Die Vision einer 4-Tage-Woche hat die Frage der Arbeitszeitverkürzung mal wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Ob nun als Stundenverlagerung auf nurmehr vier Wochentage oder gar als Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, Ziel ist mehr Freizeit und mehr Einkommen. Mich wundert nur, dass die häufigen Klagen wegen übermäßiger Arbeitsbelastung so gänzlich verstummen, sobald von der 4-Tage-Woche gesprochen wird. Wahrscheinlich wird die weitere Arbeitsverdichtung erst später wieder als unzumutbar angeprangert. Vielleicht wird man dann aus zugleich demographischen Gründen endlich ein höheres Renteneintrittsalter akzeptieren, um wöchentlich wieder mehr Freizeit zu gewinnen.
Wer sich aber mit der Zukunft der Menschheit beschäftigt, wird solche Fragen der Arbeitsorganisation für ziemlich nachrangig halten, denn dabei geht es um die Rolle echter Arbeitszeitverkürzung, um aus der Wachstumslogik der Umweltzerstörung auszubrechen. Arbeitszeitverkürzung ist dabei der Königsweg zur Produktions- und Konsumverringerung in reichen Gesellschaften wie in Deutschland. Es ist der einzig logische Weg, einer auf 10 Milliarden anwachsenden Bevölkerung den Absturz in ein Katastrophenchaos zu ersparen, bestehend aus Übernutzung von Natur und Rohstoffen, Hunger- und Hitzekrisen sowie Wassermangel, letztlich also Gewaltexzessen, weil es um das nackte Überleben von Milliarden Menschen geht, die sich bei Nachbarn holen werden, was sie brauchen.
Zurzeit nimmt die Menschheit noch jedes Jahr um mehr als ein Deutschland, d.h. 80 Mio. Menschen zu. Dass es völlig unvorstellbar ist, dass 9 oder 10 Milliarden auch nur auf dem heutigen Niveau Osteuropas leben werden, dürfte allgemein bekannt und anerkannt sein (vgl. z.B. die beiden Bücherzitate am Ende dieses Textes). Dass es gleichzeitig aber schon Tatsache ist, dass auch arme Völker und nicht-staatliche Kampfgruppen die notwendigen Waffen sowie die Fähigkeit zum Cyberkrieg gegen die immer verletzlicheren, weil durchdigitalisierten Staaten des Nordens haben, beginnt manchen zu dämmern.
Wenn nun in einem Land wie Deutschland gar gefordert wird, die Arbeitszeit weiter zu verkürzen und dabei Verdienst und Konsum weiter zu erhöhen, wird es doppelt absurd: einerseits fordert man also eine weitere Verdichtung der Arbeitsprozesse mit all den bei anderen Gelegenheiten beklagten gesundheitlichen Schäden und andererseits möchte man in der vermehrten Freizeit ohne Rücksicht auf den bekannten Zustand des Planeten noch mehr konsumieren, insbesondere auch noch mehr reisen, um die letzten noch unberührten Plätze zu berühren, also zu erleben, bevor sie der Massentourismus auf „Malle“-Niveau angleicht; denn auch der kulturbeflissene Individualtourist weicht dem Massentourismus nur aus und erschließt ihm damit neue Märkte.
Während ich dies schreibe, ist mir als Sozialdemokrat und Anhänger demokratischer Gewerkschaften völlig klar, wie unrealistisch ein solches Plädoyer für mehr konsumarme Freizeit ist, einer Freizeit, die wir kontemplativ oder mit Menschen verbringen könnten, mit Kommunizieren, Spielen, mit Wandern, Musik, Kultur und Sport ohne großen Ressourcenverbrauch. Nur weltfremde Ideologen können doch wohl solchen Unsinn predigen!
Das muss ich mir vorwerfen lassen von all den Realisten, die wissen, wie der Mensch wirklich tickt. Und denen ich recht gebe in ihrer Einschätzung, dass mein Plädoyer für eine ökologisch begründete Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ins Märchenbuch und nicht in einen seriösen Blog gehört.
OK! Ich kapituliere vor der Wirklichkeit, beharre aber darauf, dass der von der Menschheit – unterschiedslos in Demokratien und Diktaturen – bevorzugte realistische Weg ins Katastrophenchaos führen wird, wenn auch erfreulicherweise erst nach meinem Ende.
Und ich empfehle zwei Bücher, die hervorragend erläutern, was an Daten und Fakten in diesem Essay fehlt, aber seinen Inhalt stützt :
- „Prosperity without Growth“, Tim Jackson, 2009 (zum Download als PDF in deutsch oder als Printausgabe ISBN 978-3-86581-245-2)
- „Ten Billion“, Stephen Emmot, 2013 (deutsch 978-3-518-42385-1)