Die jüngsten brutalen Attacken auf Politiker der SPD und der Grünen lassen für die Wahlkämpfe des Jahres 2024 Schlimmes befürchten. Es sind Angriffe auf die Demokratie, auf uns alle.
Wir sind ein freies Land. Niemand ist gezwungen, die Grünen zu lieben, niemand muss die Politik der SPD gut finden. Man darf jederzeit gegen deren Politik protestieren und demonstrieren . Doch sollte ein Gebot gelten: absolute Gewaltfreiheit. Verbal – und vor allem körperlich.
Ein prominenter Aufruf zur Gewalt kam 2017 vom damaligen AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland, der nach dem Einzug der Rechtsextremisten in den Bundestag triumphierend in Richtung seiner politischen Gegner rief: „Wir werden sie jagen…“
Natürlich wird Gauland sagen, dieser Aufruf sei rein politisch gemeint, das sei doch kein Plädoyer für Gewalt. Doch vielen, die damals die schneidende und ätzende Stimme Gaulands hörten, lief es kalt den Rücken runter. So mancher dachte an die Weimarer Republik, in der die Demokratie-Feinde ähnlich tönten, bevor die Nazi-Schlägertrupps der SA in den 20er Jahren den politischen Gegner terrorisierten.
Wer solche historischen Parallelen zog und zieht, dem wird schnell Panikmache vorgeworfen. Doch die jüngsten Attacken auf Politiker der Grünen und der SPD lassen für die gerade erst beginnenden Wahlkämpfe des Jahres das Schlimmste befürchten.
Vor allem die verbale Gewalt und die Hetze gegen Andersdenkende wächst seit Jahren – und sie eskaliert immer weiter. Da waren die unsäglichen Pegida-Demonstrationen, in denen vor allem gegen Flüchtlinge und Muslime gehetzt wurde. Es folgten die teils schon gewalttätigen Protestaktionen gegen Corona-Maßnahmen, bei denen Teilnehmer von „jüdischer Weltverschwörung“ faselten und auf denen immer wieder Galgen auftauchten, an denen Politiker-Puppen symbolisch aufgehängt waren.
Wie anfällig auch die angebliche „Mitte der Gesellschaft“ für derartige Exzesse ist, wurde dann bei den Bauern-Protesten sichtbar. Auch dort tauchten die Galgen auf, die Hetze gegen die Ampel-Regierung war grenzenlos und viel zu wenige gemäßigte Bauern-Vertreter wagten es, sich dem Mob entgegenzustellen. Zur Erinnerung: es ging schlicht um Steuern auf Diesel.
Die Gewaltspirale zog weiter an: Schon aus dieser Protestwelle erwuchs körperliche Gewalt gegen Politiker – vornehmlich gegen die der Grünen. Unvergessen die Bilder von der Nordsee-Fähre, auf der Vizekanzler Robert Habeck von einem offenbar gewaltbereiten Mob eingekesselt war. Nur durch ein kühnes Manöver des Kapitäns konnte Habeck entkommen. Es folgten bedrohliche Szenen, als eine ungehemmte Menge die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Ricarda Lang körperlich bedrohten. Wie jetzt gerade wieder die Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt.
Und immer wieder gab es ritualisiert Empörung aller demokratischen Parteien und den Aufruf, so etwas nicht zu tolerieren. Politische Folgen und juristische Konsequenzen bislang: gleich Null.
Wohin die auch von durch die AfD aufgehetzte Stimmung führen kann, zeigt der fürchterliche Massenmorde eines Rechtsextremisten, der 2020 in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss. Oder der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke, den ein Nazi tötete, weil Lübcke sich öffentlich für Flüchtlinge eingesetzt hatte.
Nun droht die Gewalt erneut hemmungslos zu eskalieren: In Dresden wurde der SPD-Europa-Politiker Matthias Ecke von einem offenbar rechtsextremen Schlägertrupp brutal attackiert und krankenhausreif geschlagen. In Essen wurden zwei Grünen-Politiker auf der Straße erkannt, mit Namen angesprochen – und nach eigenen Angaben grundlos verprügelt.
Schluss jetzt!
