Das Drama um Julian Assange geht in die entscheidende Phase. Eine letzte gerichtliche Anhörung noch, die womöglich letzte Chance für den Wikileaks-Gründer, der Auslieferung an die USA zu entgehen. Die letzte Hoffnung auch, dass das unsägliche juristische Tauziehen und das unmenschliche Martyrium noch ein gerechtes Ende nehmen. Dieses Verfahren ist eines Rechtsstaats unwürdig. Es hätte es nie geben dürfen.
„Journalismus ist kein Verbrechen.“ Dies ist die Kernaussage, die Kritiker der US-Justiz entgegenhalten. Sie will dem 52-Jährigen wegen Spionage den Prozess machen. Bei einer Verurteilung in den USA drohen dem australischen Staatsbürger bis zu 175 Jahre Haft. Der Anlass: Assange hat ihm zugespielte Belege für Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte in Afghanistan und im Irak 2010 öffentlich gemacht. Dafür gebührt ihm Anerkennung, nicht Verfolgung.
Doch die US-Behörden sind unerbittlich und finden fragwürdige Unterstützung in befreundeten Staaten. Wird nun der Antrag auf Berufung am Londoner High Court abgelehnt, wäre der Rechtsweg in Großbritannien ausgeschöpft. Assange bliebe als allerletzte Möglichkeit der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ob die britische Justiz das jedoch akzeptieren würde, ist mehr als ungewiss.
Rückblick auf die Leidensgeschichte: Nach Jahren der Verfolgung, Isolationshaft und psychischer Folter gilt Assange als schwerkranker Mann. Seit April 2019 sitzt er im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein. Zuvor hatte er sieben Jahre Zuflucht in der Botschaft von Ecuador gesucht, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen. Inzwischen wurden die Ermittlungen der schwedischen Behörden eingestellt, der Vorwurf der Vergewaltigung hatte sich als konstruiert erwiesen.
Angesichts des Drucks, den Washington auf seine Verbündeten ausübte, und der Willfährigkeit, mit denen die Behörden in Schweden und Großbritannien agierten, war bereits vor drei Jahren mit einer Auslieferung gerechnet worden. Das Londoner Gericht wies das Auslieferungsersuchen der USA damals allein mit Blick auf Assanges Gesundheitszustand ab. Die US-Justiz kündigte umgehend Revision an.
Der Skandal hatte viele Jahre im Dunst von Vorwürfen, Verleumdungen und Diffamierungen geschwelt, ehe sich 2019 schließlich Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter für Folter einschaltete und die unzumutbaren Haftbedingungen anprangerte. Er recherchierte hartnäckig die ungereimten Vorgänge in Schweden ebenso wie die unglaublichen Menschenrechtsverstöße, er konfrontierte die Regierungen mit schwersten Vorwürfen, musste sich mit nichtssagenden Antworten abspeisen lassen und sogar dafür rechtfertigen, dass er sich überhaupt um Aufklärung bemühte.
Der Völkerrechtler, der vor seiner Berufung zum UN-Sonderberichterstatter für Folter zwölf Jahre als Delegierter für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) gearbeitet hat, rüttelte eine breitere Öffentlichkeit wach und machte die Tragweite des Geschehens deutlich, beispielsweise im Interview mit „Republik“, in dem Melzer sagte: „Mächtige können straflos über Leichen gehen, und aus Journalismus wird Spionage. Es wird ein Verbrechen, die Wahrheit zu sagen.“
Er habe viel Schrecken und Gewalt gesehen, führte er aus, „wie schnell sich friedliche Länder wie Jugoslawien oder Ruanda in eine Hölle verwandeln können“. An der Wurzel solcher Entwicklungen stünden „immer Strukturen mangelnder Transparenz und unkontrollierter politischer oder wirtschaftlicher Macht, kombiniert mit der Naivität, Gleichgültigkeit und Manipulierbarkeit der Bevölkerung. Plötzlich kann das, was heute immer nur den anderen passiert – ungesühnte Folter, Vergewaltigung, Vertreibung und Ermordung – ebenso gut auch uns oder unseren Kindern passieren. Und es wird kein Hahn danach krähen.“
Melzer argumentierte grundsätzlich und verteidigte die universellen Menschenrechte und die Prinzipien des Rechtsstaats: „Ich sage nicht, Julian Assange sei ein Engel. Oder ein Held. Aber das muss er auch nicht sein. Denn wir sprechen von Menschenrechten und nicht von Engels- oder Heldenrechten. Assange ist ein Mensch, er hat das Recht, sich zu verteidigen und menschlich behandelt zu werden. Was auch immer man Assange vorwirft, er hat ein Recht auf ein faires Verfahren.“
Das habe man ihm konsequent verwehrt, und zwar sowohl in Schweden wie auch in den USA, in England und in Ecuador. Melzers Fazit: „Vier demokratische Staaten schließen sich zusammen, USA, Ecuador, Schweden und Großbritannien, um mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne dass jemand aufschreit. Der Fall ist ein Riesenskandal und die Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit. Wenn Julian Assange verurteilt wird, dann ist das ein Todesurteil für die Pressefreiheit.“
Damals wie heute wäre eine politische Lösung denkbar. Das australische Parlament hat aktuell ein Ende der Strafverfolgung und die Rückkehr von Julian Assange zu seiner Familie gefordert. Die australische Regierung setzt sich für die Freilassung ihres Staatsbürgers ein. Doch US-Außenminister Anthony Blinken hat solche Forderungen bislang zurückgewiesen.
Das wirft kein gutes Licht auf US-Präsident Joe Biden. Der hatte sein Amt mit dem Versprechen angetreten, der Demokratie und Rechsstaatlichkeit wieder Geltung zu verschaffen. Unter seinem Vorgänger Donald Trump hatten die und auch die Pressefreiheit arg gelitten. Während Barack Obama noch auf eine Anklage gegen Assange verzichtet hatte, setzte Trump das Verfahren mit aller Härte in Gang.
Nun wird spekuliert, dass Biden nicht handelt, weil auf der Plattform Wikileaks im Präsidentschaftswahlkampf 2016 auch Mails von Hillary Clinton veröffentlicht wurden, die der demokratischen Bewerberin geschadet hätten. Das allerdings wäre armselig und schon bedenklich nah an dem Demokratieverächter Trump, der in Journalisten „Feinde des Volkes“ sieht, denen er bei Enthüllungen offen mit Gefängnis droht.
Bildquelle: Cancillería del Ecuador, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons