Jean Ziegler, Thilo Bode, Naomi Klein – drei weltbewegende Autoren befassen sich in ihren neuen Büchern mit den unheilen Strukturen des kapitalistischen Wachstumswahns.
Ändere die Welt
Mit diesem zuversichtlichen Imperativ als Titel seines neuen Buchs wendet sich Jean Ziegler – aller analytischen Klarheit über die Verheerungen des Kapitalismus zum Trotz – an uns inzwischen ja ziemlich verzagte Zeitgenossen, also, an jeden von uns: „Ändere die Welt“.
Der immer noch zornige Schweizer Wissenschaftler (geboren 1934), der seit Jahren mit akribischer Beharrlichkeit globales Unrecht untersucht und seine scharfsichtigen Erkenntnisse immer wieder konfrontativ veröffentlicht, blickt nunmehr auf sein jahrzehntelanges Engagement gegen westliche Ignoranz zurück. Als Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung hatte sich der Soziologe international einen Namen gemacht und wurde inzwischen mit zahlreichen Preisen geehrt. „Die Feinde der Vernunft“, so nennt Ziegler die brutalen Fundamentalisten jeglicher Couleur – also neben den notorischen Terroristen auch die neoliberalen Machteliten – , könnten nachhaltig bekämpft werden durch eine „neue, weltumspannende Zivilgesellschaft“, so seine persönliche Bilanz.
Jean Zieglers Analysen appellieren eindringlich an das Mitgefühl und das tätige Eingreifen der Wohlgenährten. Er offeriert mit Fakten und Zahlen ein genaues Hintergrundwissen, auf dessen Grundlage kein Mensch behaupten kann, von den marktwirtschaftlichen Machtbedingungen des Hungerelends nichts gewusst zu haben. Ziegler erspart uns Lesern nichts, er geht ins grausame Detail, schildert den mörderischen Prozess des Verhungerns von Millionen als Strukturmerkmal des globalen Kapitalismus, Menschen, die skandalös ihrem quälenden Schicksal überlassen bleiben. Obwohl Ziegler die UNO insgesamt für eher ohnmächtig hält, zumal die Vetoregel im Sicherheitsrat seit langem eine gerechte Umsetzung der Resolutionen zum zynischen Vorteil der Großmächte verhindert, er erstattet Bericht, unermüdlich ist er offiziell unterwegs, und das tut er mit Leib und Seele: er fährt in die schlimmsten Gegenden unserer Welt, er sieht sich um, er lässt sich erschüttern, er spricht mit den leidenden Müttern, er hört zu, und er hört genau hin.
Wie die Philosophin Judith Butler in ihrer bewegenden Rede zum Adorno – Preis von den vielen „Unbetrauerbaren“ sprach, all den Namenlosen ohne lebenswerte Perspektiven, ohne Sicherheit, die nur noch „störend“ als statistische Nummern in unserer knallbunten Konsumwelt auftauchen, das Elend der Armen, eingerahmt vom alltäglichen Fernsehprogramm, das sich ja jederzeit wegzappen lässt: kalte Ignoranz, medial furchtbar leicht gemacht. Jean Ziegler schildert in drastisch klaren Sätzen, wie der größtenteils ungebildet gehaltenen Landbevölkerung, vor allem in Afrika und Asien, „die der Vernichtung durch Hunger und Mangelernährung ausgeliefert sind“, der Zugang zu lebenswichtiger Selbstversorgung systematisch vorenthalten wird. Inzwischen „werden die hungernden Völker der südlichen Hemisphäre von neuen Geißeln heimgesucht: Landraub durch Biotreibstoff-Trusts und Börsenspekulationen auf Grundnahrungsmittel.“ Jenseits von sozialer Kontrolle beherrschen Lebensmittel – Konzerne durch Spekulationsgeschäfte und Aufkauf von Anbauflächen den Weltmarkt. In Kumpanei mit korrupten Führungseliten in der Dritten Welt, deren lukrative „Diktatorengelder“ in globalen Verflechtungen gewinnbringend auf Schweizer Banken lagern, seien transnationale Konzerne an basisdemokratischem Aufbegehren keinesfalls interessiert. Das einklagbare „Recht auf Nahrung“ – ein bloßer Traum? Umso mehr solidarische Tatkraft – „das Erwachen des westlichen Gewissens“ erhofft sich Jean Ziegler von einer stärker werdenden Opposition der internationalen Zivilgesellschaft, die global verantwortlich handelt, indem sie sich konkret einmischt.