Wer schützt in den nächsten Monaten die tausenden Hobby- und Amateur-Politiker der demokratischen Parteien, wenn sie an ihren Ständen Wahlkampf machen, wenn sie nachts plakatieren und so für den rechten Mob zum Freiwild werden? Wer will es diesen Menschen verdenken, wenn sich immer mehr von ihnen zurückziehen aus Sorge um die eigene Gesundheit und die ihrer Kinder? Denn ganz offen drohen die Faschisten: „Wir wissen, wo du wohnst.“
Dieser Rückzug, diese begründete Furcht, diese rechtsextremen Angriffe bedrohen schon jetzt die anstehenden Wahlen, die ja „frei und fair“ sein sollen. Die Polizei kann gar nicht alle Lokalpolitiker schützen und so den demokratischen Wettbewerb garantieren.
Die einzige Bundestags-Partei, die sich zynisch und hämisch über diese Gewalt-Eskalation freut, ist die AfD. Ihre Saat geht auf, ihre Hetze trägt Früchte. Juristisch ist die AfD kaum zu belangen, sie wird behaupten, niemals zu körperlicher Gewalt aufgerufen zu haben. Und so wird sie wieder in die Talkshows eingeladen und mit geheuchelter Empörung jede Verantwortung von sich weisen. Und sie wird weiter Zulauf haben. Denn, machen wir uns nichts vor: Es gibt viel zu viele Menschen, die sich diesen Strudel von Hass, Hetze und Gewalt wünschen – nach dem Motto: „Endlich zeigen wir es denen da oben mal so richtig!“
Was kann nun helfen?
Wenn nun etwa die Antifa ihrerseits AfD-Politiker nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ körperlich angreift, so mag das zwar bei manchen Linken klammheimliche Freude auslösen – es hilft aber vor allem den Rechten, die sich sowie immer in die Opferrolle flüchten. Und bei der CDU/CSU wird dann wieder die Floskel von „linken und rechten Extremisten“ bemüht, die es beide zu bekämpfen gelte. Dabei war und ist diese Floskel billig und falsch.
Zudem muss man erwarten und fordern, dass auch die Behörden – namentlich die Polizei – die jüngsten Vorfälle extrem ernst nimmt. Hier geht es um mehr als um individuelle Körperverletzung – so schlimm auch diese ist. Hier geht es um einen brutalen Angriff auf die Demokratie. Und man kann nur hoffen, dass es bei der Polizei nicht zu viele Menschen gibt, deren Herz offen oder heimlich für die AfD schlägt.
Was noch hilft ist Zivilcourage: Gehen wir dazwischen, wenn in den nächsten Wochen Wahlkämpfer in unseren Fußgänger-Zonen angepöbelt werden. Gehen wir nicht weiter, wenn die Lage brenzlig wird – rufen wir notfalls die Polizei. Zeigen wir Mut und machen wir uns nicht mitschuldig durch Schweigen oder Unterlassen.
Von links bis konservativ – die großen Demonstrationen im Winter gegen die AfD haben doch gezeigt, dass ein breites Bündnis der Anständigen möglich ist, wenn diese Demokratie gefährdet ist. Und weil sie es ist, gilt es, politisch über so manchen Schatten zu springen. Machen wir also das weiter, haken wir uns unter.
Denn spätestens nach den jüngsten brutalen Überfällen muss jedem – auch den Erzkonservativen- klar sein: Der Feind steht rechts.
Noch sind wir ein freies Land. Kämpfen wir um dieses Land!
Bildquelle: flickr, Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0 DEED
Ich kann dem Autoren nur zustimmen, er hat nur die Eier- und Schläger Attacke auf den AfD Stand in Nordhorn in der Auflistung vergessen. Es sollte die Aufgabe aller Demokraten sein, solche Exzesse zu verhindern. Es sind die Demokratiegegner, die von der aufgeheizten Situation profitieren. Es muss auch in den Focus der lokalen Ordnungsbehörden gerückt werden, dass Wahlkampfstände und Plakate unbehelligt bleiben. Was für ein fatales Signal wäre es wenn sich solche Zwischenfälle häufen würden und Staat und Zivilgesellschaft keine Antwort hätten.