und Europa zumeist noch weit entfernt. Soweit jedoch die Idee eigener Fehler ausgeschlossen wird, und somit jegliche Reue, ist Ungerechtigkeit vorprogrammiert. VBM erscheinen als unerreichbar. Sicherheit, durch „erforderliche“ Gewalt, richtet enorme Zerstörungen an. Da fehlt dann auch jedes Verständnis für deutsche Schüler und Studenten, die zumeist nur geringe historische Hintergründe kennen, aber im Fernsehen täglich Gräuel in Gaza sehen. Deren Reflex ist vollkommen nachvollziehbar. Sie hören die Rechtfertigung, es sei zur Vernichtung der Hamas „erforderlich“. Einer Hamas, welche jedoch nach Monaten Krieg weiter einsatzbereit war oder schien! Da fehlen die von Israel früh als rasch erreichbar angekündigten „Erfolge gegen Terror“. Das wirkt tief. Während vor allem Jugendliche weltweit Bilder der Vernichtung in Gaza unerträglich finden, wäre angemessen gewesen, sich völkerrechtlich vertretbar und selbstkritisch-ehrlich zur Anklage einer jüdischen Mitverantwortung zu äußern. Sonst kann der Antisemitismus weltweit laufend weiter bis ins schier Unermessliche gestärkt werden.
Obwohl: Zu beachten sind seit Mitte/Ende September eine Reihe von Erfolgsmeldungen aus Israel, bei der Bekämpfung und Tötung wichtiger Führungskräfte bei Hamas und Hisbollah. Solche, für viele überraschende Wendungen, können die globale Stimmung zu Israel und Antisemitismus etwas verändern. Etwas: Immer gibt es viele zivile Opfer, geplant und geschehen. Zwar sind die Verbrechen gegen Menschenrechte weiterhin unbestreitbar krass, aber es lässt sich weniger argumentieren, dass außerdem die Aktionen militär-taktisch sinnlos wären, indem die Stärke von Hamas und Hisbollah jederzeit wieder wie früher aufgebaut werden könne.
Neu sind Ende September 2024 starke, lokal gezielte Angriffe von Israel in Libanon und Iran. Erste Einschätzungen in USA betonen und relativieren sie möglichen Auswirkungen. David French hebt unter anderem hervor[14]:
„Die Hamas tötete mehr Zivilisten, als große Armeen von Ägypten, Syrien und weiteren Verbündeten in den Kriegen 1967 und 1973. Aber wie damals konnte Israel nach anfänglichen Verlusten durch intensiven Einsatz die Oberhand gewinnen. Von 24 Bataillonen wurden 22 zerstört, dabei gab es 17.000 Opfer bei den Hamas Kämpfern, hingegen weniger als tausend Soldaten aus Israel. Am 23. September gab es bei der Hisbollah 500 Opfer, und tausende Raketen wurden zerstört. Der Gegenschlag der Hisbollah war schwach. Wie schon bei der Hamas und anderen Dschihadisten wurden Kämpfer und Jugendliche schwer demoralisiert, besonders nach dem Tod von Hassan Nasrallah. Die Erbitterung ist und bleibt jedoch hoch.
Insgesamt gilt: Kurzfristig hat Israel wie früher Angriffe abgewehrt. Vorhersagen sind nicht wirklich möglich – die Bandbreite möglicher Entwicklungen geht bis hin zu einer erneuerten militärischen Dominanz von Israel[15]. Gelingt diese, so werden Spekulationen wuchern, was in der Umgebung passiert – von gesellschaftlichem Zusammenbruch bis hin zu Revolutionen – würden diese zu einer Art Demokratisierung führen, so könnten Jugendliche und/oder Erwachsene ganz neue Formen des gesellschaftlichen Umbaus bis hin zu Aufbau schaffen – wiederum mit ungeahnt positiven u/o negativen Konsequenzen für Israel, für ganz Nahost.
