Die G-7-Außenminister tagten in Lübeck, der Stadt, in der nicht nur Willy Brandt geboren wurde, sondern in der der Literaturnobelpreisträger Günther Grass gelebt und gearbeitet hat. Die hohen Politiker haben gewiss wegen des überraschenden Todes des weltberühmten und hochgeachteten Deutschen seiner gedacht, sein Wirken gewürdigt und sich wie viele andere in der Welt vor ihm verneigt. Politisch haben sie u.a. beschlossen, den harten Kurs gegenüber Russland wegen der Annexion der Krim nicht aufzuweichen und die einstige Weltmacht weiterhin nicht an diesem Gipfel der Edlen teilnehmen zu lassen. Hätte Grass noch gelebt, er hätte laut protestiert.
Ob der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der Günther Grass sehr gut gekannt hat, bei den Gesprächen mit seinen Amtskollegen über das Verhältnis der G-7 zu Russland an Grass gedacht hat? Der SPD-Politiker wird sicher das letzte Interview gelesen haben, das der Schriftsteller, der sich politisch immer wieder zu Wort gemeldet hatte, der spanischen Zeitung El Pais gegeben hat und zwar am 21. März in Lübeck, wenige Wochen vor seinem Tod.
El Pais hat das Gespräch mit Grass gerade veröffentlicht und der Inhalt der Aussagen des wortgewaltigen und nicht immer einfachen Literaten wird den G-7-Außenministern nicht geschmeckt haben, wenn sie denn Kenntnis davon hatten. Grass warnte in dem Interview, wie die „Süddeutsche Zeitung“ auf ihrer Feuilleton-Seite berichtet, vor einem „dritten großen Krieg“ und belegte seine Sorgen um den Frieden in der Welt mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, im Irak, in Syrien und mit dem ewig währenden Konflikt zwischen Israel und Palästina.
Dann kritisierte der Schriftsteller die EU wegen ihrer Haltung zur Ukraine und zu Russland hart. Nach dem Ende der Sowjetunion habe es „keine ernsthaften Versuche“ gegeben, Russland in die Gründung einer neuen Sicherheitsbilanz miteinzubeziehen. Wörtlich sagte Grass: „Der Ukraine wird ein Beitritt in die EU und danach in die Nato versprochen, da ist es nur logisch, dass ein Land wie Russland nervös reagiert.“
Grass steht mit seiner Meinung nicht allein, der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat vor Monaten eine ähnliche Auffassung vertreten. Auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat hier seine Kritik an der EU angesetzt, wie auch Kohls Amtsnachfolger Gerhard Schröder, oder der einstige außenpolitische Berater Kohls, Horst Teltschik, oder der frühere deutsche Botschafter Elbe wie viele andere auch. Und sie alle haben darauf hingewiesen, dass der Westen Moskau das Wort gegeben habe, die Nato werde keinen Fußbreit Boden des damaligen Warschauer Paktes betreten. Doch dann kam alles anders, mit einem Beitritt der Ukraine zur Nato würde die westliche Allianz ihren Einflussbereich weit nach Osten ausdehnen und eine gemeinsame Grenze mit Russland haben. Dass Moskau eine solche Politik, geleitet vom hegemonialen Streben der Amerikaner, missfällt, kann niemanden überraschen.
Die Enttäuschung über diese Entwicklung musste der damalige sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow erleben, er hat sie auch der Welt zu verstehen gegeben. Aber Kritiker des Kurses der EU und der harten Haltung gegenüber Russland, was nicht nur den Ausschluss von Gipfeln bedeutet, sondern auch Sanktionen zur Folge hatten und haben, werden als Putin-Versteher abgetan, was neudeutsch ein Schimpfwort ist. Die „Süddeutsche Zeitung“, die das Interview von El Pais mit Grass in Auszügen und inhaltlich wiedergegeben hat, kommentiert, dass die harschen Worte von Grass ihm zu Lebzeiten wohl harsche Kritik eingebracht hätte. Sicher hätte der Berliner Mainstream die Meinung von Grass verrissen und ihn in die Reihe der Putin-Versteher abgeschoben. Aber das hätte Grass nicht gestört. Er war gern unbequem.
Es passt ins Bild, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht zum G-7-Gipfel im Sommer in Bayern geladen ist.
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