1. Hintergrund
Die USA sind in der Bredouille. Die Not ist groß. Sie ist so groß, dass Präsident Biden dem ukrainischen Präsidenten bei dessen Besuch am 12. Dezember 2023 in Washington die bittere Wahrheit ins Gesicht sagte: Die Unterstützung der USA werde nur noch dauern „as long as we can“, nicht mehr „as long as it takes“. Der Ukraine waren von den USA militärische und finanzielle Hilfen zugesagt worden, die die Biden-Administration am 20. Oktober 2023 vom Kongress erbeten hatte. Es geht um 61,4 Mrd. $ für das Jahr 2024. Die werden voraussichtlich nicht freigegeben. Die Entscheidung fällt diese Woche. Maximal wird ein Bruchteil freigegeben werden.
Auch in der EU wächst der Widerstand gegen weitere Zahlungen an die Ukraine. Der Europäische Rat scheiterte bei der Bestätigung des Planes der EU-Kommission, 50 Mrd. € noch vor der nächsten Europawahl für die Ukraine budgetär zu sichern: 17 Mrd. € sollen als Zuschüsse direkt gezahlt, 33 Mrd. € als Kredite vergeben werden. Viktor Orbán hatte sein Veto gegen die weitere Finanzierung Kiews eingelegt.
Die Zeit drängt, die Ukraine droht in eine wirtschaftliche Schieflage zu rutschen. Das Budget für das Haushalts-Jahr 2024, welches Präsident Selenskyj im November 2023 unterzeichnet hat, sieht Einnahmen in Höhe von 49 Mrd. $ vor. Die veranschlagten Ausgaben liegen bei 93 Mrd. $, wovon 46 Mrd. $ an das Militär gehen. Die Haushalts-Lücke für das Jahr 2024 beträgt somit 44 Mrd. $ und liegt damit in etwa gleichauf mit den Ausgaben für das Militär. Zu hören ist, dass der Ukraine nur noch wenige Monate bleiben, bevor sie gezwungen sein würde, eine drastische „Anpassung“ in ihrer Wirtschaft vorzunehmen. Das aber könnte den Durchhaltewillen der ukrainischen Bevölkerung beschädigen.
2. Die EU wollte vorangehen, fand keine rechtliche Basis und traf auf Widerstand der Zentralbank
Also wird intensiv nach Ersatz für die entfallenden Leistungen aus Haushaltsmitteln der USA und der EU in der Größenordnung von gut 100 Mrd. $/a gesucht. Das ist kein Pappenstiel. In den Fokus geraten sind erneut die bislang in westlichen Staaten lediglich eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank (CBR). Da geht es nach detaillierten Angaben Russlands um rd. 341 Mrd. $, nach strukturell intransparenten Angaben der G7 (REPO-Task-Force vom 7. September 2023) um 280 Mrd. $. Die EU hat noch ergänzt, dass mehr als 200 Mrd. € bei europäischen Clearing Houses liegen, davon 141 Mrd. € bei Euroclear (Belgien).
Im Frühjahr 2023 hatte die politische Führungsebene der EU signalisiert, bei diesem rechtlich heiklen Thema vorangehen zu wollen. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine, Ende Februar 2023, gab es eine entschieden klingende gemeinsame Erklärung „der Mitglieder“ (sic!) des European Council (EUCO) folgenden Inhalts:
„We will also support Ukraine’s reconstruction, for which we will strive to use frozen and immobilised Russian assets in accordance with EU and international law,”
Damals sollten Russlands beschlagnahmte Devisenreserven noch dem Wiederaufbau der Ukraine dienen, jetzt, in der Not der westlichen Unterstützer, soll damit die Fähigkeit der Ukraine zur Weiterführung des Krieges finanziert werden.
Die Erklärung von Ende Februar offenbarte übrigens eine bezeichnende Hierarchie: Der politische Wille bestehe, die rechtliche Möglichkeit werde sich schon eröffnen – also den Primat des politischen Willens über die rechtliche Beschränkung. Konsequenz war, so wird berichtet, ein “Exodus” von Vermögensanlagen bei westlichen Finanzinstitutionen von Staaten, die zu verhindern suchen, dass eine solche Entscheidung des Westens eines Tages sie treffen könnte.
