Die Bundesregierung muss den politischen Druck auf Israels Premierminister Netanjahu im Gaza-Konflikt dringend erhöhen. Es gilt, den Tod tausender weiterer Menschen zu verhindern. Die Zeit drängt.
Es war höchste Zeit, dass Olaf Scholz klare Worte fand. Nach seinem Gespräch mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu am Wochenende trat der deutsche Kanzler gemeinsam mit dem Israeli vor die Presse. „Wir können nicht dabei zusehen, wie Palästinenser verhungern. Das sind nicht wir, das ist nicht, wofür wir stehen.“ sagte der Kanzler. Er sprach von „schrecklich hohen Kosten“.
Lange, zu lange, war die deutsche Bundesregierung nach dem Massaker der palästinensischen Hamas-Terroristen am 7. Oktober in eine Art Schockstarre verfallen. Sie hatte völlig zurecht das Massaker der Islamisten als das verurteilt, was es war: als barbarisches Verbrechen. Während der Massenmord an weit mehr als tausend unschuldigen israelischen Zivilisten – Männern und Frauen, Babys und Greisen – in manchen intellektuellen westlichen Kreisen in ekelhafter Weise noch als „legitimer Widerstand“ verklärt wurde, bekannte sich die deutsche Politik völlig zu Recht zur Solidarität mit Israel. Und zu dessen Recht auf Selbstverteidigung. Das ist das Mindeste, was jeder Deutsche aus der Geschichte gelernt haben sollte.
Danach aber: weitgehend Schweigen. Viel zu lange schaute die Bundesregierung bei dem zu, was Israel unter der „Vernichtung der Hamas“ versteht. Die Armee walzt den Gaza-Streifen seit Oktober mit ungeheurer Feuerkraft platt, macht weite Teile unbewohnbar, schneidet die Bevölkerung von Wasser und Nahrung ab, zerstört die Infrastruktur, treibt hunderttausende schutzlose Palästinenser wie Vieh in den vermeintlich „sicheren“ Süden des Küstenabschnitts.
Inzwischen hat das gnadenlose Vorgehen der israelischen Armee auf palästinensischer Seite zehntausende Menschenleben gefordert – hauptsächlich Zivilisten. 40 Prozent der Toten sind laut UN Kinder und Jugendliche. Natürlich sind auch Hamas-Kämpfer unter den Toten – doch die Islamisten missbrauchen die eigene Bevölkerung als Schutzschild und verstecken sich feige hinter Frauen und Kindern. Die israelische Regierung scheint indes bereit, jeden Blutzoll unter den Palästinensern hinzunehmen, um nach dem Trauma des 7. Oktober die Hamas zu vernichten. Was ihr nach Einschätzung internationaler Experten nicht gelingen wird. Ganz im Gegenteil: So wird der Hass und der Terror in der Region für Generationen weiter befeuert.
Die Regierung Netanjahu scheint das billigend in Kauf zu nehmen. Wie weit will sie noch gehen? Will sie den schmalen und überbevölkerten Küstenstreifen völlig entvölkern und die Bewohner vertreiben? Sollen dort künftig gar radikale israelische Siedler eindringen, wie sie es schon fordern? Will die Regierung so einen Flächenband riskieren, in den immer mehr Länder der Region hineingezogen werden? Es scheint, als ob die mit korrupten und rechtsradikalen Politikern gespickte Regierung Netanjahu, die bei den eigenen Bürgern mehr als umstritten ist, im brutalen Krieg die einzige Chance zum politischen Überleben sieht. Welch ein Zynismus!
So schrecklich die Vorstellung ist: Das Schlimmste steht den Menschen im Gaza-Streifen offenbar noch bevor. Netanjahu hat jetzt eine Offensive seiner Armee in der Stadt Rafah angekündigt. Dort vermutet man größere Gruppen von Hamas-Kämpfern, die man vernichten will. Doch in diese südliche Region haben sich hunderttausende Palästinenser auf Geheiß Israels geflüchtet, dessen Armee den Gaza-Streifen von Norden her umgepflügt hat. Diese Menschen sitzen nun in der Falle – zwischen den Hamas-Terroristen auf der einen und der rücksichtslosen israelischen Armee auf der anderen Seite. Es droht ein fürchterliches Blutbad.
Der Westen darf nicht tatenlos zuschauen. Namentlich die beiden engsten Verbündeten Israels – Washington und Berlin – müssen unverzüglich den Druck auf die Netanjahu-Regierung erhöhen und auch mit harten Konsequenzen drohen.
Um es klar zu sagen: Bei diesem dringend erforderlichen Druck geht es nicht um den Staat Israel und dessen Existenzrecht, das außerhalb jeden Zweifels stehen muss. Es geht auch nicht um das legitime Recht auf Selbstverteidigung eines demokratischen Landes gegen islamistische Extremisten. Eigentlich sollte es unnötig sein, auf all das hinzuweisen – doch gilt es, sich von Anfang an gegen die Vereinnahmung durch falsche „Freunde“ und deren Applaus zu wappnen.
Und es geht schon gar nicht um „die Juden“ und „die Moslems“. Nicht in Nahost – und nicht in Deutschland. Wohl aber geht es um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Wer um die von der Hamas ermordeten Israelis trauert, der darf – ja muss – auch um die tausenden palästinensischen Kinder trauern, die schon jetzt dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Um die einen Toten zu weinen und die anderen emotionslos hinzunehmen oder deren Tod gar gutzuheißen – das ist in dem einen Fall widerlicher Antisemitismus und auch in dem anderen Fall blanker Rassismus.
Israels Regierung muss gestoppt werden. Das massenhafte Sterben muss endlich aufhören.
Wer jetzt schweigt, macht sich mitschuldig.
Bildquelle: gloucester2gaza, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons