I.
Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, ist ein Mann, der lieber nichts sagt als einen falschen Ton zu setzen. Höflich und respektvoll im Umgang auch mit politischen Gegnern und ernsthaft in der Sache, das sind Eigenschaften, die ihn vom Gros derer unterscheiden, die nach seiner Rede am 14. März 2024 wieder einmal über ihn hergefallen sind.
Für sich und seine Fraktion hat er mit Blick auf den Krieg in und um die Ukraine mehr als zwei Jahre nach dem russischen Überfall eine entscheidende Frage gestellt, nach Meinung vieler die entscheidende Frage:
„Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann? Geht es nicht politisch auch um diese Fragen?“
Wer diese Fragen mit „Nein“ beantwortet, braucht Argumente, die einer ernsthaften Prüfung standhalten, ob man sie im Ergebnis teilt oder nicht. Statt ihm mit Argumenten zu begegnen, haben politische Gegner und die journalistische Begleit-Meute ihn aber mit Unterstellungen, Verleumdung und mit persönlicher Herabsetzung überzogen.
An die Spitze der Bewegung von Hass und Hetze setzte sich wieder einmal Andrii Melnyk, der auch nach seiner Zwangsversetzung als ukrainischer Botschafter von Berlin nach Brasilia seine Aufgabe in der gewerbsmässigen Verleumdung aller sieht, die zum Krieg in der Ukraine eine andere Auffassung vertreten als er. So hetzt er auf „X“ über Mützenich: „Habe immer gesagt: dieser Typ war und bleibt der widerlichste deutsche Politiker. Für immer und ewig.“
Man liest diesen Text richtig, dass es für Melnyk in Deutschland viele widerliche Politiker gibt. Es ist kein gutes Zeichen für die demokratische Kultur in Deutschland, dass, soweit ich sehe, niemand dieser Hetze widersprochen hat.
Genauso schlimm wie die Menschenfeindlichkeit im Umgang ist die Gedankenwelt, die hinter der Kampagne gegen Rolf Mützenich steht. Militarisierung des Denkens und Moralisierung als Politikersatz und Ersatzpolitik führen zu Denkverboten und zum Verlust aller Massstäbe. Man muss den Eindruck gewinnen, dass immer mehr in den Reihen von CDU, CSU, Grünen und FDP zum Opfer der eigenen Propaganda werden und in einem Parallel-Universum unterwegs sind.
Wie weit weg von der Wirklichkeit all jene sind, die Rolf Mützenich politisch und persönlich erledigen wollen, zeigt ein Beitrag, der am 5. März 2024 in „Foreign Affairs“ erschienen ist, einer Zeitschrift, die selbst Agnes Strack-Zimmermann nicht zum Zentral-Organ der Feinde der Ukraine erklären wird. Autoren dieses Textes sind Samuel Charap, leitender Wissenschaftler bei „RAND“, einem think tank, der seit vielen Jahrzehnten das Verteidigungsministerium der USA berät, und Jeremy Shapiro, Forschungsdirektor des „European Council on Foreign Relations“ und davor u.a. im Aussenministerium der USA.
II.
Wenn man den Artikel, der wenige Tage vor Mützenichs Rede im Bundestag erschienen ist, heute liest, wirkt er in weiten Teilen wie eine vorweggenommene Kommentierung vieler der Unterstellungen und Verdächtigungen, denen Mützenich seither ausgesetzt ist.
Der Beitrag steht unter der programmatischen Überschrift: „Wie den Weg ebnen für Diplomatie, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Verhandlungen nicht jetzt – aber es ist Zeit über das Reden zu reden“
Die Autoren stellen eingangs fest:
„Alle Hauptakteure scheinen in einer zentralen Frage einig zu sein: Der Krieg in Ukraine wird durch Verhandlungen beendet werden….