Daraufhin stockte der Entscheidungsprozess diesseits des Atlantiks. Die ursprüngliche Zeitplanung, eine politische Entscheidung der G7 bei ihrem Gipfel am 12. Juli 2023 herbeizuführen und eine Entscheidung in rechtlicher Form dann im September, liess man verstreichen. Am 21. Juni 2023 wurde der Presse in Brüssel signalisiert, ein “legal team“ der Europäischen Kommission habe mehrere Monate lang zu der Fragestellung gearbeitet und sei in einem unveröffentlichten Sieben-Seiten-Bericht zu dem Ergebnis gekommen, man
“sees no credible legal avenue allowing for the confiscation of frozen or immobilised assets on the sole basis of these assets being under EU restrictive measures,”
Im Oktober 2023 dann tauchten Berichte auf, die signalisierten: Dass die EU so entscheidet, wie von der EU-Kommission konzipiert, ist so gut wie ausgeschlossen. Deutschland und Frankreich wurden als Kern der ablehnenden Staaten genannt.
Entscheidend dafür aber war nicht die Grenze des Rechts, nichts Identität-Bestimmendes. Es war vielmehr die Haltung der Währungshüter, also schnödes finanzsystemisches Interesse.
3. Wer suchet, der findet …. bevorzugt bei anderen
Die USA verstärken gegenwärtig anscheinend ihre Bestrebungen, zu einer abgestimmten Enteignungsentscheidung zu kommen, um über die russischen Gelder verfügen zu können. Die westlichen Probleme in der Finanzierung der Ukraine (> 100 Mrd. $/a) sind bedingt durch mangelnde Zustimmung in den jeweiligen politischen Systemen, obwohl der Mehrheitswille unzweifelhaft ist. Die Enteignung russischer Vermögenswerte unter Umgehung dieser politsystemisch bedingten Blockaden durch Minderheiten könnte die Finanzierungsprobleme für gut zwei Jahre „heilen“. Das ist eine verführerische Option.
Der Anteil, der in den USA eingefroren wurde, ist allerdings gering, auf diese Reaktions-Option hatte Russland sich schließlich vorbereitet. Der Hauptteil der eingefrorenen Summe liegt außerhalb der USA. Die Idee der USA scheint somit nicht nur zu sein, einem Dritten, Russland, in die Tasche zu greifen, sondern das auch noch via Konten in der Verfügung eines Vierten, der EU. Das ist eine pikante Konstellation.
In den Wochen nach Weihnachten wurden die Gespräche im G7-Rahmen über die Verwendung eines Teils des eingefrorenen russischen Staatsvermögens auf Initiative der USA intensiviert. „Verwendung“ ist wie gesagt nur möglich nach „Enteignung“. Schutz des Eigentums gegen „Enteignung“ aber ist die Schlüssel-Heilige-Kuh der westlichen Wirtschaftsordnung. In G7-Ausschüssen haben die US-Vertreter nun argumentiert, dass es einen Weg zur Enteignung des Vermögens von Drittstaaten „im Einklang mit dem Völkerrecht“ gebe. David Cameron, der neue britische Außenminister, zeigte sich zuversichtlich, dass es „einen legalen Weg“ gebe, die Vermögenswerte zu enteignen, und schlug vor, dass das Vereinigte Königreich mit den USA zusammenarbeite, wenn andere G7-Verbündete nicht überzeugt werden können.
Die US-Seite schlägt vor, die Entscheidung bei einem möglichen Treffen der G7-Staats- und -Regierungschefs anlässlich des zweiten Jahrestages der Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2024 zu treffen.
Die EU-Vorschläge verzichten bisher auf die offene Enteignung der russischen Vermögenswerte. Sie zielten stattdessen auf einen Mittelweg. Die juristische Pirouette: Lediglich den Ertrag konfiszierter russischer Vermögenswerte abzuschöpfen, erfülle nicht den Tatbestand einer „Enteignung“. Damit wurde auch schon Ernst gemacht.
Euroclear in Belgien, wo russisches Zentralbankguthaben im Wert von 141 Milliarden Euro gehalten wird, erzielte damit offenbar bislang 3 Mrd. €/a an Erträgen und führte sie den blockierten Konten zu. Belgien hat nun eine „Steuer“ auf Erträge aus (blockierten) Anlagen der Zentralbank Russlands (CBR) und anderer in Höhe von 100% eingerichtet – also nicht ernstlich eine „Steuer“. Der Ertrag aus der russischen Vermögensanlage wird in Zukunft vollständig an den belgischen Staat abgeführt. Von dort fließt das Geld in einen bereits eingerichteten staatlichen Fonds. Belgiens Premierminister Alexander De Croo hat dem ukrainischen Präsidenten bei dessen Besuch in Belgien am 11. Oktober 2023 die Unterstützung der Ukraine aus den Erträgen konfiszierter russischer Vermögenswerte zugesagt.
Ob die EU angesichts des immensen Drucks, der in den USA herrscht und folglich von ihr nach Europa weitergeleitet wird, bei ihrer bisherigen Position bleiben wird, ist offen. Das „can“ in „as long as we can“ muss dehnend interpretiert werden.