Klaus Töpfer war ein ungewöhnlicher Politiker und Wissenschaftler, ein außergewöhnlicher Kopf, der sich selbst nie so wichtig nahm, wie andere, der Widerspruch akzeptierte. Ein Mann, der vieles erreicht hat in seinem Leben, der als Dachdecker gearbeitet hat und als Minister für Umwelt wie für Reaktorsicherheit, der das Ressort für Bauwesen geleitet hat, der UNO-Exekutivdirektor in Nairobi war, der mitgeholfen hat bei der bisher vergeblichen Suche nach einem Endlager für Atommüll, der gern Skat spielte, ein frisches Pils nicht verabscheute, der Katholik war, seit 50 Jahren Mitglied der CDU, Ehrenbürger von Höxter, Familienmensch, Vater von drei Kindern und Opa einiger Enkel. Am 8. Juni ist Klaus Töpfer in München gestorben.
Wenn man sich die Liste der Preise anschaut, all der Ehrungen, die er empfing, die ihn aber gleichwohl am Boden hielten, wenn man sich die Auszeichnungen vor Augen führt, spürt man, wie außergewöhnlich dieser Mann war. Klaus Töpfer war einfach so, er machte sich nicht viel daraus. Der Mann war beliebt, aber nicht beliebig. Wer immer mal die Gelegenheit gehabt hat, mit diesem Menschen ein Interview zu führen, war mehr als beeindruckt. Töpfer war CDU-Mann, ja, aber das hinderte ihn nicht, andere Vorstellungen als die aus dem Parteiprogramm der Christdemokraten vorzutragen. Was er nicht als Distanz zur Partei betrachtete, sondern als etwas, was nun mal zu einem normalen Demokraten gehört. Streit um Inhalte, eine Diskussion, um am Ende zu einem Kompromiss zu kommen. Alltag eines Demokraten.
Der Mann wurde 1938 geboren in Schlesien, 1938, das Jahr, als Hitler das Münchner Abkommen erpresste, die Abtretung des zur Tschechoslowakei gehörenden Sudetenlandes an das Dritte Reich war die Folge. Der Vertrag wurde ohne die Mitwirkung der CSR unterzeichnet, von Hitler, Mussolini, Chamberlain, Daladier in München. Den Krieg konnte diese sogenannte Appeasement-Politik nicht verhindern, Adolf Hitler wollte den Weltkrieg. Klaus Töpfer hat die Kriegs- und Nachkriegsjahre als ziemlich grauenhaft erlebt, was man verstehen kann. Die Familie wurde wie andere aus Schlesien vertrieben und sie landete eher zufällig in Höxter. Jahre der Not, des Elends, man hatte nicht viel, musste schauen, dass man durchkam, überlebte, man wohnte wie Millionen andere bescheiden, hoffte auf eine bessere Zukunft.
Aus einer Laudatio auf Töpfer von Roland Tichy für die Ludwig-Erhard-Stiftung lese ich, dass Klaus Töpfer zwei Tugenden seinen Eltern zugeordnet habe: Von der Mutter habe er gelernt: Not lernt Ethik. Vom Vater habe er gelernt: Not macht erfinderisch. Der Autor des Lobliedes auf Töpfer kommentiert, diese Sätze seien sehr zutreffend als Beschreibung für das Wirken des Mannes. „Da ist der moralische Impetus, der kommt vom Beten, und da ist das Handeln, das kommt von der Not, die so erfinderisch macht. “ Letzteres könnte ich auf meine Mutter(Jahrgang 1901) beziehen und sicher viele andere Mütter, die nach 1945 das Leben ihrer Familien organisieren mussten, aus der Not heraus wurde alles, was der Garten hergab, zum Kochen verwendet. Man hatte ja nicht viel, zum Kaufen gab es wenig, Fleisch war Mangelware wie Butter, die damals gute Butter hieß, Kaffee gab es so gut wie nie, eher Muckefuck, ein dünnes Gebräu. Aber wie gesagt, man überlebte, ich kann mich nicht erinnern, dass ich gehungert hätte. Immerhin waren wir zu Hause 7 Personen.
