Seit Tagen wird es gerühmt, das Grundgesetz als Herzstück dieser demokratischen Republik. 75 Jahre gibt es diese deutsche Verfassung, ein Leuchtturm, etwas Besseres gab es nie. Jetzt hat Bonn, die erste Bundeshauptstadt nach dem Krieg und Wiege des Grundgesetzes, dem Kind einen Platz gewidmet, am Ende der Autobahn A 562, dort, wo die Schnellstraße in einem engen Bogen auf die Bundesstraße 9 führt, die den Zeitgenossen in das ehemalige politische Zentrum der Republik leitet. „Mit der Benennung dieses Platzes verleihen wir der Bedeutung des Grundgesetzes für Bonn und unsere Demokratie auch auf dem Stadtplan Ausdruck“, erklärte Bonns OB Katja Dörner in einer kleinen Feierstunde am Rande der Autobahn. Gerade jetzt, da die Feinde der Demokratie mobil machen, um das Grundgesetz, um Freiheit und Menschenrechte, die Würde des Menschen, zu zerstören.
200 Fahnen mit der Aufschrift „75 Jahre Grundgesetz“ hängen an den Masten, die sonst mit den Fahnen der Vereinten Nationen geschmückt sind, was Bonns neuer Rolle entspricht, seitdem die Politik mit Bundestag und Präsidialamt nach Berlin umgezogen sind. Ein Thema, das immer noch einige beschäftigt, weil das Bonn-Berlin-Gesetz nicht so eingehalten wird, wie es im Gesetz verankert worden ist. Denn Jahr für Jahr nimmt die Zahl der Beschäftigen in den Bundesministerien in Bonn ab und die in Berlin zu. Ein Rutschbahneffekt, den die Bundesstadt, wie sie heute heißt, aber verkraftet, weil Bonn seit über einem Vierteljahrhundert UNO-Stadt geworden ist mit über 1000 Mitarbeitern in 26 Organisationen der VN. Äußeres Zeichen dafür ist das alte Hochhaus „Langer Eugen“(nach Eugen Gerstenmaier, dem Bundestagspräsidenten 1954 bis 1969 genannt), das das UN-Wappen trägt, dazu das WCCB(World Congress Centrum Bonn), die Deutsche Welle und vieles andere mehr. Die kleine Stadt am Rhein ist internationaler geworden als je zuvor, aber rheinisch-charmant geblieben.
Politik- wohin man schaut
Politik, wohin man schaut, zumindest in der Erinnerung: Wer über die Autobahn A562 nach Bonn fährt, überquert den Rhein über die Konrad-Adenauer-Brücke, im Volksmund Südbrücke genannt, rollt dann weiter über die Friedrich-Ebert-Allee(parallel dazu verläuft die August-Bebel-Allee), man passiert die Ollenhauerstraße(dort war die SPD-Zentrale bis zum Umzug nach Berlin, dann zog eine Restaurant-Kette dort ein), kurz davor lag auf der anderen Straßenseite früher die CDU-Zentrale, das Gebäude ist längst abgerissen, man fährt weiter über den Helmut-Schmidt-Platz, dann über die Helmut-Kohl-Allee bis zur Willy-Brandt-Allee, in die auf der einen Seite die Hans-Dietrich-Genscher-Allee mündet und auf der anderen Seite die Heuss-Allee. Ganz nebenbei der Hinweis auf die Museumsmeile mit dem Haus der Geschichte, ein Verdienst von Kohl, der sich für deren Bau in Bonn eingesetzt hatte. Und so geht das weiter in diesem ehemaligen Regierungsviertel mit dem Sitz von Bundestag und Bundesrat, den Landesvertretungen, dem Presseclub und nicht zu vergessen dem Kanzleramt, der Villa Hammerschmidt, dem Palais Schaumburg. Dazu das Tulpenfeld mit den Pressehäusern.
Und hier mitten rein hätte natürlich der Platz des Grundgesetzes gehört, fand Kabarettist Rainer Pause. Aber wohin nur, es war alles belegt. Vor dem Museum König ist kein Platz, weil man u.a. mit dem neuen Radweg kollidiert wäre, den die Grünen-Mehrheit im Bonner Rat als Versuchs-Weg eingerichtet hat. Für Autofahrer wird es auf der B9 oft sehr eng, dagegen können sich die Radler ganz schön breit machen. Gut gepasst hätte der Platz auch vor dem alten Bundesrat, aber da steht ein großes Hotel und da ist der Platz der Vereinten Nationen. An der Autobahn A562 aber ist Platz für den Platz, dazu in der Nähe die Polizei, die aufpassen kann auf diesen Platz des Grundgesetzes. Dabei gibt es nicht einmal ein Straßenschild zu klauen. Das ist nur für das Gruppenbild mit Dame angeschafft worden.
