Die mediale Präsenz von Giorgia Meloni, oft Begeisterung über sie ist gerade allgegenwärtig. Ihre klare Bestätigung in der EU- Wahl – im Kontrast zu Scholz und Macron – und die gleichzeitige Gastgeberrolle bei den G7 sowie der erwartete große Einfluss bei der Aufstellung der neuen EU-Kommission veranlassen Journalisten und Interviewpartner zu immer neuen bewundernden Assoziationen: Laut Corriere della Sera ist sie ein Schwan, was selbst der eher gelassene Italien-Korrespondent der FAZ übernimmt. Politico titelt zum G7 Treffen „6 lame ducks and Giorgia“, da auch die Vertreter der USA, von Kanada und Japan, und des Vereinigten Königreichs zuhause geschwächt sind. Andere nennen sie „Kingmaker“ in der EU, aber auch „Chamäleon“.
Dass sie als siegreiche Spitzenkandidatin in allen Wahlgebieten Italiens nicht ins EU-Parlament einziehen wird, stört jetzt offenbar kaum noch jemanden; jedenfalls hört man nur vereinzelt noch Kritik an dieser Demokratieverächtlichmachung.
In Italien selbst sind einige der männlichen Protagonisten bei den Wahlen im Vergleich zur Schwänin Meloni zu müden Erpeln geschrumpft. Koalitionspartner Matteo Salvini will das – jedenfalls öffentlich – nicht wahrhaben und verbreitet laut quakend den Anti-Liberalismus, dem er die Partei verschrieben hat. Die beiden ehemaligen sozialliberalen Regierungsgrößen, jetzt mit ein paar Anhängern vom Dritten Pol, gewissermaßen dem kleinen dritten Teich, namens Matteo Renzi und Carlo Calenda, gestehen ihre Niederlage zumindest ein. Giuseppe Conte stellt sich demütig der Kritik und den Vorschlägen seiner Fünf-Sterne Bewegung (M5S), die längst zu einer Partei geworden ist und an der innerparteilichen Demokratie leidet, die dem Wähler immer neue Namen präsentiert. Nur Antonio Tajani, der sich noch immer als Vertreter Berlusconis geriert, ist nicht geschrumpft. Er gehört jetzt zu den schönsten Erpeln im Teich, wie auch die überraschend starken Chefs der Grün-Linken Allianz.
Nicht zu übersehen aber ist, um im Bild zu bleiben, das Flüggewerden einer weiteren Schwänin, namens Elly Schlein. Wie Meloni zuvor „hat man sie nicht kommen sehen“, d.h. auch sie wurde bisher unterschätzt. Jetzt zeigt sich, dass sie als Außenseiterin die Fürsten und ihre Anhänger in der Demokratischen Partei (PD) gezähmt hat. Jedenfalls sehen das viele Wähler so und erkennen die PD wieder an.
In Italien zieht also nicht eine einsame weiße Schwänin ihre Kreise. Es gibt vielmehr eine neue Rivalität, jetzt zwischen zwei Frauen.
Die Begeisterung für Meloni droht den Blick auf ihre Agenda zu verstellen. Sie beinhaltet unter anderem:
– die „Mutter aller Reformen“: das „Premierato“, d.h. die Vorherrschaft der Exekutive und des Wahlsiegers bzw. der Wahlsiegerin,
– die engere Kontrolle der öffentlich-rechtliche Medien, während in der privaten Medien-Landschaft ihre Freunde ohnehin stärker werden,
– die Vereinzelung und Schwächung der Staatsanwaltschaften und Richter,
– die Erhaltung der Niedriglohnsektoren und Vermehrung solcher Arbeitsplätze mit Ablehnung des Mindestlohns,
– die Migrationsbekämpfung mithilfe extra-territorialer Asylverfahren,
– das Kleinhalten der Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft und Einschränkung des Abtreibungsrechts,
– die Niederschlagung von Demos,
– die Ausdehnung der Jagdrechte und anderer Maßnahmen des Landwirtschaftsministers in Sachen Biodiversität
– den Kampf gegen Verbrennerverbote in Sachen Klimawandel.
Die „differenzierte Autonomie“ d.h. die Beschränkung von Staatshilfen für den Mezzogiorno ist eine Idee der Lega, die sie mitträgt.
Diese Zusammenstellung zeigt die restaurative Linie der Regierung. All das anzugehen zeugt von einem Bewusstsein der Stärke und Macht. Das macht noch keinen Faschismus. Meloni hat keine Miliz, die mit ihr den Marsch auf Rom macht, allerdings eine zunehmend rechte Parteijugend. Zu ihrem Leidwesen ist sie in der Regierung von einigen Luschen umgeben. Sie kann sich auf nur ein paar ernsthaft arbeitende Minister in Schlüsselpositionen Recht, Wirtschaft und Finanzen, Innen und Verteidigung stützen, und auf die Parteioffiziere in den beiden Häusern des Parlaments.
Die kommenden Wochen werden mehr Aufschluss geben, wie stark sie auf den verschiedenen Feldern Global, EU und Italien wirklich ist.