Ein Wahlabend, der so befürchtet worden war, der einem Angst macht, „weil eine im Kern faschistische Partei die Mehrheit im Thüringer Wahlkampf erringt.“ So hat es der scheidende Linken-Chef Martin Schirdewan gesagt, eine Aussage, die man auf Sachsen erweitern kann. Dort haben jüdische Verbände die AfD „als eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie“ in Deutschland bezeichnet. Wobei ich verstehen kann, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer wenige Zeit nach Schließen der Wahllokale ob des Wahlergebnisses seiner CDU jubelte. „Wir haben allen Grund zum Feiern“. Ja, der Kölner hat Recht: Et hätt noch immer jot jejange. Auch im Freistaat Sachsen, wo die CDU fast gleichauf mit der rechtsextremen AfD liegt. Gerade noch. Aber wir sollten uns die miserablen Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen nicht schönreden. Das waren noch Zeiten, als Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel in Sachsen und Thüringen absolute Mehrheiten errungen haben.
Heute sind wir schon froh, dass einer wie Björn Höcke nicht Ministerpräsident von Thüringen wird. Mir reicht das nicht an einem Tag wie diesem, an dem vor 85 Jahren Nazi-Deutschland Polen überfiel und damit den 2. Weltkrieg auslöste mit 60 Millionen Toten. Die CDU kann wohl Regierungschefs in zwei Ländern im Osten stellen, wenn alles passt. Unbehagen bleibt ob des Frustes der Menschen, ob der vielen Stimmen für die Rechtsextremen. Ja, die Unions-Fraktion bejubelte gerade in der alten politischen Wirkungsstätte der Republik, in Bonn, den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Dass das eine Erfolgsgeschichte war, ist unbestritten. Und dass Friedrich Merz die CDU aus ihrem Tief geholt und sie stabil auf 30 Prozent gebracht hat, spricht für ihn. Aber sein Ziel, die AfD zu halbieren, hat er nicht erreicht. Wenn er ehrlich ist, können ihn die Wahlergebnisse nicht beruhigen.
Viele Warnungen nicht beachtet
Wer hatte sich alles gegen die AfD engagiert!? Unternehmer, Bischöfe, Sportler, jüdische Verbände, zuletzt beschwor Wolfgang Thierse, einer der ihren, gemeint der Ossies, die Wählerinnen und Wähler im Osten, sie mögen nicht hereinfallen auf die Parolen der Populisten. Doch der ehemalige Bundestagspräsident erreichte die Seinen wohl auch nicht. Rund 30 Prozent für die AfD in Sachsen, rund 30 Prozent für die AfD in Thüringen. Vor Monaten gab es Massen-Demonstrationen in ganz Deutschland. Überall wurde für die bunte Republik geworben. Nie wieder! ist jetzt lautete die Parole gegen die Nazis und die Rechtsextremisten, für die Menschenwürde ging man auf die Straße und gegen Hass und Hetze. Und? Sie wählten die AfD dennoch oder deswegen. Um den Wessies zu zeigen, wer ne Harke ist? Uns zu demonstrieren, dass sie sich nichts vorschreiben lassen würden? Aus Frust? Aus Wut? Weil sie sich abgehängt fühlen, benachteiligt? Weil in ihrem Dorf kein Bus mehr fährt, es keine Apotheke mehr gibt, keinen Lebensmittel-Laden? Weil sie Angst haben vor dem Abstieg? Ja, glauben die denn im Osten, mit der AfD würde das Geld vom Himmel fallen? Wirtschafts-Experten warnen vor der AfD, weil sie eine Gefahr für die Wirtschaft sehen, befürchten, dass international aufgestellte Unternehmen Sachsen und Thüringen verlassen oder nicht kommen.