Den Kabarettisten Pause beschäftigen in seiner Rede die Anfänge der Politik in Bonn, nach dem Ende des Krieges und der Nazi-Zeit. Man denke daran, dass noch 1945 bis zu acht Millionen Deutsche Mitglieder in der NSDAP waren und die wurden mit dem 8. Mai, dem Datum der Kapitulation und dem Ende des Dritten Reiches, quasi heimat-, also parteilos. Die KPD wollte die Nazis nicht eben so wenig wie die SPD die Braunen wollte, die CDU musste neu gegründet werden und nahm einige von ihnen auf. Überzeugt davon: „Wir schaffen das.“ Dem ersten Bundestag gehörten viele alte Kameraden an, fast die Hälfte der Bundestagsabgeordneten war früher in der NSDAP. Und was war mit der FDP? Pause erinnerte daran, dass die NRW-FDP von ehemaligen SS-Leuten mitgegründet worden sei. Der Kanzleramtschef Adenauers hieß Hans Globke, der hatte an den Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt. Warum Adenauer, selbst eine Zeitlang Nazi-Verfolgter, ihn nahm? Vielleicht weil es keinen anderen gab? Viele Männer waren im Krieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Kiesinger, Kanzler der ersten Großen Koalition, zuvor Ministerpräsident in Stuttgart, war Mitglied der NSDAP wie Karl Carstens, der Unions-Fraktionschef wurde und danach Bundespräsident. Heinrich Lübke, der Bundespräsident nach Heuss, hatte auch ein parteipolitisches Vorleben, aber der Architekt machte geltend, dass er in der Zeit der 1000jährigen Herrschaft, gar nicht gewusst habe, für was er die Baracken gebaut habe. Erinnerungslücken machte wohl auch ein gewisser Hans Filbinger geltend, der Marine-Richter, der sich später aber an die Todesurteile nicht erinnern wollte. Das taten andere. Der Mann, ebenso Ministerpräsident von Baden-Württemberg, musste zurücktreten.
Satirischer Unterton
Ja, die Geschichte der Bundesrepublik war nicht ganz einfach. Man denke an die vielen Richter, die furchtbaren Juristen, wie Prof. Ingo Müller sein Buch über sie genannt hat, die nach der Nazi-Zeit einfach weiterarbeiteten und dabei lernen mussten, was sie zuvor nicht gekannt hatten: Recht zu sprechen. Rainer Pauses satirischer Unterton ließ die Jahre an den vielleicht 50 Zuschauern vorbeiziehen. Und als er Bert Brechts Wort zitierte: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch,“ dachte ich an die Gefahr, die unserem Grundgesetz und der in ihm manifestierten Demokratie und Freiheit seit einiger Zeit droht. Weil es eine AfD gibt, die in allen Parlamenten in Deutschland politische Vertreter hat, die die Demokratie und die damit verbundenen Freiheiten, die die Würde des Menschen mehr verachten denn schätzen, und die Führer in ihren Reihen hat wie Björn Höcke in Thüringen, den man einen Faschisten nennen darf.
Ob wir auf dem neuen Platz des Grundgesetzes auf dem Boden desselben stehen? Rainer Pause wies daraufhin, dass dieser Boden der Autobahn-GmbH gehöre, also so etwas wie Privatbesitz sei, auf den der Staat keinen Zugriff habe. Zudem könne man ja nicht einfach die Autobahn betreten. Also bat er den anwesenden Leiter der Außenstelle Köln der Autobahn GmbH, Willi Kok , darum, er möge dafür sorgen, dass eine Art Fußgängerbrücke über diese Stelle der A562 gebaut werde, damit man sich auf den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stellen könne.
Die Flügelwände des Brückenbauwerks am Platz des Grundgesetzes, ein Werk des israelischen Architekten Karavan, werden in der nächsten Zeit von Studierenden der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter- ein Dorf nahe Bonn- künstlerisch gestaltet. Ihr Entwurf, den sie präsentierten, wird die Vielfalt der Menschen ins Zentrum rücken und die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung. Katja Dörner hatte den Artikel 1 Grundgesetz dafür zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Aller Menschen.
Bonn ist, wie öfter in seiner Geschichte mal wieder sehr peinlich. Zur Erinnerung: Beethovens Geburtshaus wäre damals beinahe abgerissen worden, das Macke-Haus wurde Jahzehnte lang ignoriert und das Originalfresko von Macke und Franz Marc ließ man tatenlos nach Münster abtransportieren und ganz überrascht waren manche, dass von der prächtigen Synagoge neben der Rheinbrücke doch noch die Keller da waren. Zumeist (außer beim Macke-Marc-Fresko im Atelier) waren es private Bürgerinitiativen und -vereine, die die Geschichtsvergessenheit verhinderten. Nun also ein Autobahnende als „Platz des Grundgesetzes – geht’s noch?
Dem Grundgesetz gebührt ein Freiheitsdenkmal, größer als eine Tafel mit der Aufschrift: Hier entstand das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Der Platz vor dem Bundesrat müsste mindestens dafür bereit gestellt werden.Chance verpasst, das Verdienst der schönen Stadt am Rhein gebührend ins Licht zu rücken.
Schließlich sind wir nicht nur „Bundestadt“ sondern Stadt des Grundgesetzes, der freiheitlichsten Verfassung, die in Deutschlan je Gültigkeit hatte und immer noch hat.