Frau Wielga-Skolimowska, Sie leiten die Kulturstiftung des Bundes im zweiten Jahr. Konnten Sie im Programm schon eigene Akzente deutlich machen?
Das Schöne an der Stiftung ist, dass unsere Programme sehr lange laufen. Meine Handschrift wird also erst in den Programmen erkennbar, die wir planen, aber die noch nicht angelaufen sind. Allerdings bin ich nicht angetreten mit einem revolutionären Veränderungsanspruch, ich möchte die Programme der Stiftung auf der Basis weiterentwickeln, die meine Vorgängerin in ihrer langen Amtszeit geschaffen hat. Die Projekte, die wir aufsetzen, sollen Zukunft mitdenken.
Dann lassen Sie uns einmal in die Zukunft blicken. Wie werden sich die Programme der Stiftung entwickeln – und wohin?
Wir wollen Kultur an der Schnittstelle zu den wichtigsten Zukunftsthemen entwickeln, und zwar nicht nur in Metropolen, sondern auch in kleineren Städten und im ländlichen Raum. Solche Themen sind für mich Internationalität, Partizipation, aber auch Kunst als Kunst, für sich.
Welche Projekte stehen für Sie beispielhaft für Kultur in kleineren Städten?
Da fällt mir unser Projekt „Tanzland“ in Eisenhüttenstadt ein, bei dem die inklusive Compagnie tanzbar_bremen auf lokaler Ebene mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Ebenso sind die „Thüringer Bachwochen“ im Rahmen unseres Programms „Tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik“ in diesem Jahr im ganzen Bundesland unterwegs. Das sind 20 Konzerte mit großen Musikerinnen und Musikern an unterschiedlichen Orten auch in ländlichen Gebieten, etwa einer Synagoge, einer Kirche und in einem ukrainischen Restaurant. Das ist, nebenbei gesagt, auch ein Angebot an Menschen, die nicht so mobil sind und in größere Städte fahren können. Es geht darum, die thüringische Gesellschaft in der ganzen Breite zu erreichen.
Wie werden Ihre Programme vor Ort aufgenommen? Das Lausitz-Festival, das mit Bundesmitteln veranstaltet wird, wurde dafür kritisiert, dass da Kultur von außen kommt…
Es gehört zur Arbeitsweise der Stiftung, dass wir auf die Akteure vor Ort hören, sie haben spezielles Wissen von den Bedürfnissen der Menschen dort. Wir kommen also nicht aus unserer Zentrale in Halle und sagen den Partnern in den kleineren Städten, was sie unter Kultur zu verstehen haben. Es ist wichtig, die Programme gemeinsam im Gespräch zu entwickeln, um in den Orten langfristig und gut arbeiten zu können. Sonst wären auch die Rückmeldungen, die wir auf unsere Projekte bekommen, nicht so positiv.
Der Bund muss sparen. Wird der Rotstift des Finanzministers auch Ihren Etat für 2025 treffen?
Der Bundeshaushalt 2025 wird erst noch beschlossen. Allerdings beobachten wir überall Kürzungen, nicht bloß beim Bund, sondern auch in den Kommunen und Ländern. Insgesamt stehen die Kulturinstitutionen gegenwärtig unter enormem Druck, aufgrund der vielen Krisen der Zeit: Corona, Migration, Krieg. In diesem Kontext ist es unsere Stärke als Stiftung, den Theatern, Museen und Orchestern zu ermöglichen, sich mit Ideen zu beschäftigen, wie unsere Gesellschaft in zehn Jahren aussieht.
Klimawandel, KI und Diversität sind die Megathemen der Zukunft. Wie beeinflussen diese die Kultur schon jetzt?
Unsere Ideen kommen vor allem aus den Beobachtungen der Kulturszene. Es gibt derzeit ein Programm zur Klimaanpassung, da stellen sich für Kultureinrichtungen ganz praktische Fragen: Was bedeutet eine Erwärmung um zwei Grad für die Öffnungs- und Arbeitszeiten der Museen oder Bibliotheken, sollten Theatervorstellungen nicht demnächst um 22 Uhr beginnen als um 19 Uhr? Macht man eine Fotoausstellung lieber im Winter, weil man da nicht so viel kühlen muss? Da steht jede Institution vor Herausforderungen.
Nach den jüngsten Wahlen war die Landkarte der Bundesrepublik zweigeteilt – der Westen schwarz, der Osten blau. Was bedeutet das für die Kultur? Muss die Stiftung auf diese politische Ungleichheit mit unterschiedlichen Programmen für die jeweiligen Regionen antworten?