Jean Ziegler:
„Ändere die Welt“.
Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen
Verlag: C. Bertelsmann
288 Seiten
€ 19,99
Die zynische Arroganz der Macht
Thilo Bode, der beharrliche Kämpfer für eine basisdemokratische Zivilgesellschaft, bringt es mit seinem Buch „Die Freihandelslüge“ auf den empörenden Punkt: Es wird ein „Staatsstreich der Konzerne“ geplant, von dessen unglaublich totalitären Dimensionen die Bevölkerung im kalkulierten neoliberalen Interesse bitteschön keinerlei Ahnung haben sollte. Man stelle sich vor, es gäbe dieses tapfere europäische Häuflein von kritischen wachen BürgerInnen nicht, die sich inzwischen mühevoll durch das klandestine Labyrinth von absichtsvoll undurchschaubaren Deregulierungen durchgearbeitet haben! Und die fragwürdige Rolle der öffentlich- rechtlichen Mainstream-Medien ist ja eher von ausbremsender Wirkung, was die notwendige Aufklärung der „schweigenden Mehrheit“ betrifft. Was die räuberischen Konzernherren sich da an brutaler Profitmaximierung mit Hilfe ihrer hochbezahlten Lobbyisten schon alles ausgerechnet hatten! Wir dürfen sooo dankbar sein, für diesen außerparlamentarischen Ruck diverser NGOs – allen voran attac und oxfam – , denn jetzt wächst der Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP spürbar in Deutschland und Europa, u.a. der „Investitionsschutz“ wird als Instrument kolossaler Machtkonzentration entlarvt.
Und das dürfte neben Frau Merkel und ihren Amigos auch Herrn Gabriel ziemlich aufregen, und das ist gut so! Foodwatch-Chef Thilo Bode( Jahrgang 1947) schildert gemeinsam mit seinem wissenden Team-Kollegen im Detail präzise, wie im konkreten Einzelnen TTIP unser aller Verbraucherrechte und Umweltstandards aushebeln soll. Die Konzerne – die Kumpanei der US – amerikanischen mit den europäischen Wirtschaftsbossen ist hier beispiellos dabei, die Bevölkerung „gezielt zu desinformieren“ – wollen feindselig wie in einem science fiction über unsere Zukunft und so auch über unseren Alltag, u.a. über unsere Ernährung dominieren – Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte und der Umweltschutz sind extrem gefährdet mit deren undurchsichtigen generalstabsartigen Plänen.
Diese skrupellose Machtübernahme will Thilo Bode mit uns, den aufgeweckten BürgerInnen gemeinsam verhindern. Und dabei ist das notorische Chlorhuhn nur ein Aspekt, denn gesundheitsgefährdendes junkfood aller Art mit Gentechnik und Pestiziden wäre weitreichend Tür und Tor geöffnet. In seinem spannend wie ein Krimi geschriebenen Buch zeigt er auf, was sich bei den Geheimverhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA so alles abspielt, und welchen Gefahren wir ausgeliefert sind, wenn die PolitikerInnen dieses raffinierte Komplott – mir nichts, dir nichts – absegnen würden. Umso robuster sollten wir kollektiv und konkret Widerstand leisten und zwar JETZT!
Thilo Bode:
Die Freihandelslüge.
Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet.
Mitarbeit. Stefan Scheytt
Verlag: DVA Sachbuch
272 Seiten
€ 14,99
Die Entscheidung für eine sinnvolle Umkehr ist noch möglich.
Die Kanadierin Naomi Klein – Jahrgang 1970 – ist die jüngste der bemerkenswerten sozialkritischen Publizisten auf der lit.Cologne. Sie geht davon aus, dass der starre Erhalt des zerstörerischen neoliberalen Kapitalismus und ein erfolgreicher Kampf gegen den Klimawandel unvereinbar sind, da sich der dem ungebremsten Wachstumsirrsinn immanente eigendynamische Tempowahn nicht ausbremsen lässt, ohne eine gründliche ökonomische Umkehr. Insofern besteht Naomi Klein mit diesem umfangreichen opus magnum ihrer Gesellschaftsanalyse auf der Dialektik von Ökologie und Ökonomie: Ausbeutung der Menschen und Ausbeutung der Ressourcen gehen bei diesen kapitalistischen Besitz-Verhältnissen fatal Hand in Hand.