Mangels entscheidender Ergebnisse auf dem Schlachtfeld in den vergangenen zwei Jahren scheint jede Alternative zu einem Ende durch Verhandlungen (der Sieg einer Seite) wie ein Hirngespinst…
…
Auch wenn eine Verständigung gegenwärtig ausser Frage steht, sollten jetzt alle Seiten Schritte gehen, die künftige Gespräche möglich machen.“
Das ist genau die Position, die der Vorsitzende der SPD- Fraktion am 14. März im Bundestag formuliert hat. Nicht weniger und nicht mehr.
Der Artikel ist besonders lesenswert, weil die beiden Autoren sich ganz konkret mit Behauptungen auseinandersetzen, immer wieder gegen Verhandlungen und ihre politische Vorbereitung ins Feld geführt werden.
Da heisst es immer wieder, es lohne nicht, sich über Verhandlungen Gedanken zu machen, weil „Putin ja ohnehin nicht verhandeln“ wolle und einen „Waffenstillstand nur für weitere Aufrüstung nutzen“ werde.
Dazu stellen Charap und Shapiro fest:
„Mitten im Krieg ist es schwer zu wissen, ob ein Gegner wirklich bereit ist, das Kämpfen zu beenden oder nur zynisch vom Frieden spricht, um weiter seine Kriegsziele zu verfolgen. Ohne Dialog ist es fast ausgeschlossen, die Absichten des Gegners zu erkennen. Deshalb ist es notwendig, Kommunikationskanäle zu schaffen, um in der Lage zu sein, die Gelegenheit zum Frieden zu nutzen, wenn sie sich bietet…
…
Wenn keine Seite diesen Prozess beginnt, werden die Konfliktparteien da stehen bleiben, wo sie heute sind – über wenige Zentimeter Gelände heftig kämpfen mit schrecklichen Kosten an Menschenleben und für die regionale Stabilität auf Jahre hinaus.“
Mich überzeugt diese Argumentation. Wer ihr nicht folgt, muss mit besseren Argumenten widersprechen. Wer stattdessen Propaganda verbreitet und Hetze verbreitet, handelt unverantwortlich.
Die nächste Behauptung derer, die versuchen, jegliche diplomatische Bemühungen als unmoralisch zu brandmarken, lautet: „Putin kann man nicht trauen.“
Dazu stellen Charap und Shapiro fest:
„Gegenseitiges Misstrauen zwischen kriegsführenden Parteien gehört zum Alltag aller Kriege und aller Verhandlungen, die Kriege beendet haben. Wenn Vertrauen Vorbedingung wäre, gäbe es nie Gespräche zwischen Kriegsparteien. Beide Seiten können und sollten Gespräche beginnen trotz ihres wechselseitigen Misstrauens.“
Mich überzeugt diese Argumentation. Wer ihr nicht folgt, muss mit besseren Argumenten widersprechen. Wer stattdessen Propaganda und Hetze verbreitet, handelt unverantwortlich.
Eine weitere Behauptung derer, die auf die unbegrenzte Fortsetzung des Kriegs setzen, lautet: „Verhandlungen sind sinnlos, weil Putin von seinen Maximal-Forderungen nicht abrückt und die ganze Ukraine (und noch weitere Länder) unterwerfen will.“
Dazu stellen Charap und Shapiro fest:
„Wenn die Ziele eines Gegners tatsächlich maximalistisch sind, steht man vor der schlichten Wahl zwischen Kapitulation und Fortsetzung des Kriegs. Im Ergebnis scheinen sich dann beide Seiten mit der Unvermeidbarkeit eines langen, ausserordentlich zerstörerischen Kriegs abgefunden zu haben, von dem beide behaupten, ihn nicht führen zu wollen. Es kann sein, dass jede Seite Recht hat, was die maximalistischen Ziele der anderen Seite angeht. Ohne Kommunikationskanal bleibt aber jede Aussage über die wahren Absichten der anderen Seite ungeprüft.“
Mich überzeugt diese Argumentation. Wer ihr nicht folgt, muss mit besseren Argumenten widersprechen. Wer stattdessen Propaganda und Hetze verbreite, handelt unverantwortlich.