Wenn wir uns davon verabschieden, eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu führen, sind wir schon verloren. Man muss in jedem Fall schauen, was sind besonderen Umstände an den jeweiligen Orten. Die Stiftung arbeitet ja wie gesagt so, dass die Projekte und Programme immer von den Theatern oder Bibliotheken selbst entwickelt werden, damit sie auf die lokalen Besonderheiten zugeschnitten sind. Wir versuchen dann, daraus modellhafte Handlungsempfehlungen abzuleiten, die auch anderswo funktionieren.
Der Soziologe Steffen Mau hat in einem neuen Buch gesagt, dass man zur Kenntnis nehmen müsse, dass dieses Land politisch und soziokulturell geteilt ist und dürfe nicht zwanghaft integrieren, sondern müsse sich an den Differenzen ausrichten. Widersprechen Sie dem?
Überhaupt nicht. Natürlich gibt es Unterschiede. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Herausforderungen in Nordsachsen so anders sind als in Nordhessen. Ja, die Wahlergebnisse waren eine klare Ansage. Und man muss sich auch anschauen, wie andere Länder damit umgegangen sind.
Was lernen wir in Deutschland denn aus den Erfahrungen anderer Länder, etwa der Polen, im Umgang mit Anfechtungen der Demokratie?
Wichtig ist zu verstehen, wie das in Polen funktioniert hat, und ich blicke dabei vor allem auf die Kultur. Die Kultureinrichtungen in Polen konnten sich dem Zugriff der PIS-Regierung entziehen, weil die Städte mehr Verantwortung für die Institutionen vor Ort übernommen und dadurch den Einfluss der nationalen Regierung reduziert haben. Die Kultureinrichtungen haben sich besser vernetzt, ausgetauscht und gegenseitig unterstützt. Und auf politischer Ebene haben sich alle demokratischen Parteien zusammengeschlossen, die christlich-demokratischen, liberalen und linken Gruppierungen. So konnten die antidemokratischen Entwicklungen zumindest für eine Zeit gebremst werden.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit – welche Projekte haben Sie im Hinblick auf Osteuropa geplant?
Wir werden im Herbst die Pochen Biennale in Chemnitz eröffnen, mit Partnern unter anderem Kiew, Lviv oder Polen, das finde ich eine wichtige Initiative, um am Verständnis von Osteuropa in Deutschland zu arbeiten. Ich glaube, wir haben in Deutschland erst relativ spät Osteuropa entdeckt. In Folge der Invasion in die Ukraine ist das Wissen zwar an Universitäten, in Think Tanks und Kulturinstitutionen stärker geworden, dadurch, dass man viele ukrainische Gäste eingeladen hat. Aber die Themen, die jetzt hier verhandelt werden, sind in Osteuropa schon seit zehn Jahren bekannt. Nur wir in Deutschland sind erst ziemlich spät darauf gekommen.
Stichwort Chemnitz: Sie haben zur Kulturhauptstadt 2025 ein Projekt für junge Kultur aufgelegt. Über welche Kultur reden wir eigentlich, wenn wir junge Menschen erreichen wollen?
Wir werden in Chemnitz und im Umland mit einem Bus unterwegs sein, der als mobiles Labor funktioniert, um zu sehen, was sind die Themen, die die jungen Menschen interessieren und was können wir von ihnen lernen. Natürlich sind wir eher mit einem breiten Kulturbegriff unterwegs, mit Kulturagenten an Schulen und partizipativen Projekten. Wobei ich es auch immer wichtig finde zu fragen: Was bedeutet das ästhetisch?
Kulturinstitutionen in Deutschland waren zuletzt heftigen Diskussionen und Interventionen im Zuge des Gaza-Kriegs ausgesetzt und klagen, wie belastet die internationale Zusammenarbeit inzwischen sei. Erfahren Sie das auch?
Wir fördern ja die Kultureinrichtungen und agieren nicht direkt. Aber natürlich gibt es den Aufruf Strike Germany und einen enormen Gesprächsbedarf in Deutschland. Die meisten Diskussionen finden derzeit eher in geschlossenen Räumen statt, weil ein offenes Gespräch so schwierig ist. Doch immer mehr werden auch öffentlich Dialoge angesetzt, von den Berliner Festspielen oder der Bonner Kunsthalle. Ich bin der Überzeugung, dass wir diese Gespräche führen müssen, und sei es dafür, eine eigene Haltung zu entwickeln.
Wie abhängig sind Sie von den politischen Mehrheitsverhältnissen im Bund? Blicken Sie da mit Sorge auf einen künftigen Regierungswechsel nach der nächsten Bundestagswahl?
Durch den Stiftungsrat sind wir relativ unabhängig, das hat bisher sehr gut funktioniert. Und nach zwanzig Jahren ist die Kulturstiftung des Bundes ein wichtiger Player in der deutschen Kulturlandschaft.