Die inzwischen totalitäre Ökonomisierung der Welt befällt auch noch die kleinste Körperzelle, nistet sich ein in jede menschliche Regung; Raubbau wird betrieben allüberall, wo der Fetisch der Gewinnmaximierung die Herrschaft erlangt hat. Das Credo der mächtigen Industrie – „die Stückzahl“! Das heißt Quantitäten um jeden Preis, und Gewinnspannen so profitabel wie irgend möglich. Wie sich dieser Irrsinn auf allen Erdteilen zerstörend auswirkt, wie ungeheuerlich das Leiden der Arbeitenden z.B. in den bodenschatzreichen Ländern Afrikas, oder in der äußerst fragwürdigen Chemieindustrie Asiens, inclusive all dieses schrecklich billigen Textil-Plunders, oder in der Herstellung überflüssigen und gefährlichen Plastikzeugs – all diese für Leib und Seele der Individuen so schädlichen Auswirkungen zeigen: so kann es nicht weiter gehen!
Das bedeutet global, dass wir eine viel stärker gelenkte Wirtschaft brauchen, bei der wir bewusst eine Reduktion von Produkten in Kauf nehmen. „Wir brauchen eine strategische Wirtschaft, in der wir bewusst entscheiden, in den Bereichen zu wachsen, die die Energiewende fördern, etwa im Bereich effizienterer Stromnetze, und in all den Branchen, die bereits umweltfreundlich sind, etwa im Pflege-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturbereich. Das sind alles klimaneutrale Jobs. Aber wir können das nicht einfach dem Markt überlassen und erwarten, dass es dann funktioniert.“ Sagte Naomi Klein im Rahmen der lit.Cologne im Interview mit wdr5, und formuliert dann ihre Vision von Verantwortung, damit sich die Erdenbürger insgesamt tatkräftig und engagiert einbeziehen können: „Die Lösung ist eine bewusst gesteuerte Wirtschaft, in der die Verbesserung der Lebensqualität das Ziel ist, im Einklang mit der Natur.“ Es gehe um „die Vorstellung davon, wie eine Energiewende weg von fossilen Brennstoffen auf Grundlage der Wissenschaft aussehen könnte, wie sie Millionen Arbeitsplätze schaffen, die Ungleichheit vermindern und unsere Demokratie stärken könnte, dass die Bewegungen, die gegen die wirtschaftliche Verelendung kämpfen, sich mit der Klimabewegung vereinigen und umgekehrt.“
Naomi Klein:
Die Entscheidung Kapitalismus vs. Klima
Sachbuch S. FISCHER
704 Seiten, gebunden
26,99 €
Außerdem gefielen mir auf der lit.Cologne noch zwei belletristische AutorInnen besonders gut: Heinrich Steinfest, Jahrgang 1961, ein Wiener, der in Stuttgart lebt, und als d e r Könner eines deutschsprachigen magischen Realismus bezeichnet werden kann. Er trug in der Comedia Köln Vergnügliches aus seinem neusten Roman „Das grüne Rollo“ vor, soeben im Piper Verlag erschienen.
Das großartige Schreibtalent aus Dublin, Tana French, geboren 1973, die atmosphärisch wundervolle Kriminalschriftstellerin, las auf einem schwimmenden Rheinschiff in sehr schön klingendem Englisch aus ihrem fünften Werk „Geheimer Ort“.
Hier meine Gedanken zu einem politischen Kriminalroman aus der Feder von Heinrich Steinfest: Allerhand Intrigen rund um ein neumodisches Monster
„Wo die Löwen weinen“
Der gelungene Politkrimi von Heinrich Steinfest
„Diese Geschichte ist selbstverständlich frei erfunden. Eine Stadt namens Stuttgart hat also nie existiert.“ Das steht sozusagen als Vorspann warnend über diesem munteren Roman, und schon regt sich das Zwerchfell, heftig, vor lauter Vorfreude.
Eigentlich ist einem bei Krimis ja selten zum Lachen zumute. Und die schrille Kombination von Brutalität und Schadenfreude, wie sie vornehmlich im Privatfernsehen dargeboten wird, lässt eher manche destruktive Enthemmung der Zuschauer befürchten, als den sinnvollen Impuls, sich helfend in ungerechten Situationen zu engagieren. „Wo die Löwen weinen“ – nun, da können die Leser in der Tat viel zu lachen bekommen, denn der gewitzte Autor Heinrich Steinfest, Jahrgang 1961, kennt sich aus in den politischen Niederungen rund um ein Pokerspiel, das aus Milliarden von Steuergeldern in Stuttgart und Umgebung knallhart durchgezogen werden soll.