Kurz- und langfristig wird die wechselseitige Erbitterung, wird die Zerstörung von VBM jeglichen dauerhaften Frieden erschweren. Dazu trägt bei, dass die Kosten der Kontrahenten sehr hoch sind: Militärischer Aufwand, Zerstörungen mit Folgen für Infrastruktur, Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft, sowie Ausbildung. Im technisch und generell organisatorisch innovativ hoch-leistungsfähigen Land Israel sind Zerstörungen und Wiederaufbau anders als in den umliegenden Ländern, aber auch gravierend. Eine friedliche Zusammenarbeit wäre für alle Beteiligten optimal, die extreme Erbitterung, ihre Intensivierung anstatt Verringerung hat hohe Kosten. Dafür ist der Angriff der Hamas am 7. Oktober ist ein typisches, tragisches Beispiel.
Das gilt auch für die beiden Angriffe des Iran gegen Israel, zuletzt am 1. Oktober. Sie ließen Jugendliche und Revolutionsgarden jubeln: Aber Schaden wurde in Israel kaum angerichtet. Israel könnte folgerichtig nun bedenkenlos den lange erwogenen Angriff gegen die nuklearen Anlagen des Iran führen und versuchen, den Bau von Atombomben weiter behindern. Israel hat Bomben, welche sehr tief auf unterirdische Bunker einwirken können. Ganz unterschiedliche Weiterentwicklungen wären danach möglich, sie wären nicht voraussehbar, vor allem wegen emotionalen Einflussfaktoren.
Von Erbitterung veränderte Gefahren auch im Bereich von Atomwaffen
Im Juli 2024 berichtete der Außenminister der USA Blinken, der Iran sei in der Lage und dabei, in wenigen Wochen atomwaffenfähig angereichertes Uran herzustellen[16]. Dies kann durch den Westen erschwert, aber nicht verhindert werden – außer durch einen wiederum gefährlichen militärischen Einsatz. Die vorübergehende militärische Zurückhaltung des Iran kann womöglich dadurch erklärt werden, dass der Iran – eventuelles Vorbild Nordkorea – unbedingt, und bis zum Gelingen ungestört, selbst fähig zu Abschreckung durch Atomwaffen werden will.
Experten kennen die vielfältigen Risiken. Wird zum Beispiel durch Israel mit wuchtigen konventionellen Bomben aus tief in Bunkern „gesicherten“ Produktionsanlagen eine Menge Radioaktivität in die Atmosphäre geschleudert, so kann man nicht ausschließen, dass Radioaktivität in entsprechender Windrichtung sogar Flächen in über hundert Kilometern Entfernung, also auch etwas in Israel verstrahlt. Was gemäß Erfahrungen zu Tschernobyl und Berechnungen in etwa tausend km Entfernung – so auch in Israel – ankommen könnte, wäre vorbehaltlich Berechnungen zum Gebiet, sowie gemäß den Zivilschutzvorbereitungen im Gebiet von Israel weitgehend begrenzbar.
Sogar bereits jetzt ohne Atomwaffe, zum Beispiel mit „schmutzigen Bomben“, die zusammen mit üblichem Sprengstoff etwas Radioaktivität enthalten, kann der Iran, die Hisbollah – oder sonst wer, womöglich unerkannt – versuchen Israel in mehrere getrennte Gebiete zu zerschneiden. Das gegenwärtig militärisch unruhige Israel könnte das nicht ohne starken Gegenschlag hinnehmen. Auf jeden Fall wäre es unkalkulierbar gefährlich, auf Verdacht umliegende Länder anzugreifen. Das Dilemma wäre ein Höchstmaß an Eskalationsgefahr bei einem Minimum an Vertrauen und Diplomatie. Seit 1964 habe ich mich laufend intensiv mit der Struktur der Eskalationsdynamik befasst[17]. Die Risiken werden nach wie vor ähnlich bewertet, siehe einen aktuellen Überblick zu den extremen Eskalationsgefahren, von Annie Jacobsen[18].
