1. Hintergrund
Der Westen hat Schwierigkeiten, seine Solidarität der Ukraine gegenüber durchzuhalten. Die hatte er im März 2022 versprochen, das scheint die Grundlage für die Entscheidung der Ukraine gewesen zu sein, den mit Moskau im März 2022 ausgehandelten Kompromiss im Istanbuler Kommuniqué abzusagen und das Wagnis eines vollen Landkrieges mit Russland einzugehen. US-Präsident Biden hat sein Versprechen einer Solidarität bereits von „as long as it takes“ auf „as long as we can“ abgemeiert. Es geht, für die USA und Europa zusammen, um ein Finanzvolumen in Höhe von rund 100 Mrd. $/a, etwa die Hälfte für militärische Unterstützung, die andere Hälfte zur Stützung des Haushalts der Ukraine. Die Ukraine ist angesichts dessen auf den internationalen Finanzmärkten nicht mehr kreditwürdig, die Finanzierung des Umschuldungsbedarfs durch den Westen wird in Zukunft noch hinzu kommen.
Vor diesem Hintergrund sucht der Westen, die G7, händeringend nach Alternativen zur Finanzierung aus Haushaltsmitteln, die weitgehend blockiert sind. Die dürfen auch „unkonventionell“ sein – hier wird der aktuelle Stand berichtet. Die heiße Kartoffel dabei ist die „Enteignung“. Der Schutz des Eigentums rangiert im Wertehimmel des Westens sehr hoch, wenn es um fremdes Staatsvermögen geht, ist die Kartoffel besonders heiß. Hinzu kommt, dass konfisziertes Staatsvermögen ein Pfund in allfälligen Waffenstillstands-Verhandlungen darstellen kann, weil die Aufhebung der Konfiszierung als Anreiz eingebracht werden kann. Ist ein konfisziertes Vermögen einmal enteignet, so kann es zwar für beliebige Zwecke verwendet werden, es kann nach Verwendung jedoch nicht mehr zurückgegeben werden – die Option des friedenspolitischen Einsatzes ist dann vergeben. Bislang hält das Tabu gegenüber dem Schritt zur Enteignung weitgehend – aber es bröckelt.
2. Der aktuelle Fall des Sanktionsumgehungsversuchs
Zu berichten ist vor diesem Hintergrund von einem aktuellen Fall, der pionierhaft ist und deswegen Aufmerksamkeit verdient. Es geht um viel Geld, um etwa 720 Mio. €, konfisziert in Deutschland. Relativ zur finanziellen und humanitären Unterstützung der Ukraine aus Haushaltsmitteln in Deutschland in Höhe von 2 Mrd. €/a ist das sehr viel Geld.
Es geht um Geld der NSD, d.i. der Wertpapierverwahrstelle der Moskauer Börse, einer Tochtergesellschaft der Moskauer Börse. Die hatte ihr Geld bei der Deutschland-Tochter der US-Großbank J.P. Morgan geparkt und auch nach Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine nicht zurückgezogen – die Manager scheinen politisch geschlafen zu haben. Aufgewacht scheinen die Verantwortlichen in Moskau erst im Juni 2022 zu sein, als die NSD durch die EU sanktioniert, ihr Vermögen eingefroren wurde. Erst an dem Tag, an dem die Listung der NSD im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, soll die NSD bei J.P. Morgan einen Überweisungsauftrag platziert haben, vermutlich mit der Intention, ihr Guthaben noch in Sicherheit zu bringen. Das war nicht nur zu spät, es gelang nicht nur nicht. Der Überweisungsauftrag wird von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe überdies als ein Versuch verstanden, EU-Sanktionen zu umgehen. Das kann inzwischen drastisch geahndet werden. Die Gelder sind als Tatmittel verwendet worden. Die Einziehung des Tatmittels zu 100% ist nach Ansicht der Karlsruher Ermittler dann möglich.
Der Zugriff stellt eine neue Dimension bei der Durchsetzung westlicher Sanktionen gegen Russland dar. Erstmals würde nicht lediglich der Ertrag eines beschlagnahmten Vermögens enteignet. Vielmehr würde erstmals in Europa das gesamte sistierte Vermögen enteignet, als Strafe wegen eines Verstoßes gegen Vorgaben zum Umgang mit diesem Vermögen.
Die Bundesanwaltschaft hat einen Antrag auf solche enteignungsgleiche Vorgehensweise beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main gestellt. Sollte sie damit Erfolg haben, so würden die mehr als 720 Mio. € dem Bundeshaushalt zufließen. Das Geld wäre dort nicht zweckgebunden.
3. Ein Vergleich: Vorteilsabschöpfung im PKW-Abgas-Fall
Der „robuste“ Umgang der Bundesanwaltschaft mit der Enteignung eines Unternehmensvermögens wird hier kontrastiert mit dem buddyhaften Umgang der Staatsanwaltschaften deutscher Bundesländer mit dem Vermögen von deutschen Auto-Firmen im PKW-Abgas-Fall. Wir erinnern uns. Im Gefolge der Finanzkrise 2007/08 trat 2009 eine PKW-Absatzkrise ein. Die Top-Politiker in Brüssel beschlossen daraufhin, die Branche zu entlasten. Mittel war, die Regulierung zur Begrenzung der Fahrzeug-Emissionen in Europa in EGV 715/2007 für fünf Jahre administrativ undurchsetzbar zu machen. Zwischen „unzulässigen“ und „zulässigen“ Verfahrensweisen der Einschränkung der vollen Leistungsfähigkeit der Abgasreinigung qua Laufenlassen der (unbedingt erforderlichen) Abschalteinrichtung zu unterscheiden, sollte solange nicht möglich sein. Der heimliche Entscheid der Brüsseler Spitzen im Jahre 2010 war ein Angebot für ein illegales Geschäftsmodell der Fahrzeughersteller. Die nutzten das, insbesondere deutsche und italienische.
