Viele Beobachter nannten das Wahlergebnis von Thüringen 2024 ein historisches Ereignis. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik hat eine als gesichert rechtsextreme eingeschätzte Partei das stärkste Ergebnis errungen. Ein Drittel der Wähler haben Höcke und seinen Getreuen die Stimme gegeben. Und Björn Höcke, der heimliche Chef der blau/brauen Truppen, leitet daraus sofort einen Auftrag ab: die Thüringer wollen, dass die AfD regiert.
Dass er mit dieser Aussage ignoriert, dass sich keine der anderen Parteien, auch nicht die sich ebenfalls auf populistischen Pfaden bewegende Wagenknecht Jünger, mit der AfD einlassen wird, ficht ihn nicht an. Er behauptet es einfach und was bei allen Beobachtern Stirnrunzeln auslöst, hat die gewünschte Wirkung in AfD-Kreisen. Denn in den „alternativen Medien“ der rechten Partei wird schon vom „Wahlbetrug“ und ähnlichen gesprochen, die Empörungsstrategie wird weiter verfolgt. Es geht darum, immer mehr Menschen vom parlamentarischen System zu entfernen. Darum auch der permanente Sprachgebrauch von „Altparteien“ oder „Systemparteien“. Die dauerhafte Behauptung alle anderen Parteien und PolitikerInnen seien korrupt, pädophil, kriminell, unfähig usw. usf. finden in den einschlägigen Seiten der sozialen Medien einen umfangreichen Widerhall.
So ist auch der gestrige Tag im Thüringer Landtag zu erklären. Die AfD stellt den sogenannten Alterspräsidenten, das heißt, den ältesten Abgeordneten im Haus, der eigentlich keine andere Funktion hat als die Einleitung der Legislaturperiode zu begleiten. Er ist zur Neutralität verpflichtet.
Doch das Kalkül der AfD war ein Anderes. Jürgen Treutler hielt eine Rede, in der er einen angeblich „bedeutenden deutschen Denker“ zitiert, den Pädagogen Eduard Spranger. Einem Mann, der 1933 in den Kampfbund Stahlhelm eintrat und dazu beitrug, dass 1938 Juden aus der Goethe Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Damit nicht genug. Er versuchte auch die exklusiv von der AfD vertretene Interpretation der Geschäftsordnung als allgemeingültig darzustellen. Eklatant auffällig war, dass sich Treutler immer wieder mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD, Torben Braga kurzschloss, um in den Diskussionen zu bestehen. Er verstieg sich auch darin, Ordnungsrufe zu verteilen, obwohl ihm dieses Recht nicht zusteht, er hat keine Ordnungsrechte.
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Letztlich wird auch der AfD klar sein, dass die ganzen Manöver nicht zum Erfolg führen, die anderen gewählten Abgeordneten werden keine rechtskräftig wegen Betrug verurteilte Juristin zur Präsidentin machen, hoffentlich nicht mal zur Vizepräsidentin. Es geht also wieder darum, die Regeln der parlamentarischen Demokratie vorzuführen. Es geht darum, behaupten zu können, dass die anderen undemokratisch seien, mit allen Tricks verhindern wollen, dass die „demokratisch gewählte“ AfD zu ihren angeblich legitimen Rechten kommt. Es geht um Legendenbildung, die bei zukünftigen Wahlkämpfen eingesetzt werden, um dem Wählerklientel vor zu machen, sie, die wahre Opposition, werde unterdrückt und damit auch ihre Anhänger. Womöglich geht es sogar um der Aufrechterhaltung der Negativemotionalisierung, um eine Drohkulisse von Bürgerkriegsähnlichen Zuständen suggerieren zu können, wenn das überfällige Verbot der Thüringer AfD kommt.
Die ganzen Vorkommnisse in Erfurt kann man aber nicht kommentieren, ohne die Rolle der CDU zu bewerten. Denn gestern wurde deutlich, dass vor einem Jahr die Initiatoren des Verfassungsblog neun Vorschläge in Erfurt gemacht haben, die demokratischen Institutionen zu stärken, um sie besser vor Angriffen der Rechtsaußen zu schützen. Die Grünen haben sogar einen Antrag im Landtag eingereicht, die Geschäftsordnung zu ändern, um exakt das gestrige Manöver zu verhindern. Die CDU hat nichts davon berücksichtigt, dem Antrag nicht zugestimmt. Wird Zeit, dass in der Union endlich ankommt, dass die AfD keine abtrünnigen Unionisten sind, sondern Feinde der Demokratie.
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