Bei SIPRI[19] gibt es eine Fülle von Untersuchungen, zum risiko-reichen Einfluss von KI auf cyber warfare und somit auf Versuche militärtechnischer und –politischer Kontrolle, welche die Komplexität erhöhen, und damit potenziell die Anforderungen an Steuerung ebenso wie die Risiken von Störungen.
Global meine ich: Wer auch immer das Tabu bricht und als erster eine Atomwaffe kriegerisch einsetzt, ist ein Kandidat, als größter Verbrecher aller Zeiten in die Geschichte der Menschheit einzugehen. Mit dazu gehört, dass er selbst (oder sein(e)) Vorgänger auf seiner Machposition – ich erwarte hier keine Frau), die eigene Nation überhaupt erst an einen existenziellen Abgrund gebracht hat. Das kann zum Beispiel kurz gesagt darauf beruhen, dass mangels VBM die Erbitterung im Konflikt, evtl. auf beiden Seiten, „unmenschlich stark“ geworden sein wird. Dabei wird es für den „größten Verbrecher“ keine Entschuldigung geben, weder die Unterstellung ein Gott hätte irgendeine Eskalation gebilligt, noch ein Argument, man sei kriminell traumatisiert worden, noch irgend eine Art Ideologie. Jeder Mensch weltweit (!) sollte in diesem Punkt ein Experte sein: Der Tabubruch, durch den ersten Einsatz einer Atomwaffe die eine globale Eskalation auslösen kann, ist in jeder Hinsicht das maximale Verbrechen.
Wie gefährlich kann Atomrüstung in Nahost werden, vor dem Hintergrund von konventionellem, verlustreichem Schlagabtausch? Sollte dem Iran der Bau einer eigenen Atomwaffe gelingen, mitsamt Trägersystemen, so würde eine völlig neue Situation entstehen, die im Moment nicht akut ist und vorläufig kaum realistisch einschätzbar ist – es kann niemals, aber auch kurzfristig geschehen. Wobei: Leider könnte eine mögliche Eskalation mit Atomwaffen stark von der Erbitterung auf beiden Seiten abhängen. Präventivschläge gegen Produktionsstätten können einen beabsichtigten Bau allenfalls etwas hinausschieben – und sie könnten dabei die Erbitterung ins Unermessliche steigern.
Der Einfluss von Erbitterung gilt auch für Risiken konventioneller Eskalation. Momentan bisher: Die Leistungen der israelischen Geheimdienste bei der selektiven Tötung von „hochrangigen Verbrechern“ Anfang August bis Ende September im Libanon und Iran sind beeindruckend. Es schreckt ab, und es verstärkt leider zugleich die Erbitterung bei den Gegnern enorm. Auf jeden Fall ist gefährlich, wenn Yoav Gallant, der Verteidigungsminister von Israel erklärt, „seine Truppen würden den Libanon gegebenenfalls ‚zurück in die Steinzeit‘ bomben“[20]. So eine Provokation müsste sofort durch die Regierung von Israel zurückgenommen werden. Sonst ist und bleibt die Eskalationsgefahr für alle Staaten und militärisch aktiven Gruppen in Nahost auf einem Höhepunkt.
Nun ist das nichts Neues, nicht mal für Atomwaffen und deren Abschreckungslogik. Neu ist – und schwer einzuschätzen – eine gewisse Gewöhnung. Die Gefahren sind schon lange in ihren wesentlichen Merkmalen klar bekannt, so schrieb ein deutscher General[21]:
„Die Wirkung der Atomwaffen gegen Ziele, die im Allgemeinen von Zivilisten belebt sind, ist fürchterlich, gegen bestimmte militärische Ziele dagegen relativ gering. Deutlicher gesagt: Die grässliche Wirkung gegen Städte und ähnliche Ziele steht im umgekehrten Verhältnis zur Wirkung gegen gepanzerte Verbände, schwimmende Einheiten, unterirdische Befehls- und Raketenstände, mobile und weit verstreute Verbände.
Dadurch wird das Verhältnis zwischen dem Militär und seinen zivilen Schutzobjekten mit einer Radikalität verändert, die nicht zu überbieten ist. … Die Atomwaffen vernichten beim Angreifer wie beim Verteidiger weitgehend alles, was den Begriff Nation ausmacht: die menschliche, die kulturelle, die wirtschaftliche Substanz:“
Herausforderung und Reichweite von Vernunft
Rechenmodelle 1964–1971[22] zeigten sowohl das Ausmaß der Schäden, als auch die Eskalationsgefahren bei einem Atomkrieg in Deutschland. Der Mensch kann beides weder technisch, noch militärisch und schon gar nicht politisch kontrollieren.
Ich habe dann versucht, das Verhalten des Menschen einzubeziehen[23], insbesondere in einem Kapitel „Der Einfluss des menschlichen Faktors“. All dies habe ich auf den Nahen Osten angewandt, was derzeit für den Iran gilt, war damals strukturell ähnlich mit Erwägungen zu einer arabischen Androhung eines Ersteinsatzes von Kernwaffen (ebd. S. 75), wobei beachtet wurde: Israel ist in Bezug auf Bevölkerung und Fläche ganz anders , nämlich verletzlicher als die arabischen Staaten. Das gilt dann auch für Bedrohungen aus Erbitterung heraus. Überlegt wurde zum Beispiel, ob eine „Ausschaltung“, eine weitgehende Zerstörung in/von Israel, beim Angreifer „die Kosten eines israelischen Gegenschlages“ wert sein könnte. Kein vernünftiger Mensch würde solche Szenarien erwägen – aber es gibt eben verrückte Politiker. Es wurde die Gefahr genannt, dass Kernwaffen aus „umsichtigen“ Händen in eine Kontrolle jener gelangen könnten, welche darauf brennen würden, Israel total zu vernichten. August/September 2024 zeigte die Zurückhaltung des Iran nach der Tötung von Terroristen durch Israel, dass es, solange weitere Provokationen begrenzt bleiben, sogar bei enorm erbitterten Politikern eine irgendwie „durchaus kluge“ Zurückhaltung, ebenso eine „ausufernde Wahnvorstellung“ zu eigenen Fähigkeiten – oder beides zugleich – geben kann.
Zugleich gilt: solange VBM auf einem Tiefpunkt feststecken, fehlt auch jegliche Grundlage für eine Überwindung des 2024 besonders krassen Antisemitismus.
Global gibt es viele, diplomatisch eigentlich vermeidbare Rüstungswettläufe. So könnte China nach einem fairen Umgang mit Uiguren und Hongkong jetzt womöglich weitaus friedlicher, und enorm kostensparend mit Taiwan friedlich kooperieren. Gelänge es wirklich beiderseits zivilisiert, so könnte im Grunde Taiwan sich China sogar freiwillig als eine Provinz anschließen. Das klingt aktuell utopisch, wäre der momentanen Phase des Regimes ideologisch wesensfremd, aber nicht ethisch grundlegend unvorstellbar. Historisch gibt es starke, „vorher undenkbare“ Veränderungen. So eine Annäherung an Zivilisation war in chinesischen Legenden, durchaus mit ausgeprägtem Bewusstsein für liebenswerte Menschenrechte, schon seit Jahrtausenden erahn-bar plausibel. Sie ist politisch machbar und wünschenswert. Sie könnte, und sollte eigentlich, zu einem geschickten, zielführenden Umgang mit der Zukunft des Planeten beitragen.
Jegliche Einschätzung von China ist – zumindest aus demokratischen Gewohnheiten heraus – schwierig und kontrovers. Trotzdem, nicht „nur“ eigennützig, sondern breit gemeinnützig, in diesem Sinne von IALANA als hoch verantwortungsbewusst eingestuft, ist eine aktuelle Initiative:
„Nunmehr hat der chinesische Vertreter auf dem 2. Vorbereitungstreffen zur 11. Überprüfungskonferenz zum NPT im Juli 2024 vorgeschlagen, alle fünf offiziellen Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sollten vertraglich auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten. …“[24].