Als Student Dachdecker
Dass Klaus Töpfer Volkswirtschaft studierte, stand nicht auf dem Plan des Vaters, entnehme ich derselben Würdigung Töpfers. Der Mann hätte den Sohn lieber etwas Handfestes lernen lassen, so war halt die Zeit. Aber Klaus Töpfer studierte dann VWL, er verdiente sich das Geld fürs teure Studium als Dachdecker. Man stelle sich das nur mal vor. Arbeiten auf dem Dach, angeschnallt oder nur auf der Leiter stehend, um Materialien dem Meister oder Gesellen zu reichen, der oben stand. Ich weiß das nur, weil ich auf dem Bau gearbeitet habe als Schüler und Student, darunter beim Bau von Kaminen geholfen habe. Da musste ich auch auf Leitern klettern, einige Meter hoch, nur nicht runterschauen, dann wurde einem schwindelig.
Klaus Töpfer schloss das Studium erfolgreich ab, er wurde promoviert, es folgte eine beachtliche wissenschaftliche Karriere. Der Professor ging in die Politik, wurde Umweltminister von Rheinland-Pfalz unter dem Ministerpräsidenten Bernhard Vogel(CDU). Um das gleich klarzustellen: Töpfer war nicht der erste Umweltminister, das war Walter Wallmann, vom Bundeskanzler Helmut Kohl 1986 ernannt als Folge des Reaktor-Unfalls von Tschernobyl. Töpfer folgte Wallmann 1987.
Klaus Töpfer war nicht der trockene Typ eines Politikers, der sich hinter seinem Schreibtisch vergraben hätte. Er war immer mehr der Mann des Volkes, der neugierig war auf die Sorgen der Leute und deren Geschichten über ihr Leben. Typisch, wie er damals kurz nach seiner Berufung zum Bundesumweltminister reagierte: „Ich war doch bloß für die Einzahlung eines Raucherpfennigs in die Krankenkassen, und jetzt schreibt die Bildzeitung über mich.“ Das war der Klaus Töpfer, der sich nie zu wichtig nahm.
Er war nicht der Mann, der stets auf Linie der Mächtigen war. Und weil er der Kernenergie nicht traute und ein Mann blieb mit eigener Meinung, ließ er auf dem CDU-Parteitag 1988 festhalten: „Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit weniger fossilen Energieträgern entwickeln.“ Was CDU-Chef Kohl nicht freute, der ließ das Thema verschieben, aber Töpfer war halt nicht beliebig, kein Opportunist. Er schätzte den Kanzler, aber seine eigene Meinung hatte er beim Eintritt ins Kabinett des schwarzen Riesen nicht an der Garderobe abgegeben. 1989 wurde die Kernenergie als Übergangstechnologie festgelegt. Kein schlechter Ausweg, es dauerte Jahre, ehe Rot-Grün mit Schröder/Fischer den Ausstieg beschloss, den Merkel dann rückgängig machte, ehe Fukushima passierte und die Kanzlerin Hals über Kopf wieder zum Ausstieg aus dem Ausstieg ruderte. Heute wollen die Söders wieder einsteigen, gerade so, als könnte man einen Lichtschalter anknipsen und es strahlt erneut. Gegen Ende seines Lebens wirkte Töpfer mit bei der bisher vergeblichen Suche nach einem Endlager für den Atommüll.
Man konnte Klaus Töpfer erleben, wie er von einem Schiff springend im Neoprenanzug durch den Rhein schwamm, um zu demonstrieren, dass der vor Jahr und Tag durch Giftstoffe eines Chemieunternehmens in der Schweiz verseuchte Fluss wieder sauber geworden war. Später räumte er ein, dass das mit dem Schwimmen im Rhein durch eine verlorene Wette gegen einen SPD-Politiker ausgelöst worden war. Die Aktion hat er im nachhinein als falsch bezeichnet, weil schlechtes Vorbild. Der Rhein ist lebensgefährlich, er eignet sich nicht als Schwimmbecken.
Berlins Baumeister
Nach der deutschen Einheit ließ Klaus Töpfer sich als Bauminister einspannen, ein neues Feld für ihn, das er aber erfolgreich beackerte. Man muss nicht alles mögen, was die Politik aus Berlin gemacht hat, es gibt gewiss Kritiker, die den Potsdamer Platz in seiner neuen Form als steinernes Denkmal verabscheuen. Aber der Platz war vor dem Fall der Mauer eine steinerne Wüste geworden. Ich habe den Platz so gesehen, in den 70er und 80er Jahren, tot war das Gelände. Die DDR ließ dort kein Leben zu. Das heutige Bild mag zu gewaltig sein, aber Berlin ist nun mal größer als das kleine Bonn, das lieblicher war, überschaubarer, Provinz halt.