Der Roman beginnt in München, wo ein ahnungsloser Jugendlicher frühmorgens beim Jogging an der Isar überfallen und drangsaliert wird. Bald allerdings mehren sich deutliche Hinweise, dass es sich um eine sehr gezielte Methode handelt, einen Geologen durch solche mafiösen Attacken auf seinen Sohn wissenschaftlich mundtot zu machen, eine kalkulierte Bedrohung, mit der interessierte Kreise kritische Einwände gegen das Immobilien-Mega-Projekt „S 21“ zum Schweigen bringen wollen. Vornehmlich aus der Perspektive des vor einigen Jahren bereits kaltgestellten Kommissars Rosenblüt, der zu einer möglichst moderaten Aufklärung dieses Falles beitragen soll, und deshalb vorübergehend nach Stuttgart ausgeliehen wird, kommt die irrwitzige Geschichte ins Rollen. Komisch wirken vor allem die handelnden Politiker – und Unternehmer – Figuren, die sich aus ehernen Bundesbrüdern einer schlagenden Verbindung hoch motiviert zu einer sehr lukrativen Seilschaft rekrutieren ließen.
Also auf die traditionelle Verschwiegenheit, von der ja schließlich bei dem Milliardengeschäft nicht nur die lokalen Größen profitieren, scheint zunächst Verlass. Bis, ja bis der gewiefte Rosenblüt auftaucht, investigativ recherchiert, dabei illustren, klugen wie sinnlichen Frauen und unscheinbaren, aber konsequent handelnden Männern begegnet, und die Mauscheleien um einen fragwürdig von langer Hand geplanten Tiefbahnhof ans schwäbische Tageslicht bringt. Der Autor Heinrich Steinfest spielt an allen Ecken und Enden dieser spannenden Politsatire auf der Klaviatur von wieder erkennbaren realen, aber literarisch gekonnt verfremdeten Protagonisten auf der Stuttgarter Provinzbühne, bunt gemixt mit Zitaten aus der Welt des internationalen Films. Diese Geschichte befördert sowohl für Außenstehende etliche Einblicke in die undurchsichtigen Strategien der realen Betreiber eines rasanten unterirdischen Megabahnhofs, sie zeigt gleichzeitig auch, wie beharrlich sich die Bürger – jung und alt, Frauen und Männer – mit aufklärenden Aktionen gemeinsam engagieren, nach dem Motto: „Oben bleiben“.
Heinrich Steinfest:
Wo die Löwen weinen
Krimimalroman
280 Seiten
2012. Piper Taschenbuch
8,99 €
Eine begabte Schriftstellerin aus dem Irland unserer Tage.
TANA FRENCH hat seit 2008 insgesamt fünf Kriminalromane geschrieben. Alle spielen aktuell im Raum Dublin. Alle zeigen in unglaublich präziser psychologischer Atmosphäre die individuellen Verwerfungen in der ökonomischen Krise Irlands. Das Besondere: Tana French stellt uns in jedem Buch – daher empfiehlt es sich, diese chronologisch zu lesen – jeweils eine Figur aus der ICH-Perspektive vor. Drum herum lernen wir die anderen Kollegen der Kriminalpolizei und die sehr widersprüchlichen familiären Umstände des Protagonisten kennen, Fakten, die alles andere als rosig und vorzeigbar sind, und dieser Mensch vielmehr heftige Abgründe, Selbstzweifel und Nöte zu verbergen versucht. French zeigt sie alle schonungslos, jedoch nie ohne Verständnis für ihre fatalen Hintergründe. Im jeweils folgenden Roman gibt es dann ein Wiedersehen mit einer bisherigen Nebenfigur, diesmal als Protagonist, und der vorige „Held“ agiert nunmehr im Umfeld! Und so ergibt sich ein gelungener und hochspannender Reigen, der sich in allen Büchern fortsetzt.
Alle Romane von TANA FRENCH sind inzwischen als Taschenbücher im S. Fischer Verlag erschienen. Übrigens kongenial übersetzt!
Comments 1