Die AfD macht seit Jahr und Tag Politik nur mit Hass und Hetze vor allem gegen Ausländer, gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Um diese zu „remigrieren“, wurden gar Pläne erörtert, um sie loszuwerden. Man stelle sich das vor, alle Deutschen mit Migrationshintergrund müssten im Falle eines AfD-Regimes das Land verlassen, würden umgesiedelt. Die Bundesrepublik stünde still, nichts mehr würde funktionieren. Auch das haben die Medien, haben wir alle beschrieben und erörtert. Und? 30 Prozent Stimmen für die AfD. Am Wahlabend wiesen AfD-Politiker exakt daraufhin, dass sie trotz des breiten medialen Protestes so viele Stimmen gewonnen hätten. Da hatte ich den Eindruck, sie lachten über entsprechende Fragen der Fernseh-Journalisten. Es macht den Wählerinnen und Wählern nichts aus, wenn der Führer ihrer Partei, der AfD, Björn Höcke ein Mann ist, der laut Gericht Faschist genannt werden darf. Sie geben der AfD die Stimme, einer Partei, die NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst „eine Nazi-Partei“ nennt. Die AfD in Thüringen und Sachsen ist vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft worden. Und? Man hat sie dennoch gewählt oder deswegen?
Die Regierungsbildung wird nicht einfach, niemand geht mit der AfD, mit Recht. Aber die CDU wird sicher auch Gespräche mit Sahra Wagenknechts BSW suchen. Einfach wird das nicht. Krieg oder Frieden hatte das BSW plakatiert, als könnte eine Landesregierung den Krieg Russlands gegen die Ukraine beenden und Verhandlungen über Waffenstillstand und Frieden führen. Aber so war der Wahlkampf, so hat ihn Wagenknecht geführt und Bedingungen gestellt. Sie ist nah bei Putin, will Waffenlieferungen an die Ukraine sofort stoppen. Auch dies kein Landesthema. Mehrheiten müssen gesucht werden, alle Stimmen, die ich im Fernsehen hörte dazu, betonten, die AfD sei keine demokratische Partei. Sie wird wohl nicht in eine Regierung gelangen, auch wenn das ihr Parteivorsitzender Chrupalla betonte, fast forderte und für die AfD Regierungsanspruch anmeldete.
Empörung über die Wahlergebnisse reicht nicht, habe ich vor Tagen gelesen, als sich einer der Analysten der bevorstehenden Wahlen auf einen flammenden Aufruf des Franzosen Stephane Hessel berief: „Empört Euch!“ Der damals 90jährige hatte aber der Empörung zugefügt, dass man sich einmischen müsse, mitmachen, man darf nicht einfach nur in der Tribüne bequem sitzen und im Falle eines Foulspiels pfeifen. Demokraten müssen aktiv sein, die deutschen Demokratinnen und Demokraten müssen aktiver werden. Unsere Demokratie wird angegriffen von Feinden, nicht von außen, sie sitzen im Lande, vielleicht neben oder vor oder hinter uns. Sie wollen die Demokratie zerstören. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat immer wieder an die Bürgerinnen und Bürger appelliert, sie gemahnt, dass sie sich einmischen müssten, notfalls die Demokratie verteidigen. Gegen die Feinde. Die Lethargie der meisten Menschen im Lande konnte der Präsident damit nicht brechen. Stephane Hessel könnte ein Vorbild sein für der Aufstand der Anständigen. Er wurde als Stefan Friedrich Kasper Hessel in Berlin geboren. 1917 war das, mitten im Ersten Weltkrieg. Er war Teil des französischen Widerstands unter General de Gaulle und Mitglied der Résistance. Er überlebte das KZ Buchenwald. Dem Pamphlet „Empört Euch“ ließ der engagierte Kämpfer für Menschenrechte und gegen den Neoliberalismus und alle Widrigkeiten des Kapitalismus ein weiteres Bändchen folgen mit dem Titel: „Engagiert Euch!“ Und mit 93 Jahren plädierte dieser einzigartige Mann für den handfesten Einsatz zum Schutz der Umwelt. Wäre das nicht was zum Nachmachen?