Umweltpolitik war für ihn immer mehr als nur das Nachholen und Nachbessern, das Stopfen von Löchern. Sie stand für ihn im Vordergrund, im Zentrum seiner Überlegungen, wie man diesen bedrohten Planeten retten kann. Angesprochen auf Kritik der jüngeren Generation an den älteren Zeitgenossen, die die schwierige Umweltsituation herbeigeführt haben, antwortete Töpfer einst im Kölner-Dom-Radio: „Ich habe drei Kinder und vier Enkelkinder. Die fragen mich heute, was meine Generation getan hat, um die Schöpfung zu bewahren.“ Und auf die Frage, was er denn dem eigenen Nachwuchs sage, erklärte er: „Dass wir die Kosten unseres Wohlstands verdrängt haben. Wir leben mit einer Wohlstandslüge. Ich mache mir den Vorwurf, dass wir in der Politik unseren Wachstumsglauben zu selten hinterfragt und viel zu häufig über Effizienz geredet haben, aber so gut wie nie über Suffizienz- also über die Frage, wo die Grenzen für Wachstum und Ressourcen liegen und wo wir einsparen können und müssen, und zwar sehr schnell.“ Als Beispiel führte er dann noch das Thema Wassermangel in Deutschland an, wo man Pools in Gärten anlegt und die Toiletten mit gutem Trinkwasser spülen lässt, während er in seiner Zeit in Afrika erlebt habe, wie man mit der knappen Ressource Wasser umgehen müsse. Sein Fazit: „Wir können von Afrikanern lernen:“
Die Klimapolitik in Deutschland sei zu sehr national ausgerichtet, sie ende oft genug an den eigenen Grenzen, hat Töpfer die deutsche Politik kritisiert. „Es gibt in dieser Krise eine Blüte des Nationalismus, wenn es eigentlich eine Blüte des Multilateralismus bräuchte.“ Lösungen im Kampf gegen Klimawandel und Pandemien könne man nur finden, wenn man zusammenarbeite. Dabei gehe es auch um die Folgen von Eingriffen des Menschen in die Umwelt. „Ich bin besorgt, dass wir diese Auflösung von Mensch-Tier-Beziehungen in Form von neuen Krankheiten wiederfinden werden.“
Der gelbe Sack
Klaus Töpfer war einer der Hauptverantwortlichen bei der Einführung des Gelben Sacks, mit dem vor allem Leichtverpackungen entsorgt werden sollten. Jahre später erlebte ich ihn als Redner bei einer Tagung einer Mittelstandsfirma, die führend war und ist in der Geothermie. Töpfer stellte sich den rund 60 Zuhörern mit den Worten vor: „Vor Ihnen steht der gelbe Sack.“ Dann fragte er so ganz nebenbei, ob die Veranstalter ihm vielleicht mal ein Kaltgetränk, gemeint ein Pils, bringen könnten. So war er, so schätzte man ihn. Am Rande eines CDU-Parteitags in Münster gingen wir mit Töpfer in eine Kneipe, die berühmt war für ihre vielen Bier-Sorten. Töpfer bestellte fünf Bier, der Wirt fragte nach, welches der Biere es denn sein dürfe und zählte auf: Bitburger, Veltins, Warsteiner, Köpi, Urpils, Krombacher, Paulaner… Töpfer antwortete: „Genau in dieser Reihenfolge.“
Klaus Töpfer hat sich immer mal wieder auch als Katholik engagiert. In Diskussionen über Klimafragen sprach er dann lieber von Schöpfung statt von Umwelt. So sagte er vor einem Jahr im Dom-Radio zu Köln: „Ich würde mir wünschen, dass die Kirchen noch stärker ein Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung schaffen und für mehr Zusammenhalt sorgen. Wir müssen uns viel stärker fragen, welchen Raum wir Menschen anderswo auf dem Globus und künftigen Generationen lassen. Gelingendes Leben ist viel mehr als die Steigerung des Bruttosozialprodukt
Klaus Töpfer war ein echter Demokrat. Sein Tod ist ein Verlust.
Bildquelle: Arno Mikkor (EU2017EE) via flickr, EU2017EE Estonian Presidency, CC BY 2.0