Mit einem – jetzt oder dereinst – hoch zivilisierten China sind globale Verbesserungen von Lebensqualität politisch vorstellbar und wünschenswert. Entsprechende Initiativen jedes – im Sinne von Immanuel Kant mit Vernunft ausgezeichneten – Staates können, und sollen zu einem geschickten, diplomatisch zielführenden Umgang mit der Zukunft des Planeten beitragen.
Anmerkungen
[1] Hannah Arendt: „Über Palästina“, Piper, 2024, S. 31/32
[2] https://www.ialana.de/aktuell/ialana-deutschland-zur-aktuellen-diskussion/ialana-zu-konflikten-und-loesungen
[3] Warlam Schalamov: „Durch den Schnee – Erzählungen aus Kolyma 1“, S. 289, Matthes & Seitz, Berlin, (2010), S. 289
[4] iz3w / informationszentrum 3. Welt: „Noch reparabel? – Die Vielfachkrise“ (Heft April 2024); und: „Die dunkelste Stunde – Genozide“ (Heft Juli/Aug. 2024
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Jassir_Arafat
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Three_Ds_of_antisemitism
[7] Philipp Sonntag: „Aspekte einer Anwendung von statistischen Rechenverfahren auf Rüstungsausgaben, S. 147. In: Rüstung und Ökonomie (Hrsg. Ph. Sonntag), Haag und Herchen, Frankfurt, (1982)
[8] Michael Walzer: Pager bombs don’t belong in a just war”. In New York Times International, 23. Sept. 2024, S. 1 und 13
[9] WZB (Wissenschaftszentrum Berlin), Mitteilungen – Quartalsheft für Sozialforschung, Heft 185, September 2024, Thema: „Leistung / Anstrengung, Erfolg, Gerechtigkeit“, 59 S.
[10] Warlam Schalamov „Durch den Schnee – Erzählungen aus Kolyma I“, Verlag Matthes & Seitz, Berlin (2013, geschrieben etwa 1960); S. 289-293
[11] Wolfgang Benz: „Unis und Antisemitismus“, Tagesspiegel vom 26. 2. 2024 ,S. B20
[12] Josef Schuster: „Deutschland ist unsicherer geworden, ohne Zweifel“, Tagesspiegel vom 17. Sept. 2024, S. 16/17
[13] D2030 – Deutschland neu denken e.V.: D2045_Neue-Horizonte-Studienreport.pdf auf
https://www.d2030.de/wp-content/uploads/2024/09/D2045_Neue-Horizonte-Studienreport.pdf
[14] David French: „The losses are adding up for Iran“, NYTI, 30. Sept. 2024, S. 1 und 13
[15] Thomas Seibert: „Neuordnung des Nahen Ostens? Israel will jetzt Fakten schaffen“; in: Tagesspiegel 1. Oktober 2024, S. 7
[16] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/blinken-iran-atomprogramm-waffen-100.html (20. 7. 2024)
[17] https://www.philipp-sonntag.de/bibliografie.html
[18] Annie Jacobsen: „72 minuten bis zur vernichtung“, Heyne (2024), .
[19] Im SIPRI Yearbook 2024“ und weiter bei www.sipri.org
[20] Tagesspiegel vom 4. Juli 2024, S. 11
[21] Schmückle, Gerd: „Die Wandlung der Apokalypse“, in Christ und Welt, 26. 1. 1962
[22] Carl-Friedrich von Weizsäcker (Hrsg.): „Kriegsfolgen und Kriegs-verhütung. Hanser München, 1971
[23] Philipp Sonntag: „Verhinderung und Linderung Atomarer Katastrophen.“, Osang Verlag, Bonn, Mai 1981, insb. S. 100 ff.
[24] https://ialana.de/aktuell/ialana-deutschland-zur-aktuellen-diskussion/ialana-zu-abc-waffen/2894-chinas-initiative-zum-voelkervertraglichen-verzicht-auf-den-ersteinsatz-von-atomwaffen-aufgreifen
Bildquelle: Share The World’s Resources