Marianne: Dein eigentlicher Name ist Klaus Riedel, Jahrgang 1960 und ausgebildeter Sporttherapeut an der renommierten Kölner Hochschule. Schon etliche Jahre inzwischen arbeitest du hier in der schönen Gegend mit Menschen, die mit handicaps zurecht kommen müssen. Ein schwieriger Balanceakt sowieso – das Leben mit Beeinträchtigungen. Wie gelingt es dir, mit deiner Jonglage-Kunst deren zum Teil heftige Unsicherheit in Freude und Selbstvertrauen zu verwandeln?
Klaus: Es geht in erster Linie darum, Freude an der Bewegung ganz spürbar zu vermitteln. Dabei gelten keine Superlative, sondern das wohlwollende Beschäftigen mit den eigenen Kapazitäten, mögen sie auch noch so eingeschränkt sein. Meine wesentliche Aufgabe sehe ich darin, einen Ausgleich zum häufigen Alltagsstress zu ermöglichen, und bis dahin unbekannte Erfolgserlebnisse zu erreichen.
Marianne: Wenn du konkret auch mit dem Leiden behinderter Menschen konfrontiert bist – was könnte deiner Erfahrung nach ganz praktisch in unserer schnell-lebigen Zeit in der so genannten „Daseinsfürsorge“ gesellschaftlich verbessert werden, damit Inklusion glaubwürdig gelingt, und sich die Lahmen und die Ungeschickteren nicht so schämen müssen für Schwächen, die sie nicht selbst verursacht haben? Immerhin gilt ja für uns Alle: „Nobody is perfect!“ Vielleicht nach dem Motto des schönen Kinderlieds „Immer langsam voran, immer langsam voran, dass die kleine Gesellschaft auch nachkommen kann!“
Klaus: Es gilt doch, Inklusion für uns Alle als sinnvolle Bereicherung zu erleben. Und: Wir sollten das nicht verdrängen: Es kann ja jeden Menschen zu jeder Zeit betreffen – ein Unfall, eine Erkrankung … Also – Zusammen hinzuwirken auf eine Selbstverständlichkeit der Teilhabe ALLER am gesellschaftlichen Leben. Das beginnt schon mit der sinnlichen Wahrnehmung unserer individuellen Verschiedenheiten und eben unbedingt auch mit einem bewussten Abbau von so kränkend herablassenden Mitleidsempfindungen. Dann erst wird nämlich auch der Blick klarer für Barriere-Freiheiten und die Bedürfnisse zum Gelingen eines konstruktiven Miteinanders.
Marianne: Hier im Südwesten gibt es ja die fragwürdige Erziehungs-Maxime: „Nicht geschimpft ist genug gelobt.“ Also „Schwarze Pädagogik“ ! Mit so einer rigiden Haltung geht viel kaputt. Woran bemerkst du, dass das Gegenteil von Forcieren deinen Schützlingen gut bekommt, wie ermutigst du sie konkret?
Klaus: Wichtig ist doch immer, die eigene peinigende Unsicherheit als solche zu erkennen, sich deshalb nicht so zu schämen, und sich durch mich als Pädagogen ermuntern zu lassen, also sich auf etwas Neues und ja auch Schönes einzulassen! Gradmesser dabei ist aber eben nicht etwas Absolutes, sondern ein eigener innerer Kompass und die Bereitschaft, sich auch an vermeintlich Unerreichbares zu wagen, selbst auf die Gefahr hin, dabei zu stolpern. Und – Ich bin ja in der Nähe!
Marianne: Mit deinem schön bunten Zirkuswagen bist du ja zudem viel unterwegs, auch auf verschiedenen Festen und Kindergeburtstagen zu Gast, erstaunst du auf Stelzen mit roter Clownsnase, wie groß Seifenblasen auch in dieser Höhe gelingen. Auf dem Hintergrund unserer zwanghaft inflationären elektronischen Freizeit-Industrie ist dein Publikum bestimmt sehr dankbar, so konkret und haptisch von deiner wach lebendigen Kunst beglückt zu werden. Was meinst du – zu was kannst du deine diversen Zuschauerinnen und Zuschauer anregen?
Klaus: Meine Absicht ist, Menschen zum Innehalten und zum Genuss des Augenblicks zu bewegen. Wenn es nur gelingt, Fremde mit meinen Darbietungen zu “verzaubern“ und alles andere für einen Moment zu vergessen, dann habe ich aus meiner Sicht schon viel erreicht. Schon allein der Einsatz eines Kazoos – also eine Art Tröte – als Zirkusorchester, oder auch gute Musik „aus der Konserve“ in Verbindung mit Artistik, das erleichtert ja den Zugang zum Publikum enorm.
Marianne: Klaus – du, der allerhand Fröhlichkeit unter die Menschen bringende muntere Gleichgewichts-Künstler – wie gehst du persönlich mit unserer alles andere als balancierten Weltlage mental um? Ich selber empfinde besonders die toxische Männlichkeit jener Kriegs-Herren so bedrohlich, und angesichts der globalen Schräglage – von wegen fifty/fifty Frauen und Männer! – wie wünschst du dir die Balance einer globalen Familie? Lässt sich dafür auch etwas Flexibles lernen?
Klaus: JA, den beschränkten Nationalismus im Zaum halten! Jeder Mensch sollte eine sichere Heimstatt haben mit klar geordneten Spiel-Regeln, sich darin frei und ungezwungen bewegen können. Ich selbst halte nicht viel von Materialismus und der Anhäufung irdischer Güter. Jedoch ist ein gewisser Lebensstandard unabdingbar für jede persönliche Zukunftsperspektive. Dann besteht automatisch weniger Anlass für Neid und Missgunst und es beinhaltet die Hoffnung, dass ideelle Werte, wie Frieden, Freiheit und Demokratie einen höheren Stellenwert bekommen. Vielleicht ließen sich dann auch Despoten leichter in Schach halten und mehr feminine Werte Gewicht bekommen.