Gegen Ende ihres Artikels erinnern die Autoren an eine Einsicht, die in der Debatte vollkommen aus dem Blick zu geraten scheint, obwohl sie doch fundamentale Bedeutung hat und Gemeingut sein sollte:
„Noch so viel Unterstützung kann die Sicherheit und das Wohlergehen der Ukraine nicht sichern ohne ein Ende des Kriegs.“
Was fällt so vielen in den Medien und so vielen, die politische Verantwortung haben, aber nicht wahrnehmen, so schwer, diese Einsicht zu akzeptieren?
Wie unmittelbar an die deutsche Aussenministerin gerichtet klingt es, wenn die Autoren schreiben:
„Wenn die Vertreter des Westens sich in ihrer Wortwahl bei öffentlichen Äusserungen mässigen würden, wäre das ein einfaches, aber wichtiges Signal. Offizielle Vertreter könnten zum Beispiel ihre Bereitschaft erklären zu konditionierten Erleichterungen bei Sanktionen als Teil eines Verhandlungsergebnisses zur Beendigung des Kriegs.“
Abschliessend kommen Charap und Shapiro deshalb zu einem klaren Ergebnis:
„An den Verhandlungstisch zu kommen, wird nicht einfach sein, aber die Alternative ist ein endloser, zermürbender Krieg, den beide Seiten nicht zu wollen behaupten und den beide Seiten durch Weiterkämpfen verlieren.“
III.
Bei all den Unterstellungen und Verleumdungen, die Rolf Mützenich nach seiner Rede wieder einmal erleben musste und muss, ging mir immer wieder ein Satz von Paul Valéry durch den Kopf, des grossen französischen Lyrikers, Widerstandskämpfer gegen Nazi-Deutschland, der aus langer Erfahrung gesagt hat: „Wer den Gedanken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an.“
Das ist für jeden Einzelnen und für jede Gesellschaft gefährlich. Wo Freund-Feind-Denken sich breitmacht, bleibt kein Raum für Wort und Widerwort, für einen Streit, der mit Argumenten geführt wird. Wir brauchen den Streit, auch den harten Streit, aber er muss in deer Sache und um der Sache willen geführt werden.
Jeder und jede versteht, dass über Fragen von Krieg und Frieden auch mit Leidenschaft gestritten wird. Noch so grosse Leidenschaft und auch noch so grosse persönliche Betroffenheit oder Anteilnahme geben aber niemandem das Recht, andere persönlich herabzusetzen und ihnen die Moral abzusprechen.
Rolf Mützenich hat in den letzten Tagen deutlich gemacht, dass er an dem festhält, was er am 14. März im Bundestag gesagt hat. Wer anderer Meinung ist, soll ihm mit Argumenten widersprechen. Der Beitrag in „Foreign Affairs“ macht allerdings deutlich, dass alle, die das versuchen, vor einer Aufgabe stehen, die unüberwindbar sein könnte.
Von Egon Bahr habe ich gelernt: „Wer Frieden will, muss reden – vor allem mit denen, die ihn nicht wollen.“
Christoph Habermann stimme ich uneingeschränkt zu.
Nicht Mützenichs sehr differenzierte zwei Frage-Sätze, wie sie Chr. Habermann (s.o.) wörtlich zitiert, können Anlass für all die mediale Empörung sein, sondern die Reaktionen in Politik und zahlreichen sogenannten Leitmedien ist der eigentliche Skandal. Wie undifferenziert, z.T. bösartig verkürzt die Worte des SPD-Fraktionsvorsitzenden umgedeutet werden, ist pure manipulative Meinungsmache bzw. Kampagnen-Journalismus. Ein demokratischer Diskurs in strittiger Frage sieht anders aus!
Insofern teile ich Christoph Habermanns kritische Analyse und kluge Argumente in vollem Umfang.