Aus dem Stand in die Regierung
Wir haben einen Wahlkampf erlebt, in dem vor allem Themen eine Rolle spielten, für die die Landespolitik der falsche Ansprechpartner ist. Auffallend auch, dass Sahra Wagenknecht, die Gründerin des BSW, selbst nicht kandidierte für Erfurt und Dresden, aber im Mittelpunkt des BSW-Wahlkampfes stand und landesweit plakatiert wurde. Das BSW hat kaum Mitglieder und rückte aus dem Stand quasi in Mannschaftsstärke in die Landesparlamente ein. Und vielleicht in eine Regierung . Das BSW, auch das sei gesagt, wollte den weiteren Aufstieg der AfD verhindern. So hat es deren Spitzenkandidatin Katja Wolf gesagt am Wahlabend. Und das hat man erreicht.
Eines der Wahlkampf-Themen war die Migration. Das Konzept von Höckes AfD bestand im wesentlichen aus dem Wort „abschieben“. Dazu forderte er seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder auf. Abschieben. Dass das nicht so einfach geht, ist jedem klar. Von AfD-Vertretern war am Abend zu hören, dass man an Koalitionen interessiert sei, auf Gesprächsangebote warte, mit oder ohne Höcke, das scheint nicht sicher.
Die Ampel-Parteien wurden abgestraft, wie erwartet scheiterte die FDP an der Fünf-vh-Hürde, die Grünen blieben nicht ungeschoren. Und ja, die SPD hat es gerade so geschafft. Aber einen Sieg kann man das nicht nennen. Und der Kanzler Olaf Scholz? Er wird mehr und mehr zum Problem seiner eigenen Partei, deren Funktionäre mehr trotzig als überzeugt behaupten, die SPD zöge mit Scholz als Kanzlerkandidaten in den nächsten Bundestagswahlkampf. Er muss erstmal erreichen, dass er bis dahin im Amt bleibt. Unterstützung hat er dafür in beiden Wahlkämpfen nicht bekommen. Vielmehr rief ihm der Parteifreund aus Brandenburg, Dietmar Woidke, zu, Scholz möge lieber in Berlin bleiben. Dabei ist Scholz als Wahl-Potsdamer wahlberechtigt in Brandenburg, wo Woidke in wenigen Wochen sein Amt als Ministerpräsident verteidigen will. Leicht wird das nicht. Auch da liegt die AfD vorn. Und dann gibt es ja noch das BSW. Ausschließen würde ich da gar nichts.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht- oder Herr Söder?
Am Ende ein Wort zu Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef ist gefragt überall im Lande, seine Wortgewaltigkeit berühmt-berüchtigt, sein Amtsvorgänger Horst Seehofer hat ihm mal Schmutzeleien vorgeworfen. Jetzt hat er ein Grundrecht zur Disposition gestellt. Oder, Herr Söder, wie soll man verstehen, dass Sie mal kurz den Artikel 16 a Grundgesetz als nicht mehr zeitgemäß betrachteten. Er heißt und ist eine Folge der deutschen Geschichte und der Abweisung von Tausenden Asylbewerbern an den Grenzen zur Schweiz: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Söder könnte Kanzlerkandidat der Union werden, dann Kanzler. Wehe den politisch Verfolgten!
Der Unternehmer Harald Christ hat vor der Wahl seine Befürchtung geäußert, Deutschland werde in einer anderen Republik wach werden. So groß sind Sachsen und Thüringen nicht, so groß ist der Einfluss der AfD und der von Höcke nicht, wir sind die Mehrheit. Noch. Nur müssten wir das auch mal zeigen, wir müssten zur Besinnung kommen und den Nazis die rote Karte zeigen. Die AfD ist keine demokratische Partei. Reicht das nicht als Warnung. Den 1. September 1939 und all die Folgen kann doch niemand vergessen. Niemals. Auch 85 Jahre später nicht.