Zwei Nachrichten aus den vergangenen Tagen: Die ukrainische Armee hat nun wohl offiziell grünes Licht erhalten, künftig auch mit deutschen Waffen auf das Staatsgebiet Russlands zu feuern. Und: Borussia Dortmund verteidigt weiterhin offensiv den millionenschweren Werbedeal mit der Waffenschmiede Rheinmetall. Zwei Nachrichten von ganz unterschiedlichem Gewicht, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben.
Lange Zeit hat sich namentlich Bundeskanzler Olaf Scholz dafür ausgesprochen, die an die Ukraine gelieferten Waffen nur auf ukrainischem Boden gegen die russischen Invasoren einzusetzen. Diese „rote Linie“ wird nun überschritten – offenbar in Absprache mit den USA, die diesen Einsatz auf russischem Gebiet nun auch für ihre Waffen erlauben. Und natürlich entbehrt diese Erlaubnis ja nicht einer gewissen Logik: Die mordende Putin-Armee beschießt ukrainische Städte von Stellungen auf dem eigenen Territorium – weil sie dort nicht angegriffen wird. Damit soll es nun vorbei sein.
Natürlich wird die ukrainische Armee zusichern, nur militärische Ziele in Russland anzugreifen. Doch wie lange wird es dauern, bis von ersten „Kollateralschäden“ berichtet werden muss, von toten russischen Zivilisten, Frauen und Kindern, die – gezielt oder aus Versehen in die Schusslinie geraten sind. Das gehört zur bitteren Logik des Krieges.
Nein, es ist ja keineswegs diese eine Entscheidung, die in die falsche Richtung führt: Es ist der ganze Krieg, bei dem die öffentliche Debatte in Deutschland fast nur noch darüber geführt wird, mit welcher neuen Taktik, mit welchen neuen Waffen die Ukraine doch noch siegen kann. Über Wege, diese Waffen endlich zum Schweigen zu bringen, wird dagegen kaum noch gesprochen.
Besonders schlimm in diesem Zusammenhang: Wer in der Öffentlichkeit – in der Politik, in Talkshows, in den Medien – zum Frieden aufruft, wird auch in der sich sonst so links-liberal gerierenden Presse entweder als Traumtänzer oder aber als Putin-Versteher an den Pranger gestellt. In den sogenannten „Leitmedien“ führen längst die Bellizisten das Wort. In diesem Zusammenhang sei nur an die Rede des SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich erinnert, der im Bundestag folgende nachdenkliche Frage stellte: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“
Man kann auf Mützenichs Frage laut antworten: „Ja natürlich – lass uns endlich solche Wege suchen und finden.“ Man kann dem SPD-Mann natürlich auch argumentativ widersprechen. So sähe ein demokratischer Diskurs aus. Doch stattdessen: Nicht nur in der Springer-Presse wurde und wird Hohn und Hass auf Mützenich gekübelt. Wie weit ist das rein militärische Denken in unsere Gesellschaft eingedrungenem, dass hunderte Debatten über Waffen und ihre mörderische Wirkung geführt werden – Debatten über Wege zum Frieden aber schon im Keim erstickt werden?
Wie weit die Militarisierung der Gesellschaft schon fortgeschritten ist, zeigt nun auch das Beispiel Borussia Dortmund. Um es vorweg klar zu stellen: Der BVB ist der Verein, für den mein Herz seit Kindheitstagen schlägt, in guten wie in schlechten Tagen, ob in der Champions-League, ob in der ersten Liga, oder (ja auch das gab es) in der zweiten Liga.
Es gab nur zwei Dinge für die ich mich beim BVB geschämt habe: Da gab es in den 80er Jahren die rechtsextreme und gewaltbereite „Borussenfront“, die andersdenkende Fans in Dortmund zeitweise mit Terror überzog – und die die Außendarstellung der Borussia in den Dreck zog. Mit viel Fan- und Sozialarbeit, mit breiten demokratischen Bündnissen und Initiativen gelang es schließlich, die Neonazis an den Rand zu drängen. Inzwischen hat der BVB einen Grundwertekodex, der sich offensiv zu Demokratie und Vielfalt bekennt – geradezu vorbildlich.
Und nun das: Der BVB hat mit der Waffenschmiede Rheinmetall einen millionenschweren Werbevertrag abgeschlossen: BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke – übrigens seit fast 50 Jahren CDU-Mitglied – verteidigt den Deal: „Gerade heute, da wir jeden Tag erleben, wie Freiheit in Europa verteidigt werden muss. Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen.“
Ja, das müssen wir tatsächlich. Aber ausgerechnet durch einen Werbedeal beim BVB, mit dem Rheinmetall sein Image als Schmuddelkind zu verbessern hofft? Wie weit soll das gehen? Die neusten Panzer-Modelle als Trikotwerbung? Im Andenken an Gerd Müller den „Rheinmetall Bomber der Nation“ wiederbeleben, statt „Tor des Monats“ lieber die „Granate der Woche“? Man kann da schnell zynisch werden.
Bleibt zu hoffen, dass die BVB-Fans diesen Deal nicht einfach hinnehmen und Sturm laufen gegen die Entscheidung. Selbst wenn man die Waffenproduktion in Zeiten wie diesen für notwendig hält – so bleibt sie allenfalls ein notwendiges Übel. Waffen aber kein Gegenstand, um damit zu werben.
Um es klar zu sagen: Ich schäme mich für meine Borussia. Ist denn heute alles käuflich? Stinkt Geld wirklich nicht – auch wenn es durch Waffen verdient wird? Schon die Tatsache, dass sich der Aktienkurs von Rheinmetall seit Ausbruch des Ukraine-Krieges mehr als verfünffacht hat, mutet pervers an. Welcher Rheinmetall-Manager oder Aktionär hat da noch Interesse an Frieden?
Und so schließt sich der Kreis der Nachrichten: Dass deutsche Waffen künftig bis auf russisches Territorium schießen und dass die BVB-Führung es wagen kann, mit einem früher als „Händler des Todes“ bezeichneten Unternehmen Werbeverträge abzuschließen, zeigt: Die Militarisierung der deutschen Gesellschaft, die Militarisierung in den Köpfen schreitet anscheinend unaufhaltsam voran. Auch hier gilt es, endlich darüber nachzudenken, wie man diese schreckliche Entwicklung „einfrieren und später auch beenden kann“, um Rolf Mützenich zu zitieren.
Es gilt, sich der Logik des Krieges entgegenzustellen – gerade wenn einem der Sturm ins Gesicht bläst. Genau um diese Standhaftigkeit in stürmischen Zeiten geht es übrigens in der BVB-Hymne: „You never walk alone“. Wer es noch nicht getan hat, möge sich den Text einmal anhören. Er macht Mut.
Bildquelle: Rheinmetall YouTube-Video
Lutz Heuken hat vollkommen Recht. Unsere Medien werden von unerfahrenen und denkfaulen Leuten beherrscht.
Es ist viel einfacher und völlig unanstrengend, in Schlag und Gegenschlag zu denken und vor lauter Vorfreude, den Bösewicht richtig arg zu treffen, die Eskalation zu verdrängen, als über Wege zum Frieden nachzudenken. Der wird ja, wie alle nun meinen, militärisch entschieden. In einem anderen Zusammenhang soll Max Liebermann gesagt haben: “ Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.“
Und was den BVB betrifft: das Daumendrücken an Wochenenden hat hiermit ein Ende. Zukünftig bin ich bei BVB gegen bayern für die Münchner Großkotze.