Die rechtsstaatlich „trickreiche“ Vorgehensweise der Brüsseler Top-Ebene hat eine Schleifspur von Kollateralschäden nach sich gezogen. Das hervorstechende Ergebnis: Im Spätsommer 2015 waren etwa 30 Mio. Fahrzeuge (PKW und leichte Nutzfahrzeuge) mit ‚stiller ungültiger Typ-Genehmigung’ auf Europas Straßen in Betrieb. Da poppte der Skandal auf, doch es wurden immer mehr Fahrzeuge, der Aufwuchs wurde ja nicht gestoppt – es wurden bekanntlich keine Produktionsbänder angehalten. Im Höhepunkt lag die Zahl von Fahrzeugen mit ‚stiller ungültiger Typ-Genehmigung’ wohl bei 40 Mio.. Untergruppe sind die Fahrzeuge mit festgestellter illegaler Typ-Genehmigung, davon rd. 10 Mio. von VW.
Das Unrecht war enorm, desaströse Schäden für die Gesundheit von Menschen und die Umwelt waren die Folgen. Das brachte die Strafverfolgungsbehörden auf den Plan. Ein Strafrecht für Unternehmen aber gibt es in Deutschland nicht – Deutschland ist da eine Ausnahme in Europa und anderen Rechtsstaaten. Surrogat ist hier das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Demnach ist bei Verstößen eine Geldbuße zu verhängen. Die besteht aus zwei Teilen, einem zur Ahndung sowie einem zur Abschöpfung. Die Buße zur „Ahndung“ ist auf absurd niedrige 5 Mio. € begrenzt. Bleibt die „Abschöpfung“. Von der wird in § 17 (4) OWiG gefordert:
Die „Geldbuße … <soll> den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen“. Somit sind „mindestens“ diejenigen Aufwendungen abzuschöpfen, die den Unternehmen dank ihrer Diesel-Manipulationen erspart geblieben sind – Betonung auf „mindestens“.
In zwei Fällen wurden die Verfahren zu Ende geführt. Mit Bescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die VW-AG vom 13. Juni 2018 wurde VW ein Betrag von knapp 1.000 Mio. € als illegitim ersparte Aufwendungen entzogen, mit Bescheid der Staatsanwaltschaft München II gegen die Audi AG vom 16. Oktober 2018 waren es knapp 800 Mio. €. Ob die Staatsanwaltschaften der Maßgabe in § 17 (4) OWiG wirklich entsprochen haben, ist offen.
Für VW/Audi jedenfalls ist das Ergebnis günstig, wie ein Vergleich zeigt. In den USA wurden 0,58 Mio. Fahrzeuge des VW-Konzerns gebüßt – mit 20 Mrd. €; d.i. ca. 40.000 € pro PKW. Für den (globalen) Rest, etwa 12 Mio. Fahrzeuge (VW, Audi und Porsche zusammen), haben die Staatsanwaltschaften in Niedersachsen und Bayern 1,8 Mrd. € Bußgeld verhängt, d.i. ca. 150 € pro PKW. Das ist eine im transatlantischen Vergleich extrem asymmetrische Höhe der Gewinnabschöpfung.
So sieht es mit dem Rechtsstaat aus, wenn regionale Staatsanwaltschaften in einem vertraulichen Ordnungswidrigkeitenverfahren ein „heimisches“ Unternehmen belangen. Es hätte anders aussehen können. Tatmittel waren schließlich, beschränken wir uns auf die Fälle festgestellter illegaler Typ-Genehmigung in Europa, rd. 10 Mio. Fahrzeuge. Setzen wir die mit einem durchschnittlichen Wert von 40.000 €/Stück an, so war ein Vermögenswert von 400 Mrd. € beteiligt. Diese Fahrzeuge hätte man eigentlich stilllegen müssen, dann, bei einer solchen rechtlich korrekten Vorgehensweise, hätte man stranded assets in der Höhe von 400 Mrd. € gehabt. In dieser Höhe hätten die Fahrzeughalter Anspruch auf Kompensation durch den Hersteller gehabt – der wäre in Konkurs gegangen. So konsequent war man folglich nicht. Praktikabilität geht im Extremfall vor Recht. Und das wiederum mit einem gewissen Recht.
4. Conclusio
Im Krieg verschieben sich, so zeigt der Vergleich, auch rechtliche Maßstäbe. Auch Recht wird zum Kampfmittel, Rechtsstaat hin oder her.
Ich warte schon darauf, wie Russland in Euroclear zerschmettert. Was, wenn Russland unter Hinweis auf die Unrechtmäßigkeit und des Diebstahls von russischem Vermögen in Singapur und in China vor Gericht das Recht zur Beschlagnahme von EU-Vermögen erhält?
Auch in der Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien wäre ein derartiges Vorgehen denkbar. Was dann passiert, dürfte weltweit zu Verwerfungen führen. Denn es könnt immerhin zu Schwierigkeiten von Euroclear führen und zu einer Vertrauenskrise gegenüber dem Euro als solchem führen.